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EDITORIAL<br />
JM 4 APRIL<br />
2016<br />
Das Gaffen bei Unglücksfällen – nur eine lässliche Sünde?<br />
In unserem Topbeitrag leuchten die Autoren Ernst Hunsicker<br />
und Christoph Belz die Untiefen des Gaffer-Phänomens<br />
im Straßenverkehr nach geltendem Recht aus. Die<br />
Untersuchung behandelt Aspekte des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts,<br />
des Schutzes des Persönlichkeitsrechts<br />
sowie des Gefahrenabwehrrechts. Die Bestandsaufnahme<br />
weist aus, dass die Rechtsordnung bereits einen ganzen<br />
Strauß von Reaktionsmöglichkeiten bereithält. Gleichwohl<br />
erscheinen Bestrebungen – zuletzt aus Niedersachsen – de<br />
lege ferenda Rettungseinsätze und Opfer besser zu schützen,<br />
als durchaus nachvollziehbar. Die Autoren weisen<br />
allerdings darauf hin, dass die eigentliche Problematik bereits<br />
nach geltendem Recht in der mangelnden faktischen<br />
Durchsetzung der rechtlichen Möglichkeiten liegt, weil der<br />
Fokus der am Einsatz beteiligten Kräfte zwangsläufig auf<br />
Hilfsmaßnahmen in der Notsituation, nicht jedoch auf die<br />
Verfolgung von Normverstößen und Beweissicherungsmaßnahmen<br />
gerichtet ist. Insofern stellt sich die Erprobung<br />
und Verwendung eines Sichtschutzes in Gestalt von „Anti-<br />
Gaffer-Planen“ als ausbaufähige Präventionsmaßnahme<br />
dar. Noch dringlicher dürfte allerdings die Aufklärung über<br />
die möglicherweise fatalen Folgen des Gaffens sein – hierzu<br />
leistet die jM mit ihrem aktuellen Topthema einen Beitrag.<br />
Prof. Dr. Thomas Voelzke<br />
Vorsitzender Richter am Bundessozialgericht<br />
Bei einem Gaffer handelt es sich nach dem Deutschen<br />
Wörterbuch der Gebrüder Jacob und Wilhelm Grimm um<br />
einen „neugierigen, müszigen zuschauer“. Würde sich<br />
das uns allen bekannte Phänomen des Gaffens bei Notfällen<br />
tatsächlich auf die kurze Befriedigung der jedem<br />
Menschen innewohnenden Sensationslust beschränken,<br />
so wäre diese Verhaltensweise vielleicht ärgerlich, jedoch<br />
keiner näheren juristischen Betrachtung wert. Leider verhält<br />
es sich anders, denn das Gaffen umschreibt über den<br />
ursprünglichen Wortsinn hinaus inzwischen einen komplexen<br />
Vorgang, der nicht nur das Betrachten eines Notfalls<br />
selbst, sondern gege benenfalls auch die Behinderung<br />
von Rettungskräften und Verkehr sowie das Filmen mittels<br />
Handy und das anschließende Veröffentlichen der Notsituation<br />
im Netz umfasst.<br />
Zu den rechtspolitischen Dauerbrennern rechnen Fragestellungen,<br />
die das Verhältnis von Steuerrecht einerseits<br />
und dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie<br />
andererseits in den Blick nehmen. Monika Jachmann-<br />
Michel stellt hierbei in ihrem Beitrag „Steuer(un)gerechtigkeit<br />
für Familien“ das Ehegattensplitting und den steuerlichen<br />
Familienlastenausgleich auf den Prüfstand. Sie<br />
legt hinsichtlich des Ehegattensplittings nachvollziehbar<br />
dar, dass es gerade die freie Gestaltung des Zusammenlebens<br />
der Ehegatten vor staatlicher Einflussnahme schützt.<br />
Sämtliche Reformüberlegungen müssen diesen in der politischen<br />
Diskussion häufig vernachlässigten Gesichtspunkt<br />
in den Blick nehmen. Hinsichtlich des Familienlastenausgleichs<br />
unterzieht Monika Jachmann-Michel das Nebeneinander<br />
von Kindergeld und steuerlichen Kinderfreibeträgen<br />
einer kritischen Untersuchung. Sie plädiert für eine systemgerechte<br />
Rückführung des Kindergeldes in das Sozialrecht.<br />
Anmerkungen zu aktuellen und wichtigen Entscheidungen<br />
aus allen Rechtsgebieten bilden bekanntlich das „Rückgrat“<br />
der jM! Auch in dieser Ausgabe präsentieren wir<br />
Highlights der Spruchtätigkeit deutscher und europäischer<br />
Gerichte. Ich bin davon überzeugt, dass Fragen der Gema-<br />
Pflichtigkeit der Hintergrundmusik in Zahnarztpraxen<br />
(Hannes Ludyga), des Schadensersatzes wegen Nichtgewährung<br />
eines KiTa-Platzes (Wolfgang Kuntz), der Bindung<br />
des Berufungsgerichts nach Zurückverweisung (Wulf Gravenhorst),<br />
der Sozialhilfe für EU-Bürger bei verfestigtem<br />
Aufenthalt (Johannes Greiser) und des Verbandsklagerechts<br />
zu Umweltverträglichkeitsprüfungen (Thomas Jacob)<br />
auf Ihr geschätztes Interesse stoßen werden.<br />
Viel Spaß und Nutzen bei der Lektüre<br />
Thomas Voelzke<br />
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