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JM 4 APRIL<br />

2016<br />

Verfassungswidrig wäre aber ein begrenztes Ehegatten-<br />

Realsplitting (sog. Individualbesteuerung mit übertragbarem<br />

Höchstbetrag), das die auf den einkommensschwächeren<br />

Ehegatten übertragbaren Unterhaltsleistungen der Höhe<br />

nach auf z. B. max. 10.000 € begrenzte; 21 die realen Unterhaltsverpflichtungen<br />

blieben hier unberücksichtigt. Die begrenzte<br />

Umverteilung von 10.000 € bei „Einverdienerehen“<br />

würde bereits bei einem Einkommen von über 20.000 € die<br />

Unterhaltsverpflichtungen nicht mehr realitätsgerecht abbilden;<br />

die Ehe als Wirtschaftsgemeinschaft wäre verkannt.<br />

Denkbar wäre ein der Höhe nach am nachehelichen Realsplitting<br />

des § 10a Nr. 1 EStG orientierter fiktiver Unterhaltsabzug.<br />

22 Dies würde sich zwar in ein (Familien-)<br />

Realsplitting eingliedern und Finanzmittel zu dessen Finanzierung<br />

generieren, 23 ohne die Ehe als Erwerbs- und Verbrauchsgemeinschaft<br />

vollkommen zu verkennen. Allerdings<br />

bestünde für Steuerpflichtige mit höheren Einkommen die<br />

Möglichkeit, weitergehende Splittingwirkungen durch vertragliche<br />

Gestaltungen herbeizuführen mit der Konsequenz<br />

erheblichen Kontrollaufwands für die Finanzverwaltung.<br />

Die Annahme, das Ehegattensplitting sei eine Motivationsbremse<br />

für verheiratete Frauen, zu arbeiten, scheint nur<br />

prima facie schlüssig. Kommt es bei Ehegatten zu einer<br />

geänderten Aufgabenverteilung, führt gerade das Splitting<br />

dazu, dass bei unverändertem Gesamteinkommen der<br />

Ehepartner die Höhe der zu zahlenden Einkommensteuer<br />

gleich bleibt. 24 Nimmt die Ehefrau eine Arbeit auf, führt<br />

dies tatsächlich zu dem Nachteil, dass die Steuerlast des<br />

Paares gegenüber der vorherigen Steuerlast ansteigt; dies<br />

ist aber auf den Anstieg des Einkommens und damit der Bemessungsgrundlage<br />

für die Einkommensteuer zurückzuführen.<br />

Der Grund für den zusätzlichen Anstieg der Steuerlast<br />

liegt in der Progression der Einkommensteuer, die durch<br />

das Splittingverfahren gerade abgemildert wird.<br />

C. Zum Postulat, dass dem Staat jedes Kind gleich<br />

viel wert sein sollte<br />

Wenn die politische Forderung, dem Staat solle jedes Kind<br />

gleich viel wert sein, an den Steuergesetzgeber gerichtet<br />

wird, hat dies zwei Ursachen: zum einen ein Missverständnis<br />

des progressionsbedingten Kinderfreibetrags und zum<br />

anderen seine methodisch unglückliche Vermengung mit<br />

dem Kindergeld im geltenden sog. dualen System.<br />

Der Kinderfreibetrag 25 ist nichts anderes als die verfassungsrechtlich<br />

zwingende Freistellung des Teils des Erwerbseinkommens<br />

von der Besteuerung, das die Eltern<br />

für die Existenzsicherung ihrer Kinder brauchen. Mit dem<br />

Kinderfreibetrag wird aber kein Aufwand zum Abzug zugelassen<br />

– dies auch nicht in typisierter Form; vielmehr gilt es,<br />

die von Art. 6 Abs. 1 GG geforderte Ausdehnung der Steuerfreiheit<br />

des Existenzminimums des Steuerpflichtigen auf<br />

seine Kinder gesetzlich umzusetzen.<br />

Der sog. Familienleistungsausgleich (§ 31 EStG) soll pauschal<br />

die Minderung an wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit<br />

ausgleichen, die Eltern durch ihre Kinder im Vergleich zu Kinderlosen<br />

erfahren. Dabei wird – de lege lata – seit 1996 ein<br />

monatliches Kindergeld – der Sache nach Sozialleistung, gesetzestechnisch<br />

Steuervergütung – auf die Entlastung durch<br />

die Kinderfreibeträge (§ 32 Abs. 6 EStG) gezahlt. Soweit hierfür<br />

nicht erforderlich, dient es als Sozialsubvention für die Familie.<br />

26 Diese Regelungstechnik verschleiert, dass die Kinderfreibeträge<br />

der Herstellung steuerlicher Belastungsgleichheit<br />

durch Berücksichtigung der kindesbedingten Minderung der<br />

Leistungsfähigkeit der Eltern dienen.<br />

Das freigestellte Kindesexistenzminimum umfasst neben<br />

dem sächlichen Existenzminimum auch einen Freibetrag<br />

für Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf.<br />

Damit soll die Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />

der Eltern ausgeglichen werden, die dadurch<br />

entsteht, dass sie sich der Betreuung und Erziehung ihrer<br />

Kinder entweder – mit Erwerbseinbußen – widmen oder<br />

Dritte entgeltlich damit betrauen. Unerheblich ist dabei, auf<br />

welche Weise und aus welchen Gründen Eltern die erforderliche<br />

Betreuung im Einzelnen organisieren und welcher<br />

konkrete Aufwand ihnen entsteht. 27<br />

Die Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit, die<br />

Eltern durch Kinder im Vergleich zu Kinderlosen erfahren,<br />

wird gegenwärtig pauschal durch Kinderfreibeträge (derzeit<br />

insgesamt 3.576 €, vgl. § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG) oder Kindergeld<br />

(190 € für das erste und zweite Kind, 196 € für das<br />

dritte Kind, 221 € für jedes weitere Kind, vgl. § 66 Abs. 1<br />

Satz 1 EStG) berücksichtigt. Kinder unter 18 Jahren mindern<br />

uneingeschränkt die steuerliche Bemessungsgrundlage (Kinderfreibetrag)<br />

oder berechtigen zum Bezug von Kindergeld<br />

(§ 32 Abs. 3 EStG), volljährige Kinder nur unter besonderen<br />

Voraussetzungen (§ 32 Abs. 4 und 5 EStG). Kinder in Aus-<br />

21 Vgl. z.B. Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 16/1152.<br />

22 Vgl. z.B. SPD in: Das Wir entscheidet – Regierungsprogramm der SPD<br />

2013-2017, S. 50 f.<br />

23 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen<br />

Entwicklung in: Gegen eine rückwärtsgewandte Wirtschaftspolitik –<br />

Jahresgutachten 2013/14, Rn. 653: rd. 6 Mrd. € bei Begrenzung auf<br />

13.805 €; BT-Drs. 17/13044, S. 3: Mehrbelastungen i.H.v. 3,3 Mrd. €.<br />

24 So auch Sandweg, DStR 2015, 459, 461.<br />

25 Im Folgenden wird vereinfachend vom Kinderfreibetrag gesprochen,<br />

wenngleich §§ 31, 32 Abs. 6 EStG zwischen mehreren Freibeträgen<br />

differenziert, die zusammen das Kindesexistenzminimum ausmachen.<br />

26 Dazu Jachmann in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz:<br />

Kommentar (Loseblatt), § 31 EStG Rn. A 1.<br />

27 BVerfG, Beschl. v. 10.11.1998 - 2 BvR 1057/91, 1226/91, 980/91 -<br />

BVerfGE 99, 216, 233.<br />

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