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Die Monatszeitschrift<br />
In-Mechanismus sowie das Modell der Folgeklage, ohne die<br />
Beförderung proaktiv initiierter Klagen explizit zu verbieten.<br />
Die anempfohlene Vorgreiflichkeit der Zulässigkeitsprüfung,<br />
die sich an der jüngeren Rechtsprechung des US-Supreme<br />
Court orientiert, 13 das Verbot des Strafschadensersatzes<br />
sowie die Wahl des Opt-In-Modells lassen sich unschwer als<br />
Tribut an die Vorbehalte gegenüber der US-amerikanischen<br />
Class Action sowie an den Gedanken des Respekts der<br />
Rechtstraditionen der EU-Mitgliedstaaten interpretieren.<br />
An der europäischen sowie französischen Präferenz für die<br />
kollektive Folgeklage ist aus komparatistischer Sicht hierbei<br />
besonders bemerkens- und erwähnenswert, dass die USamerikanischen<br />
Kritiker der Sammelklage diese Form des<br />
kollektiven Vorgehens für besonders „verwerflich“ halten<br />
und dieser Haltung auch semantisch Ausdruck verleihen,<br />
indem sie die Folgeklage als sog. „Piggybacking“ und die<br />
Folgekläger als sog. „Free Rider“ bezeichnen. 14<br />
D. Kollektive Kartelldeliktsrechtsdurchsetzung<br />
in der Bundesrepublik Deutschland<br />
I. Deutsche Kartelldeliktsrechtsdurchsetzung<br />
de lege lata<br />
Ein der US-amerikanischen Class Action 15 oder der französischen<br />
Action de groupe 16 vergleichbarer Kollektivklagemechanismus<br />
findet im deutschen Recht keine Entsprechung.<br />
Die in der deutschen lex lata statuierten Regelungen zur<br />
Bündelung von Individualforderungen reichen an die Simplizität<br />
und Effektivität der US-amerikanischen oder französischen<br />
Ausgestaltung, insbesondere jene der „Action<br />
de groupe simplifiée“, 17 nicht heran. Dies betrifft sowohl<br />
die Zivilprozessordnung, 18 das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz,<br />
das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb<br />
19 sowie das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen,<br />
20 denen insgesamt der Anspruch zu eigen ist, eine<br />
effektive Restitution einer Pluralität geschädigter Individuen<br />
zu ermöglichen.<br />
Die Effektivität der Kartellrechtsdurchsetzung ruht in der<br />
Bundesrepublik Deutschland daher nahezu ausschließlich<br />
auf den Schultern der nationalen Kartellbehörden. Der faktische<br />
Primat des Public Enforcement bedingt jedoch sowohl<br />
eine mangelnde Verfolgungseffektivität als auch eine<br />
mangelnde Kompensation der Opfer eines Kartellrechtsverstoßes.<br />
Obgleich sie im Unterschied zu den entsprechenden<br />
Regelungen im US-amerikanischen Kartellrecht des Bundes<br />
eine Anspruchsberechtigung auf sämtlichen Marktstufen<br />
vorsieht, vermag die private Kartelldeliktsrechtsdurchsetzung<br />
dieses Defizit bisher nicht zu kompensieren.<br />
Schienen die aufsehenerregenden Verfahren in den Fällen<br />
Transportbeton, 21 Zement 22 und Selbstdurchschreibepapier<br />
23 die Ansicht der Bundesregierung, welche Deutschland<br />
seit den Änderungen durch die 7. GWB-Novelle als<br />
Vorreiter der privaten Kartellrechtsdurchsetzung in Europa<br />
ansieht, noch zu untermauern, 24 ist die Geltendmachung<br />
sog. Kartellzivilklagen in der Bundesrepublik Deutschland<br />
zuletzt rückläufig. Während auf den Zeitraum 2009/2010<br />
noch die Zahl von 556 Kartellzivilklagen entfiel, 25 wurden<br />
im Zeitraum 2011/2012 lediglich 311 26 und im Zeitraum<br />
2013/2014 insgesamt 322 27 Klagen erhoben. Dies entspricht<br />
einem Rückgang von durchschnittlich 43 %, womit<br />
sich die Privatklagetätigkeit innerhalb von vier Jahren nahezu<br />
halbierte. In Anbetracht der gewichtigen Rolle, die der<br />
privaten Kartellrechtsdurchsetzung in der Durchsetzung,<br />
Fortentwicklung und Rechtsfortbildung 28 des deutschen<br />
Kartellrechts seitens des Bundeskartellamtes zuerkannt<br />
wird, ist dies nicht zuletzt deshalb bedenklich, als die<br />
oberste deutsche Kartellbehörde nach eigener Aussage auf<br />
die Ergänzungsfunktion der privaten Kartellrechtsdurchsetzung<br />
dringend angewiesen ist. 29<br />
In der deutschen privatklägerischen Praxis sind überdies<br />
proaktiv initiierte Klagen vorherrschend, die vor allem die<br />
Bereiche der Liefer- und Geschäftsverweigerung sowie die<br />
Wirksamkeit von Verträgen und ihrer Beendigung betref-<br />
13 Wal-Mart Stores, Inc. v. Dukes, 131 S.Ct. 2541, 2551, 2011: „Sometimes<br />
it may be necessary for the court to probe behind the pleadings<br />
before coming to rest on the certification question […] certification<br />
is proper only if the trial court is satisfied after a rigorous analysis,<br />
that the prerequisites of Rule 23(a) have been satisfied. Frequently<br />
that ‚rigorous analysis‘ will entail some overlap with the merits of the<br />
plaintiff’s underlying claim. That cannot be helped.“.<br />
14 Coffee, 86 Colum. L. Rev. 669, 681.<br />
15 Rule 23 Federal Rules of Civil Procedure.<br />
16 Art. L. 423-1 ff. Code de la consommation.<br />
17 Art. L. 423-10 Code de la consommation.<br />
18 §§ 59 ff., 79, 147 ZPO.<br />
19 § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4, § 10 UWG.<br />
20 § 33 GWB.<br />
21 KG Berlin, Urt. v. 01.10.2009 - 2 U 10/03 Kart - „Berliner Transportbeton“.<br />
22 Das Verfahren ist zurzeit noch anhängig vor dem LG Düsseldorf - 34 O<br />
(Kart) 147/05; zur Zulässigkeit der Klage BGH, Beschl. v. 07.04.2009 -<br />
KZR 42/08 (OLG Düsseldorf) - „Zementkartell“.<br />
23 BGH, Urt. v. 28.06.2011 - KZR 75/10 - „ORWI“.<br />
24 Antwort vom 19.03.2012 zur Kleinen Anfrage bezüglich der Durchsetzung<br />
kollektiver Verbraucherinteressen, BT-Drs. 17/9022, S. 5 f.<br />
25 Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2009/2010, BT-Drs. 17/6640,<br />
S. 49.<br />
26 Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2011/2012, BT-Drs.<br />
17/13675, S. 42.<br />
27 Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2013/2014, BT-Drs. 18/5210,<br />
S. 34.<br />
28 Tätigkeitsbericht des Bundeskartellamts 2013/2014, BT-Drs. 18/5210,<br />
S. 34.<br />
29 Bundeskartellamt, Stellungnahme 8. GWB-Novelle, S. 27.<br />
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