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JM 4 APRIL<br />
2016<br />
lich fehlerhaft, sei sie nach dem UmwRG nicht angreifbar<br />
(Rn. 50). Hierin liegt für den EuGH der erste Richtlinienverstoß.<br />
In einem zweiten Schritt hält der EuGH im Kontext der<br />
UVP-RL auch die verwaltungsverfahrensrechtliche Regelung<br />
des § 46 VwVfG für unionsrechtswidrig. Er hält es für<br />
problematisch, dass diese Vorschrift verlange, dass sich ein<br />
Verfahrensfehler (wie eben die genannte fehlerhafte UVP-<br />
Prüfung) auf das Ergebnis der Entscheidung ausgewirkt<br />
haben müsse, damit die Entscheidung insgesamt rechtswidrig<br />
werde (Rn. 55). Insbesondere verbietet der EuGH,<br />
dass die Beweislast für diesen Kausalzusammenhang von<br />
Verfahrensfehler und Entscheidungsergebnis dem Kläger<br />
aufgebürdet wird (Rn. 59). Nur, wenn das Gericht selbst<br />
eine solche Feststellung der fehlenden Auswirkung eines<br />
Verfahrensfehlers treffen könne, könnte § 46 VwVfG mit<br />
Unionsrecht vereinbar sein (Rn. 60).<br />
Besonders weitgehend ist die Würdigung der dritten Rüge.<br />
Der EuGH bringt hier für UVP-pflichtige Vorhaben die in<br />
Deutschland gesetzlich vorgesehene materielle Präklusion<br />
mit knappen Worten zu Fall. Wie ausgeführt, lässt der EuGH<br />
für Art. 11 UVP-RL keine Einschränkung der Klagegründe<br />
zu (Rn. 77). Damit seien dann auch Regelungen wie die<br />
der Einwendungspräklusion unvereinbar (z.B. § 2 Abs. 3<br />
UmwRG, § 73 Abs. 4 VwVfG), die die gerichtliche Kontrolle<br />
auf den Vortrag beschränken, den der Kläger bereits im<br />
Verwaltungsverfahren angebracht hat (Rn. 78). Die von<br />
der Bundesrepublik vorgebrachten Argumente für dieses<br />
im Planungs- und Zulassungsrecht bedeutende Instrument<br />
wischt der EuGH beiseite und gestattet lediglich, dass der<br />
Gesetzgeber „missbräuchliches oder unredliches Vorbringen“<br />
im Gerichtsverfahren ausschließen könne (Rn. 81).<br />
Auch den letzten drei Rügen gibt der EuGH statt. Die Rügen<br />
zielen auf die in § 5 UmwRG angesiedelten Übergangsfristen<br />
und -regelungen, mit denen der Gesetzgeber frühere<br />
Defizite in der Umsetzung der UVP-RL beseitigen wollte.<br />
Der Gerichtshof verwirft dabei die geltende Fassung des<br />
UmwRG, mit der die Bundesrepublik zum Zeitpunkt des<br />
Inkrafttretens des Gesetzes am 15.12.2006 bestands- wie<br />
rechtskräftige Entscheidungen vom Anwendungsbereich<br />
des Gesetzes ausnehmen wollte (Rn. 97). Da die Bundesrepublik<br />
die UVP-RL unzureichend umgesetzt habe, indem<br />
sie die Klagebefugnis von Umweltverbänden und den gerichtlichen<br />
Prüfungsmaßstab unzulässigerweise beschränkt<br />
habe, könne sie dem nun nicht die Bestands- und Rechtskraft<br />
der Entscheidungen entgegenhalten (Rn. 98).<br />
Das Urteil steht in einer Reihe mit weiteren prominenten<br />
Entscheidungen des Gerichtshofs auf dem Gebiet der<br />
Umweltverbandsklage; die Diskussion über noch weitergehende<br />
Folgerungen – nicht zuletzt auf Grundlage der<br />
Aarhus-Konvention und dem dort geforderten „weiten<br />
Zugang“ zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten<br />
– dauert unvermindert an. 8 Nicht überraschend ist, dass<br />
im Anwendungsbereich der UVP-RL die Klagerechte von<br />
Individualklägern weiterhin an § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO<br />
gemessen werden dürfen. Nichts Neues gibt es auch zur<br />
Rügefähigkeit von Verfahrensfehlern (§ 4 Abs. 1 UmwRG<br />
und § 46 VwVfG).<br />
Von zentraler Bedeutung im Vertragsverletzungsverfahren<br />
war hingegen die Frage der Unionsrechtswidrigkeit<br />
der materiellen Präklusion. Hier setzt der EuGH einen<br />
(vorläufigen?) Schlusspunkt unter einen Diskurs, in den<br />
sich auch das BVerwG noch Anfang 2014 eingebracht hat.<br />
Das BVerwG wies darauf hin, dass sich die Präklusion gerade<br />
nicht auf rechtliches Vorbringen erstrecke, sondern<br />
nur auf Tatsachenfragen. Hierdurch solle die besondere<br />
Sachkunde der Naturschutzvereinigungen in das Verwaltungsverfahren<br />
eingebracht werden, indem diese zu einer<br />
kritischen Auseinandersetzung mit dem vorhandenen<br />
naturschutzfachlichen Material angehalten würden. 9 Das<br />
BVerwG hat auch auf das Eigenverwaltungsrecht der EU<br />
hingewiesen, das eine dem Einwendungsausschluss nach<br />
deutschem Recht vergleichbare Beschränkung des Tatsachenvortrags<br />
und damit der Rechtmäßigkeitskontrolle<br />
eines Gemeinschaftsaktes im gerichtlichen Verfahren<br />
kenne. 10<br />
Während die Ausführungen des EuGH zum Anwendungsbereich<br />
des UmwRG zu erwarten waren, 11 ist doch die<br />
Konsequenz überraschend, mit der der Gerichtshof die Einwände<br />
Deutschlands zur Bestands- und Rechtskraft beiseiteschiebt.<br />
Hier bleibt nach dem Urteil einiges im Dunkeln,<br />
wobei die Frage naheliegt, ob die Ausführungen des EuGH<br />
selbst „so konkret, bestimmt und klar sind, dass sie dem<br />
Erfordernis der Rechtssicherheit genügen“ (Rn. 51).<br />
D. Auswirkungen für die Praxis<br />
Zunächst gilt es, das laufende Novellierungsverfahren zum<br />
UmwRG abzuwarten. Hier dürfte der Gesetzgeber einige<br />
Unvereinbarkeiten mit Art. 11 UVP-RL abstellen.<br />
Ein Paukenschlag ist das Ende der Präklusion für UVP-pflichtige<br />
Vorhaben. Der EuGH hat sich nicht damit begnügt, die<br />
in der Tat recht kurzen Einwendungsfristen zu hinterfragen,<br />
sondern mit brutaler Kürze ein etabliertes Instrument des<br />
C. Kontext der Entscheidung<br />
8 Vgl. statt vieler Seibert, NVwZ 2013, 1040; Gärditz, NVwZ 2014, 1.<br />
9 BVerwG, Beschl. v. 06.03.2014 - 9 C 6.12 Rn. 16.<br />
10 BVerwG, Beschl. v. 06.03.2014 - 9 C 6.12 Rn. 17.<br />
11 Vgl. EuGH, Urt. v. 07.11.2013 - C-72/12 Rn. 31 - „Gemeinde Altrip“.<br />
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