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JM 4 APRIL<br />

2016<br />

geräte und -gegenstände). Aber auch die für Verkehr und<br />

Nachrichtenübermittlung vorgesehenen Beträge könnten<br />

ggf. gekürzt werden. Die Positionen Freizeit, Unterhaltung,<br />

Kultur, Bildung, Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen<br />

können ggf. sogar weitestgehend entfallen.<br />

Ob das BSG in den ersten sechs Monaten eine Ermessensausübung<br />

für möglich hält, die zu einer Leistungsablehnung<br />

(oder lediglich der Gewährung der Rückreisekosten)<br />

kommt, hat es nicht abschließend beantwortet. Werden die<br />

Aussagen des BVerfG im AsylbLG-Urteil auf die Situation<br />

von EU-Bürgern eins zu eins übertragen, so dürfte sich eine<br />

solche Ermessenausübung wohl nur schwer begründen lassen.<br />

Das Gericht führt hier zu kurzen Aufenthalten im Bundesgebiet<br />

aus, dass sich nicht einmal eine Beschränkung<br />

auf das physische Existenzminimum rechtfertigen lasse.<br />

Die einheitlich zu verstehende menschenwürdige Existenz<br />

müsse „ab Beginn des Aufenthalts in der Bundesrepublik<br />

Deutschland realisiert werden“. 19 Dabei stellt das BVerfG<br />

nicht darauf ab, dass es Asylbewerbern häufig nicht möglich<br />

ist, in ihr Heimatland zurückzukehren. Dennoch ist aber<br />

offen, ob das BSG auch diese Aussagen des BVerfG auf<br />

EU-Bürger übertragen wird und ob das BVerfG selbst seine<br />

Rechtsprechung in dieser Strenge weiterführen wird.<br />

Da ein verfestigter Aufenthalt kein rechtmäßiger Aufenthalt<br />

sein muss, liegt eine Ermessensreduktion auch dann<br />

vor, wenn der EU-Bürger kein Aufenthaltsrecht mehr hat.<br />

In einem solchen Fall ist nach einer Verlustfeststellung (des<br />

Freizügigkeitsrechts) die Ausweisung des EU-Bürgers möglich.<br />

Davon haben die Ausländerbehörden bislang nur sehr<br />

selten Gebrauch gemacht. Ob sich dies nach dem besprochenen<br />

Urteil nun ändern wird, wird die Zukunft zeigen<br />

müssen.<br />

Aufenthalt nicht die Rückkehrmöglichkeit ins Heimatland<br />

entgegengestellt hat. Das Gericht erstreckt damit für diesen<br />

Fall die Rechtsprechung des BVerfG zum Grundrecht<br />

auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums<br />

auf EU-Bürger. Auf der anderen Seite schafft das<br />

BSG in den ersten sechs Monaten einen gewissen Spielraum,<br />

zumindest was die Höhe der Leistungen angeht. Hier<br />

wäre eine Differenzierung danach, ob ein Aufenthaltsrecht<br />

besteht, wünschenswert gewesen.<br />

Auch der Weg, dieses Ergebnis über einen Anspruch auf<br />

Sozialhilfe zu „konstruieren“, stellt sich – im Rahmen des<br />

geltenden Rechts – als sachgerecht dar. Gegen diese Lösung<br />

ist vorgebracht worden, in den Gesetzgebungsmaterialien<br />

habe der Gesetzgeber zu erkennen gegeben, dass<br />

erwerbsfähige Ausländer von Leistungen nach dem SGB<br />

XII ausgeschlossen sein sollen (§ 21 SGB XII). 20 Allerdings<br />

wäre der subjektive Wille des Gesetzgebers nur nach der<br />

sog. subjektiv-historischen Auslegung (allein) entscheidend.<br />

21 In der Rechtsprechung des BSG ist aber wohl die<br />

objektiv-historische Auslegung vorherrschend, 22 die nach<br />

dem im Gesetz objektivierten Willen des Gesetzgebers<br />

fragt. 23 Zudem handelt es sich vorliegend um eine verfassungskonforme<br />

Auslegung. Diese hat grds. Vorrang vor<br />

der subjektiv-historischen. Ist eine verfassungskonforme<br />

Auslegung möglich, so ist nach der Rechtsprechung des<br />

BVerfG nicht relevant, dass eine nicht mit der Verfassung<br />

vereinbare Auslegung eher dem subjektiven Willen des<br />

Gesetzgebers entsprochen hätte. 24 Eine Auslegung, die<br />

dazu führt, dass EU-Bürger, die unter den Ausschluss des<br />

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II fallen, in keinem Fall Leistungen<br />

erhalten, ist mit dem Grundrecht auf Gewährleistung<br />

eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht<br />

vereinbar.<br />

E. Bewertung<br />

Die Entscheidung ist ganz überwiegend zu begrüßen. Sie<br />

stellt einen dogmatisch gut begründeten und praktisch<br />

handhabbaren Ausgleich zwischen den verfassungsrechtlichen<br />

Vorgaben auf der einen und dem einfachen Recht auf<br />

der anderen Seite dar.<br />

Insbesondere ist es positiv zu bewerten, dass das BSG dem<br />

„Ob“ einer Leistungsgewährung bei einem verfestigten<br />

19 BVerfG, Urt. v. 18.07.2012 - 1 BvL 10/10 - juris Rn. 94.<br />

20 SG Berlin, Urt. v. 11.12.2015 - S 149 AS 7191/13 unter Verweis auf:<br />

BT-Drs. 15/1514, S. 57 und BT-Drs. 16/688, S. 13.<br />

21 Vgl. dazu näher: Greiser, ZfSH/SGB 2014, 598, 602.<br />

22 Vgl. dazu: BSG, Urt. v. 30.09.2009 - B 9 V 1/08 R - juris Rn. 49 m.w.N.<br />

23 Vgl. dazu näher: Walz, ZJS 2010, 482, 485.<br />

24 Vgl. dazu etwa: BVerfG, Urt. v. 09.02.1982 - 1 BvR 845/79 - juris<br />

Rn. 87; vgl. auch: Walz, ZJS 2010, 482, 487.<br />

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