2011-04_kl
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Essay<br />
Gedanken über Ethik in der Medizin<br />
von Dr. Wolfgang Bauch<br />
Tempelanlage und Wirkungsstätte von Hippokrates<br />
Vor mehr als 2500 Jahren hat Hippokrates auf der<br />
Insel Kos gelebt und dort Medizin gelehrt, hat<br />
ethische Grundsätze beschrieben, die heute noch<br />
Gültigkeit haben und Maßstab für ärztliches Handeln sind.<br />
Er hat den Menschen in seiner Ganzheit gesehen, hat Leib<br />
und Seele behandelt, ist in die Häuser seiner Patienten gegangen<br />
und hat so auch das Umfeld seiner Kranken in den<br />
Behandlungs plan mit einbezogen, hat aber auch die Anforderungen<br />
an den Arzt, den Behandler, beschrieben.<br />
Der Autor dieses Artikels ist auf der Insel Kos gewesen<br />
und hat den Ort besucht, an dem Hippokrates gelebt und gelehrt<br />
hat. Die Atmosphäre dort war anrührend, wenn man bedenkt,<br />
hier hat der Urvater der Medizin gearbeitet, hat seine<br />
Patienten behandelt, seinen Studenten seine Kenntnisse und<br />
Gedanken weitergegeben und hat als erster praktisch einen<br />
Moralkodex erstellt und verbreitet. Je der Raum des Tempels,<br />
der öffentlichen Gebäude, hatte noch seine besondere<br />
Ausstrahlung, dass man die Ruhe durch auch noch so leises<br />
Sprechen nicht zu stören wagte, dass man sich seiner banalen<br />
Gedanken schämte angesichts der noch grundlegenden und<br />
bis heute noch gültigen Wahrheiten und Erkenntnisse. Auch<br />
der Ölbaum am Brunnen in der Ortsmitte, knorrig und weit<br />
ausholend, steht noch. Hier soll sich Hippokrates im Schatten<br />
ausgeruht und seinen Durst gelöscht haben.<br />
Hippokrates hat eine Ethik begründet, die uns auch heute<br />
noch Maßstab sein soll. Das griechische Wort Ethik bedeutet<br />
„Sitte, sittliche Gesinnung, auch innere Haltung“, ist<br />
also immer mit einem po sitiven Inhalt und Wert versehen.<br />
Das Gegenteil heißt „unethisch“. Er hat also eine Lehre<br />
begrün det, die uns heute noch Maßstab sein soll. Aber die<br />
Wissenschaft, die Technik und das Denken haben die bisher<br />
allgemein gültigen Maßstäbe und Dimensionen gesprengt<br />
und überschritten, dass wir glauben und annehmen, alle<br />
Grenzen überwinden und allein das Individuum in den Vordergrund<br />
stellen zu dürfen, das sich rücksichtslos verwir<strong>kl</strong>ichen<br />
zu können glaubt. Hier muss das Tempo ge drosselt<br />
werden, wir müssen zurückschalten und uns an Maßstäbe<br />
Foto: Dr. Wolfgang Bauch<br />
und Regeln halten, die die Inter essen, Bedürfnisse, Ansprüche<br />
und Rechte unseres Nachbarn berücksichtigen. Wir<br />
können zwar vieles, sollten aber nicht alles dürfen, sollten<br />
Maßstäbe, Richtlinien und Grenzen haben und beachten,<br />
sollten das Anderssein unseres Nächsten respektieren, ihn<br />
darin bestärken, mit ihm in harmonischer Gemeinschaft<br />
den Lebensweg gehen, in der ja alle Glieder zusammen<br />
den Organismus unseres Lebens, des Lebensgefühls und<br />
auch des Leidens darstellen.<br />
Ein guter Arzt hat medizinische Erfahrung und hat auch<br />
Lebenserfahrung, beides zusammen ge nommen befähigt<br />
ihn, seinen Patienten bei allen möglichen Krankheiten<br />
hilfreich zur Seite zu stehen. Eine Halsentzündung, ein<br />
verstauchter Fuß sind nicht schwer zu behandeln. Der Arzt<br />
kann aber auch mit Problemen konfrontiert werden, die<br />
nicht einfach mit einem ja oder nein lösbar sind, die ihn an<br />
Grenzen seines medizinischen Verstehens bringen, die er<br />
nicht lösen kann, die ihn in Konflikte mit seinem Arztsein<br />
bringen. Er selber braucht Beratung. In dieser Situation gibt<br />
es Ethikkommissionen, im Bund, in den Ländern, in den<br />
Krankenhäusern. Es gibt in den Krankenhäusern Ethikbeauftragte,<br />
die von der Geschäftsführung berufen werden,<br />
die ein Fortbildungsprogramm für das Haus entwickeln und<br />
Ansprechpartner für die Patienten, für Ratsuchende, Angehörige<br />
und Mitarbeiter sind. Weiter gibt es ein Ethikforum<br />
auf der Ebene des Trägers, das ethische Fragestellungen<br />
von grundsätzlicher übergeordneter Bedeutung erörtert<br />
(Patientenverfügungen, Organtransplantation), und letztlich<br />
gibt es noch das Ethikkonzil, das bei Konflikten im<br />
Arbeitsbereich des Hauses tätig wird.<br />
Das also sind Gremien, die sich mit Machbarem und Verantwortbarem<br />
in der Medizin befassen, die neben dem Patienten<br />
stehen, die aber auch dem Arzt den Rücken und das<br />
Gewissen stärken, die vermitteln zwischen dem Möglichen<br />
und dem Sinnvollen. Sie stellen Richtlinien auf, sie setzen<br />
Maßstäbe, bewegen sich oft genug in Grenzbereichen, sind<br />
aber immer die sittliche Autorität, setzen Grenzpfähle zwischen<br />
Wunschdenken und Vertretbarem, immer in ruhigem<br />
Einvernehmen mit dem gesamten Gremium.<br />
Die Ethik in unserem Leben umfasst alle Begebenheiten<br />
von der Geburt bis zum Tode und die Ethik in der Medizin<br />
beginnt schon in der vorgeburtlichen Zeit, der Propädeutik,<br />
und begleitet uns bis in die Thanatologie. * Es sind also alles<br />
Grenzsituationen menschlichen Lebens, Probleme, die<br />
nicht neu sind, Probleme und Fragen, die nicht mit einem<br />
einfachen „ja“ oder „nein“ beantwortet werden kön nen,<br />
und Antworten, deren Richtigkeit nicht immer gleich erkennbar<br />
ist.<br />
Ethisches Denken und ethisches Handeln sollten Richtschnur<br />
für jeden Arzt und Lehrer in einem medizinischen<br />
* Wissenschaft vom Tod, vom Sterben und der Bestattung<br />
56 25 Jahre durchblick 4/<strong>2011</strong>