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2011-04_kl

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Essay<br />

Hilfsbedürftigkeit verkraftet, für die Familie, die die unermessliche<br />

Verantwortung, die jetzt gleich auf sie zu kommt,<br />

tragen muss, und für den mitfühlenden Arzt, der den Weg<br />

mit dem Kranken und seinen Angehörigen gemeinsam gehen<br />

und lenken muss. Durch die Diagnosestellung werden<br />

jetzt plötzlich die signifikanten Verhaltensstörungen in den<br />

letzten Monaten er<strong>kl</strong>ärbar, die Unsicherheiten sind beseitigt,<br />

aber die Sicherheit über den weiteren Lebensweg ist nicht<br />

unbedingt ermutigend. Er muss den Angehörigen und vor<br />

allem seinem Patienten beratend zur Seite stehen, ihnen offen<br />

und nicht beschönigend die Wahrheit sagen, aber auch<br />

nicht nur negativ, schwarz malen, obwohl er ja aus seiner<br />

beruflichen Erfahrung die Verläufe kennt. Er soll Sicherheit<br />

und Mut geben, in Krisen immer da sein, sich zusammen mit<br />

den Betroffenen über <strong>kl</strong>eine Erfolge freuen. Er wird sagen,<br />

dass die Medikamente die Krankheit nicht heilen, allenfalls<br />

die Verschlimmerung der Symptome verzögern oder abmildern.<br />

Er wird für eine gute Pflege sorgen, für das Umfeld und<br />

wird allen Mut machen. Er wird ehrliche Auskünfte ohne Beschönigung<br />

geben, wird auf die menschlichen Helfer mehr<br />

hinweisen als auf die Wirksamkeit der Medikamente hoffen.<br />

Aber jetzt sind die Menschen aus dem Umfeld des Kranken<br />

wichtig, die Familie, die Nachbarn, die Freunde, der Horror<br />

der Demenz muss abgewendet, die Angst vor der Zukunft,<br />

das Ungewisse, der Dämon muss vertrieben werden. Es soll<br />

nicht eine zusätzliche Stigmatisierung des Kranken erfolgen,<br />

er ist nach seinen Fähigkeiten ein vollwertiges Mitglied seiner<br />

Familie, als Mensch behält er seine Würde bis das Herz<br />

zu schlagen aufhört.<br />

Die ärztlich-ethische Verantwortung besteht jetzt darin,<br />

den Kranken menschlich-hilfreich zu begleiten, nachdem<br />

die Diagnose einfühlsam mitgeteilt worden war. Wichtig<br />

ist, nicht einer medikalisierenden Tendenz nachzugeben,<br />

sondern das Augenmerk auf die Lebens- und Befindlichkeitsumstände<br />

zu lenken. Bei der weitgehend bestehenden<br />

medikamentösen Therapieresistenz ist es wichtig, für eine<br />

vernünftige Pflege zu sorgen und sich um enge Vernetzung<br />

von Medizin und Pflegewissenschaft zu bemühen, denn neben<br />

der Medizin sind jetzt gefordert die Pflegewissenschaft,<br />

die Soziologie, die Psychologie, die Philosophie und die<br />

Theologie. Der Dialog zwischen den genannten Disziplinen<br />

ist unerlässlich.<br />

Auch die sogenannte Öffentlichkeit steht in der Verantwortung.<br />

Durch ungeeignete Bilder und Begriffe wird die<br />

Demenz dämonisiert, die Betroffenen werden zusätzlich<br />

stigmatisiert. Die Menschen werden abseits in den Schatten<br />

gestellt und geraten in einen allgemeinen Horror vor<br />

der Demenz. Der Verfall im Alter wird als eine menschlich<br />

unerträgliche Störung dargestellt, als etwas Inhumanes, das<br />

alles Lebenswerk vernichtet. Hier zeigt sich nochmals die<br />

wichtige Rolle des vertrauten erfahrenen Hausarztes, der<br />

aber dennoch in diesen Situationen an die Grenzen seiner<br />

