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2011-04_kl

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Sechs Frauen und<br />

(k)eine<br />

Weihnachtsgans<br />

Weihnachten<br />

Kinder fragen Großmütter gerne über die Vergangenheit<br />

aus. So war es auch bei mir, wenn ich meine<br />

Oma abends vor dem Einschlafen bat, mir eine<br />

Geschichte von früher zu erzählen.<br />

Sie tat es gern und ich hörte ihr aufmerksam zu, bis ich<br />

einschlief. Es waren wahre Begebenheiten, so auch diese<br />

Geschichte aus dem Jahre 1944.<br />

Der Krieg hatte grausame Spuren hinterlassen und war<br />

noch nicht zu Ende. Die schlimmsten Ereignisse sparte sie<br />

auf Grund meines Alters bei ihren Schilderungen aus; aber<br />

sie erzählte mir die Geschichte von der Weihnachtsgans!<br />

In ihrem <strong>kl</strong>einen Bauernhaus lebten zu der Zeit sechs<br />

Frauen. Drei Frauen waren aus dem Osten geflohen und<br />

suchten Zuflucht auf dem Bauernhof, das alte Tantchen,<br />

welches einmal als Haushälterin dort Arbeit fand und bis zu<br />

ihrem Lebensende Wohnrecht genoss, meine Großmutter<br />

und meine Mutter, die mit mir schwanger war. So verschieden<br />

auch ihre Jahrgänge waren, hatten alle doch ganz ähnliche<br />

Schicksale zu tragen. Alle waren Kriegerwitwen. Zwei<br />

hatten ihre Männer im Ersten Weltkrieg verloren, die anderen<br />

drei Frauen im Zweiten Weltkrieg. So schweißte sie ihr Erlebtes<br />

besonders zusammen. Sechs Frauen, die Hunger litten<br />

und alles teilten, was auf dem Lande noch aufzutreiben war.<br />

Weihnachten 1944 stand vor der Tür, und sie hatten trotz<br />

aller Missstände einen großen Plan. Sie besaßen eine Gans, die<br />

sie schon monatelang aufzogen, fütterten und sogar stopften,<br />

damit sie bis Weihnachten recht fett war. Die Frauen aus dem<br />

Osten kannten sich damit besonders gut aus und waren täglich<br />

damit beschäftigt, die Gans so gut es ging zu versorgen.<br />

Alle freuten sich auf das Fest mit dem großen Gänsebraten!<br />

Meine Oma konnte schlachten, wunderbar kochen<br />

und braten, alles war perfekt vorbereitet. Die Vorfreude war<br />

Foto: Gottfried Klör<br />

riesig, doch dabei sollte es wohl auch bleiben! Man hatte<br />

die Gans, damit sie auch im Freien Futter zu sich nahm, in<br />

ein <strong>kl</strong>eines Grasgärtchen hinter der Scheune gesperrt und<br />

ihr auch ab und zu Auslauf gegeben. Eine der Frauen hatte<br />

sie sogar getauft und so bekam sie den Namen „Lisa“.<br />

„Lisa“ watschelte gut genährt über den Hof und alle<br />

waren begeistert. Dann kam der große Tag, an dem „Lisa“<br />

geschlachtet werden sollte, doch zum Entsetzen der vom<br />

Hunger geplagten Frauen war „Lisa“ nicht mehr auffindbar.<br />

Gemeinsam machten sie sich auf die Suche und riefen die<br />

Gans, die „Lisa“ hieß, doch „Lisa“ tauchte nicht mehr auf.<br />

Nach stundenlanger Suche und Tieffliegerbeschuß war <strong>kl</strong>ar,<br />

alle Mühe war vergebens, „Lisa“ blieb verschwunden.<br />

Da kam ein Nachbar vom Bahnhof und erzählte, dass ein<br />

Hamsterer mit einem Rucksack in den Zug gestiegen sei,<br />

aus dem eine Gans ihren langen Hals herausreckte. Da war<br />

alles <strong>kl</strong>ar, das muss wohl unsere „Lisa“ gewesen sein!Alle<br />

haben bitterlich geweint und mussten auch an diesem Weihnachtsfest<br />

auf den ersehnten Gänsebraten verzichten.<br />

Auch heute gibt es immer wieder Kriege und notleidende<br />

Menschen auf der Welt und es nimmt kein Ende. Sind<br />

wir nicht heute oft undankbar beim Schlemmen? Besonders<br />

an den Weihnachtsfeiertagen muss ich immer wieder an<br />

diese Geschichte denken.<br />

Helga Düringer<br />

Himmels-Kapriolen<br />

Der Himmel scheint heut durchgedreht,<br />

ist zickenhaft und sehr labil.<br />

Die Wolkenbänke, abgeweht,<br />

entladen sich immens stabil.<br />

Der Abendlärm ist längst verstummt,<br />

nur Regentropfen trommeln weit.<br />

Wer sich jetzt wagt, der geht vermummt,<br />

noch tapfer durch die Dunkelheit,<br />

mit Hund, der seine Fährte kennt,<br />

(er führt sein Herrchen an der Leine)<br />

nimmt nun Reißaus und überrennt<br />

verschmähend seine Lieblingssteine.<br />

Ein Schneegestöber bester Sorte<br />

das Dunkel schnell mit Weiß versieht.<br />

Der Überraschte, hier vor Orte,<br />

schnellstens in Geschütztes flieht.<br />

Das Ganze hinter Glas betrachtet,<br />

lach ich im Warmen unverhohlen,<br />

im Bett, mit Buch,<br />

die Zeit missachtend,<br />

pfeif ich auf Himmels-Kapriolen.<br />

Edith Maria Bürger<br />

4/<strong>2011</strong> 25 Jahre durchblick 19

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