2011-04_kl
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Historisches<br />
„Wenn der Alte so wenig blechte, konnte sich der Sohn<br />
ja schon früh auf die geringen Steuern in seinem Johannland<br />
einstellen.“<br />
„Man sollte meinen, dass im Oberen Schloss eine sparsame<br />
Hofhaltung angesagt sein würde – aber die Wahrheit<br />
sah anders aus. Als der Fürst nach dem Tod seines Vaters<br />
die Regentschaft übernahm, blies für die nur 800 Steuerpflichtigen<br />
im Johannland gleich ein anderer Wind. Mehr<br />
und mehr be<strong>kl</strong>agten sich die Untertanen darüber, dass der<br />
Fürst zehnmal mehr Abgaben als sein Vater erhob. Es war<br />
endlich kaum noch zu ertragen und die empörten Untertanen<br />
wurden zornig und immer zorniger.“<br />
„Gab es einen Grund für diese totale Geldgeilheit?“,<br />
fragt Jörg.<br />
„Es erscheint kurios“, so der Großvater, „aber auch diese<br />
hing wieder mit Erbschaften zusammen. Du hast sicher<br />
schon einmal etwas von Wilhelm von Oranien gehört, der<br />
im 16. Jahrhundert eine große Rolle beim Kampf der Niederländer<br />
gegen die spanischen Herrschaft spielte und den<br />
man ‚den Schweigsamen’ und später ‚den Schweiger’ nannte.<br />
Dieser war ein Bruder von Johann dem Älteren und hatte<br />
als Zwölfjähriger das reiche Fürstentum Oranien an der<br />
südlichen Rhone durch das Vermächtnis eines Verwandten<br />
geerbt. In diesem Geschlecht gab es eine Bestimmung,<br />
wonach in dem Fall, dass irgendwann kein männlicher<br />
Nachkomme mehr vorhanden sei, der oranische Besitz an<br />
das Geschlecht Johann des Älteren übergehen solle. Der<br />
letzte männliche Nachkomme Wilhelm von Oraniens war<br />
der sehr krän<strong>kl</strong>iche und kinderlose Wilhelm III., der neben<br />
anderen Titeln auch den des Königs von England innehatte.<br />
Der älteste Nachkomme von Johann dem Älteren indes war<br />
Wilhelm Hyazinth. Und so ging dieser felsenfest und nicht<br />
ganz zu Unrecht davon aus, dass ihm über kurz oder lang<br />
das Erbe in Frankreich zufallen würde.“<br />
„Dass er hierauf Bock hatte, kann ich mir denken. Dann<br />
hätte er ausgesorgt gehabt.“<br />
„Richtig! Als Wilhelm III. tatsächlich 1702 starb, trieb<br />
der Fürst in Erwartung der sicher erscheinenden Erbschaft<br />
sogleich einen noch höheren Aufwand als bislang schon,<br />
übernahm den Titel ‚Prinz von Oranien’ und ließ sich mit<br />
‚Hoheit’ und ‚königliche Hoheit’ anreden. Wer das nicht beachtete,<br />
der konnte im Kerker landen. Wo er sich von nun an<br />
aufhielt, sollte er stets umgeben sein von zwei adligen Gesellschaftern,<br />
zwei Kammerdienern, zwei Sekretären, vier<br />
Lakaien, einem Hofmeister, einem Koch sowie mehreren<br />
Bedienungen. Seiner Frau nebst Sohn wurde ein ähnlicher<br />
Hofstaat zugewiesen. Er war sich sicher, dass er angesichts<br />
der reichen Erbschaft nun einen glänzenden Hof unterhalten<br />
und ein behagliches Leben führen könne.“<br />
„Das wäre eine echt geile Sache für ihn gewesen. Aber<br />
ich vermute, dass irgendetwas schiefging.“<br />
„Jörg, du bist ein Schnellmerker. Ich will es kurz machen,<br />
denn neben Wilhelm Hyazinth gab es weitere vermeintliche<br />
Erben. Wilhelm III. hatte in seinem Testament<br />
seinen gesamten Besitz dem Haus Nassau-Diez vermacht,<br />
dazu meldete auch der König<br />
von Preußen Ansprüche<br />
an. Der Siegener Fürst reiste<br />
nach Paris, um bei Ludwig<br />
XIV. gegenüber den Mitbewerbern<br />
Unterstützung zu<br />
erhalten. Doch das erwies<br />
sich als schlechte Idee,<br />
denn das Resultat war, dass<br />
der Sonnenkönig das Fürstentum<br />
Oranien der Krone<br />
Frankreich einverleibte.<br />
Wilhelm Hyazinth suchte<br />
danach beim Papst und bei<br />
den meisten europäischen<br />
Höfen Unterstützung. Die<br />
Reisekosten für die große<br />
Rechtsanwaltskanzlei<br />
Dr. Buß & Coll.<br />
Dr. jur. Annette Buß<br />
Autorenfoto<br />
Delegation und das Geld für aufwendige Geschenke für<br />
seine Gastgeber stiegen schier ins Unermessliche. Das alles<br />
war von den Untertanen bei weitem nicht zu leisten. Auch<br />
die bei einem Frankfurter Bankhaus geliehenen 20.000<br />
Reichstaler, wofür er die Dörfer Wilnsdorf und Wilgersdorf<br />
zum Pfand gab, erwiesen sich nur als Tropfen auf den<br />
heißen Stein. Und er hätte das ganze Johannland verkauft<br />
– wenn ein Käufer zur Stelle gewesen wäre.“<br />
„Wehrten sich die Untertanen denn nicht gegen den<br />
Schwachmaaten?“, forscht Jörg nach.<br />
„Nun“, bekommt er zur Antwort, „die insgesamt trotz<br />
allem besonnene Johannländer Bevölkerung be<strong>kl</strong>agte sich<br />
bitterlich über die allwöchentlichen Zusatzsteuern, ‚Schatzungen’<br />
genannt, die durch keineswegs zimperlich vorgehende<br />
Schlosssoldaten eingetrieben wurden. Aber ein Dämon,<br />
der mit dem Dolch zum Tyrannen geschlichen wäre,<br />
fand sich nicht. Doch die Unterdrückten verfassten endlich<br />
Klageschriften an den kaiserlichen Hof nach Wien. Haupt<strong>kl</strong>ageführer<br />
waren Johann Wiegel aus Oberdielfen, Adam<br />
Gerhard aus Affholderbach, Johannes Stötzel aus Eschenbach,<br />
Henrich Scheffer aus Dreisbach, Johann Ebert Schütte<br />
aus Müßnershütten, David Kieffel aus Wilnsdorf sowie<br />
die Weidenauer Johannes Truppach, Johann Thomas <br />
Tätigkeitsschwerpunkt<br />
- Erbrecht<br />
- Familienrecht<br />
- Erstellung von<br />
Patientenverfügungen<br />
Denkmal auf dem<br />
Weidenauer Friedrich-<br />
Flender-Platz<br />
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4/<strong>2011</strong> 25 Jahre durchblick 37