Fähigkeiten kommt. Für ihn kann jetzt eine ethische Beratung<br />

durch ein ortsansässiges Ethik-Fachgremium von Wichtigkeit<br />

sein. Sind demente Menschen im Endstadium ihrer<br />

Krankheit noch Personen mit Personenwürde? Es gibt Philosophierichtungen,<br />

die die Definition des Personenbegriffes<br />

von ihrer Denk-, Erkenntnis-, Handlungs- und Sprachfähigkeit<br />

abhängig machen oder die Menschenwürde an ein biologisch<br />

ordentlich funktionierendes Gehirn koppeln. Seele,<br />

Geist, Gemüt sollen bestimmungsgemäß funktionieren. Bei<br />

Embryonen und Babies ist dieses ebenfalls nicht gegeben. Es<br />

wird ihnen eben der Schutz der Gesellschaft entzogen, der<br />

mit der Anerkennung eines Wesens als Person mit Würde<br />

gegeben ist.<br />

Patientenverfügung<br />

Nach verständlicherweise jahrelangen Diskussionen ist<br />

vom Bundesministerium für Justiz – auch hier wurde die<br />

Ethikkommission der Bundesärztekammer mit eingeschaltet<br />

– eine umfassende Patientenverfügung verabschiedet<br />

worden, die den Umgang mit Kranken regelt, wenn sie situationsbedingt<br />

ihre Vorstellungen über beabsichtigte, notwendige<br />

medizinische Maßnahmen selber nicht vorbringen<br />

können. Jede medizinische Handlung setzt die Einwilligung<br />

des Patienten nach angemessener Auf<strong>kl</strong>ärung voraus. Die<br />

Menschenwürde, das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das<br />

Recht auf Selbstbestimmung und das Recht auf Leben und<br />

auf körperliche Unversehrtheit sind immer Ziele und Grenzen<br />

jeder medizinischen Eingriffe gewesen und sollten auch<br />

die Basis und Voraussetzung für die neue Patientenverfügung<br />

sein.<br />

Die Möglichkeiten der modernen Medizin werden immer<br />

umfangreicher und undurchschaubarer und die Werteorientierung<br />

wird immer differenzierter. Es ist sinnvoll, vorab, das<br />

heißt, bevor der Behandlungsfall also auch bevor der Verlust<br />

der Einwilligungsfähigkeit der betreffenden Person eintritt,<br />

eine Patientenverfügung niederzuschreiben. Jede Person<br />

kann selbständig eine derartige Verfügung allein verfassen.<br />

Sinnvoll erscheint es, dieses wichtige Schriftstück mit einer<br />

vertrautren Person aufzusetzen, oder die Hilfe und Beratung<br />

des Hausarztes in Anspruch zu nehmen. So kann verhindert<br />

werden, dass wesentliche Aussagen vergessen, und unberücksichtigt<br />

bleiben. Der später Behandelnde kann exakt und<br />

zweifelsfrei die Wünsche des Patienten erfüllen.<br />

Ethik und die Magensonde<br />

Ein sehr schwieriges ethisches Problem ist die Anlage<br />

einer Magensonde bei einem schluckunfähigem Patienten.<br />

Ursache der Schluckunfähigkeit können sein: mechanisch<br />

bedingte Schluckstörungen (Krankheiten des Mundes, des<br />

Rachens, der Speiseröhre oder des Magens) durch Tumore,<br />

Verätzungen, Vernarbungen, Verletzungen oder Operationen<br />

im Gesichtsbereich). Es kann sich um nervenbedingte<br />

Schluckstörungen mit Gefahr der Aspiration handeln (z.B.<br />

Zustand nach Schlaganfall). Es können Bewusstseinsstörungen<br />

oder bestimmte Formen der Unterernährung z.B. bei<br />

Krebsleiden sein.<br />

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4/<strong>2011</strong> 25 Jahre durchblick 61

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