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Die Monatszeitschrift<br />

Verwaltungsrecht<br />

Das „Gaffer-Phänomen“ im Straßenverkehr<br />

Dipl.-Verww. Ernst Hunsicker und Ref. iur. Sebastian Belz, LL.M.<br />

A. Einleitung<br />

Als „Gaffer“ werden gemeinhin extrem schaulustige und<br />

neugierige Verkehrsteilnehmer bezeichnet, die zur Befriedigung<br />

ihrer Sensationsgier gewillt sind, den Einsatz der<br />

Polizei und von Hilfs- und Rettungsdiensten bei der Bewältigung<br />

von Verkehrsunfällen oder bei der Beseitigung von<br />

Verkehrshindernissen zu behindern und sogar weitere Unfälle<br />

zu provozieren. Im Zeitalter der Smartphones erfährt<br />

dieses Phänomen einen weiteren Aufschwung und wird<br />

mehr und mehr zu einem Problem. Neben der Beeinträchtigung<br />

der Einsatzdienste greifen die „Gaffer“ mitunter<br />

massiv in geschützte Rechtsgüter etwaiger Unfallopfer ein.<br />

Die Möglichkeiten der modernen Technik scheinen den Drang<br />

der „Spektomanen“, das Geschehen in Foto und Film festhalten<br />

und verbreiten zu wollen, noch zu fördern. Erst im März<br />

letzten Jahres hat die Dortmunder Polizei auf der A1 zwölf<br />

Autofahrer angezeigt, die die Bergung zweier Lkw gefilmt<br />

hatten. Selbst nachdem sie von den Polizisten ermahnt worden<br />

waren, haben sie ihre „Dreharbeiten“ auf der Gegenfahrbahn<br />

damals nicht unterbrochen. Ein solches Vorgehen<br />

gegen „Gaffer“ ist jedoch die Ausnahme. In der Praxis haben<br />

die Einsatzkräfte der Polizei im Regelfall dringlichere Aufgaben<br />

zu bewältigen, als die Personalien der Schaulustigen aufzunehmen<br />

und diese ggf. strafrechtlich zu verfolgen. Oftmals<br />

fehlen schlichtweg die personellen Ressourcen am Unfallort,<br />

um sich um derartige Belange kümmern zu können.<br />

Die zunehmende Verbreitung des „Gaffer-Phänomens“,<br />

befeuert durch die stetig fortschreitende Technik, wirft die<br />

drängende Frage auf, wie dieser Entwicklung rechtlich entgegenzutreten<br />

ist. Im Folgenden soll deshalb der rechtliche<br />

Rahmen untersucht werden, welcher das Problem derzeit in<br />

den verschiedenen einschlägigen Rechtsgebieten zu erfassen<br />

vermag. Darüber hinaus werden aktuelle – sowohl faktische<br />

als auch rechtliche – Versuche und Reformvorschläge<br />

zur Eindämmung des Problems unter kritischer Würdigung<br />

dargestellt.<br />

Das Phänomen des „Gaffens“ wird auf verschiedenen<br />

rechtlichen Ebenen relevant und tangiert verschiedene<br />

Rechtsgüter. Zum einen wirft es die Frage der Pönalisierung<br />

und dementsprechend der straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen<br />

Verfolgbarkeit auf. Nicht zu vernachlässigen<br />

sind dabei Gesichtspunkte des Opferschutzes, insbesondere<br />

hinsichtlich etwaig betroffener Persönlichkeitsrechte. Daneben<br />

treten gefahrenabwehrrechtliche Erwägungen und<br />

das Erfordernis, Verkehrsunfälle effektiv (feuer-)polizeilich<br />

und rettungsdienstlich begleiten zu können.<br />

I. Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

1. § 323c StGB: Unterlassene Hilfeleistung<br />

Ein möglicher Anknüpfungspunkt für die strafrechtliche<br />

Verfolgung des „Gaffer“-Problems ist die unterlassene Hilfeleistung<br />

i.S.d. § 323c StGB. Danach macht sich strafbar,<br />

wer bei Unglücksfällen nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich<br />

und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere<br />

ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung<br />

anderer wichtiger Pflichten möglich ist.<br />

Dogmatisch ist die unterlassene Hilfeleistung als echtes<br />

Unterlassungsdelikt ausgestaltet, d.h., der objektive Tatbestand<br />

wird bereits durch die Nichtvornahme der normierten<br />

und gebotenen Handlung verwirklicht. 1 Strafgrund des<br />

§ 323c StGB ist die in Notfällen gebotene mitmenschliche<br />

Solidarität zur Schadensabwehr innerhalb der Gesellschaft.<br />

2 Ausgelöst wird die sog. „Jedermannspflicht zur<br />

Hilfe“ durch einen Unglücksfall, eine gemeine Gefahr oder<br />

eine die Allgemeinheit betreffende Notlage. Die vorliegende<br />

Untersuchung beschränkt sich auf die Modalität des<br />

Unglücksfalles, wenngleich die anderen Fälle ebenfalls im<br />

Rahmen der diskutierten Problematik relevant werden können,<br />

bspw. bei Naturkatastrophen. Unter einem Unglücksfall<br />

ist jedes plötzlich eintretende Ereignis zu verstehen, das<br />

erhebliche Schaden anrichtet oder zu verursachen droht. 3<br />

Hierunter fallen auch Verkehrsunfälle. 4<br />

Hilfe muss allerdings nur geleistet werden, soweit dies<br />

erforderlich und zumutbar ist. Erforderlichkeit ist dann zu<br />

bejahen, wenn ohne die Hilfeleistung die Gefahr eines weiteren<br />

Schadens und die Möglichkeit besteht, den drohen-<br />

B. Rechtlicher Rahmen<br />

1 Vgl. BGH, Urt. v. 06.05.1960 - 2 StR 65/60 - BGHSt 14, 280, 281.<br />

2 Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl. 2014, § 323c Rn. 1.<br />

3 BGH, Urt. v. 12.02.1952 - 1 StR 59/50 - BGHSt 2, 150, 151; BGH,<br />

Urt. v. 10.06.1952 - 2 StR 180/52 - BGHSt 3, 65, 66; BGH, Beschl. v.<br />

10.03.1954 - GSSt 4/53 - BGHSt 6, 147, 152.<br />

4 BGH, Urt. v. 14.11.1957 - 4 StR 532/57 - BGHSt 11, 135, 136 f.<br />

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