2011-04_kl
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Gesellschaft<br />
Gefährlicher Müll<br />
Von Wilma Frohne<br />
Gelbe Müllsäcke säumten die Bürgersteige<br />
oder dekorierten die<br />
Vorgärten. – Gelbe-Säcke-Tag!<br />
Ich fuhr über die lange Hauptstraße<br />
und sah, wie ein Müllsack von einer Windbö<br />
vom Stapel gerissen wurde. Sie ließ ihn<br />
über den Bürgersteig rollen, um einen Laternenpfahl<br />
kreisen und dann neben parkenden<br />
Autos an der Straßenseite liegen.<br />
Mit dem nächsten Windstoß rutschte er<br />
langsam an mehreren abgestellten Autos<br />
entlang. Es sah aus, als hätte ihn keines<br />
haben wollen und jedes ihn mit einem<br />
<strong>kl</strong>einen Schubs etwas weiter beförderte.<br />
Mein Herz <strong>kl</strong>opfte. „Hoffentlich kommt<br />
der Sack nicht unter meine Räder“, dachte<br />
ich und starrte wie hypnotisiert auf ihn<br />
und das bunte Innenleben, das durch seine<br />
dünne Haut schimmerte. „Hoffentlich<br />
bleibt er da, wo er jetzt ist!“ Er blieb auch<br />
an der Stelle liegen, doch der Wind drehte<br />
ihn quer zur Fahrbahn. Ich wich über die gepflasterte Markierung<br />
in der Straßenmitte aus.<br />
Mein rechtes Vorderrad traf trotzdem den Müllsack. Er<br />
zerplatzte mit einem Knall. Im Rückspiegel sah ich, wie<br />
sich der Abfall auf der Straße verteilte. Es war mir peinlich.<br />
„Du hast ja versucht den Sack zu umfahren“, beruhigte ich<br />
mich. „Der Müll bleibt bestimmt nicht lange da liegen, zumindest<br />
nicht so zusammen. Der Wind wird die runden Teile<br />
wegrollen und die bunten Tüten als Drachen steigen lassen.<br />
Den Rest verteilen die Autos.“ Dann erschrak ich. „Was ist,<br />
wenn Flaschen im Sack gewesen sind? Es soll ja kein Glas<br />
hinein, aber wie oft wird nicht so gesammelt wie gesammelt<br />
werden soll? – Oder eine Blechdose den Reifen ritzte? Wie<br />
schnell kann durch einen auf die Fahrbahn gewehten Müllsack,<br />
besonders im Berufsverkehr, ein Unfall passieren. Die<br />
Städtischen Fahrzeuge haben tausende Säcke abzuholen und<br />
können nicht morgens um sieben überall sein.“<br />
Der Wind ließ trockenes Laub tanzen und Papierfetzen<br />
durch die Luft segeln. Meine Augen beobachteten<br />
den Straßenverkehr – meine Ohren horchten angespannt<br />
auf die Fahrgeräusche. „Reagiert das Auto wir<strong>kl</strong>ich genau<br />
wie vorher?“ Ich schüttelte den Kopf. „Das Steuerrad vibriert<br />
mehr.“ Ich schwitzte. Doch dann fiel mir ein, dass<br />
die asphaltierte Straße vorhin zu Ende war und danach<br />
Katzenkopfpflaster begonnen hatte. Meine Verkrampfung<br />
löste sich. Auf der Autobahn fuhr ich zügig, aber irgendwie<br />
bremsbereiter als sonst und hielt das Steuerrad sehr fest.<br />
Daheim erzählte ich sofort von dem überfahrenen Müllsack.<br />
Mein Mann legte beruhigend den Arm um mich, sah<br />
Foto: Hubertus Freundt<br />
Ich wich über die gepflasterte Markierung in der Straßenmitte aus.<br />
sich mit mir zusammen den Reifen an und sagte: „Er ist<br />
ok. – Aber immer geht so was bestimmt nicht harmlos aus.“<br />
„Und wer ist dann bei einem verursachten Unfall Schuld?“<br />
Er zuckte die Schultern. „Wer kann schon beweisen, dass<br />
ein Autoreifen platzte, weil ihn der Inhalt eines Müllsackes<br />
beschädigt hat und dadurch später der Unfall passierte!?“<br />
Ich atmete tief, trank einen Schluck Saft und war froh,<br />
zuhause zu sein. <br />
4/<strong>2011</strong> 25 Jahre durchblick 49