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2011-04_kl

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Personen<br />

Willi Otto Hahnenstein geb. am 19.09.1911<br />

Zum 100. Geburtstag eines angesehenen Siegener Bürgers<br />

Der Jubilar<br />

ist auch im<br />

hohen Alter<br />

noch geistig rüstig<br />

und erinnert sich genau<br />

an die Zeit vor etwa<br />

70 Jahren. Damals<br />

wohnte er bei seinen<br />

Eltern in der Nordstraße.<br />

Heute wohnt<br />

er im Haus seiner<br />

Tochter und seines<br />

Schwiegersohnes in<br />

Willi Otto Hahnenstein Kaan Marienborn,<br />

Grimbergstraße 22.<br />

Er war viele Jahre bei<br />

der SIEMAG (jetzt<br />

SMS) in Dahlbruch als Industrie-Kaufmann tätig und hat<br />

in jungen Jahren noch Briefe geschrieben für den bekannten<br />

Chef dieses Unternehmens, Bernhard Weiss. Zuletzt nach<br />

seinem 99. Geburtstag wurde er – wie jährlich – von der<br />

Firmenleitung abgeholt zur Jubilar-Feier, an der er neben<br />

dem jetzigen Vorstandsvorsitzenden Dr. Heinrich Weiss bevorzugt<br />

Platz nehmen konnte.<br />

Hier die Aufzeichnungen des hochdramatischen Geschehens<br />

kurz nach dem ersten schweren Bombenangriff<br />

auf Siegen am 16. Dezember 1944, der allen damals<br />

jugendlichen Mitbürgern nachhaltig im Gedächtnis geblieben<br />

ist. – Willi Hahnenstein war damals als Soldat<br />

an der Ostfront verwundet worden und aus einem Feld-<br />

Lazarett kommend zur Nachbehandlung nach Gießen in<br />

ein Wehrmacht-Lazarett verlegt worden. Dort erfuhr er<br />

von dem Luftangriff auf seine Vaterstadt Siegen. Er konnte<br />

trotz eines noch geschienten Arms mit der Bahn nach<br />

Siegen gelangen; in der Dramatik des Geschehens ohne<br />

bürokratische Urlaubserteilung; denn er war ja noch verwundeter<br />

Frontsoldat.<br />

In Siegen angekommen, wollte er nach Hause und fand<br />

zu seinem Entsetzen und innerlich schwer getroffen, seinen<br />

durch den Bombenangriff zu Tode gekommenen Vater<br />

vor dem Weidenauer Krankenhaus auf der Straße liegen,<br />

buchstäblich nur mit einer Zeitung bedeckt. Die Bergung<br />

der vielen Toten konnte ja nicht sofort von den Hilfskräften<br />

bewältigt werden. Als treuer Sohn und tatkräftiger Mann<br />

gelang es ihm endlich – nach verzweifelten Bemühungen<br />

– einen Schreiner ausfindig zu machen für einen Sarg und<br />

überdies einen einfachen Wagen (Autos gab es ja nicht<br />

mehr) mit einem Pferd bespannt, um seinen Vater in Ehren<br />

zu Grabe zu fahren.<br />

Autorenfoto<br />

Es war der Wunsch seinen Vaters gewesen, auf dem<br />

Friedhof in Gosenbach beerdigt zu werden. Dazu musste er<br />

sich zunächst Wagen und Pferd aus Gosenbach holen. Ein<br />

weiter Weg zu Fuß von Weidenau nach Gosenbach. Eine<br />

neue aufreibende Schwierigkeit kam hinzu. Die Witterung<br />

ergab leichten Schneefall und das Pferd rutschte dermaßen<br />

in der Glätte aus, dass seine Hufe mit Sac<strong>kl</strong>einen umwickelt<br />

werden mussten. Immer neue Probleme und Hürden;<br />

wer kann das aushalten? Schließlich konnte er mühsam und<br />

langsam, seinen toten Vater auf dem Wagen, den Rückweg<br />

zum Gosenbacher Friedhof antreten, doch in der Nähe<br />

der Eisenbahnbrücke am Kaisergarten ertönte ein „HALT“<br />

und zwei Uniformierte mit Stahlhelm und blankem Messingschild<br />

an einer Kette auf der Brust hielten ihn an. Feldgendarmen<br />

(so hießen damals Militärpolizisten – heutzutage<br />

Feldjäger). Willi Hahnenstein trug freilich auch seine<br />

Uniform mit Dienstpistole am Gurt. Weiterfahrt gestoppt.<br />

Ausweispapiere verlangt. Willi H. erläuterte, innerlich<br />

erregt, dass er seinen toten Vater zur Beerdigung fahren<br />

wolle. Als es dennoch (zu viele) Fragen gab, sah unser Vetter<br />

das nicht mehr ein und er schrie aufgebracht, indem<br />

er die Pistole aus dem Futteral zog „Wenn ihr mich jetzt<br />

nicht durchlasst, dann schieße ich...“ Jeder ältere Mitbürger,<br />

der die damalige Zeit erlebt hat weiß, welch hohes<br />

Risiko, selbst erschossen zu werden, unser Vetter einging,<br />

als er seine Pistole zog. Aber, Gott sei Dank, der Älteste<br />

der beiden Feldgendarmen behielt die Nerven und sagte<br />

ruhig: „Jetzt mach mal halblang, wir haben ja auch unsere<br />

Pflichten – aber jetzt sieh zu, dass du weiter kommst.“ Es<br />

konnte weitergehen und nach einer langen und schwierigen<br />

letzten Reise seines Vaters konnte er ihn schließlich ehrenvoll<br />

auf dem Friedhof in Gosenbach bestatten. So etwa<br />

ist das dramatische Geschehen für Willi Hahnenstein vor<br />

fast 70 Jahren abgelaufen. Er sagt noch heute, dass er mit<br />

seiner Nervenkraft völlig am Ende gewesen sei; übrigens<br />

sind Feldjäger im Vorrang, auch wenn der Kontrollierte den<br />

gleichen Rang hat.<br />

Soviel von seiner eigenen Erzählung. Jeder Leser wird<br />

verstehen, wie erschöpft und enttäuscht ein redlicher<br />

Mensch gewesen sein musste, der mehr als seine Pflicht<br />

erfüllt hatte. Unser Vetter Willi Hahnenstein hat trotz allem<br />

Geschehen und einem erfahrungsreichen Leben bis heute<br />

sein gesundes Gottvertrauen behalten. Eine Enkelin und<br />

zwei Urenkel wissen und werden nicht vergessen, mit allen<br />

Familienangehörigen, was sie von einem solchen (Ur)-<br />

Großvater zu halten haben, der auch mit 100 Jahren immer<br />

noch Lebensmut ausstrahlt und diesen auch an andere Menschen<br />

weiter vermittelt.<br />

Ulrich Hahnenstein<br />

(Vetter 2.Grades von Willi Otto Hahnenstein)<br />

4/<strong>2011</strong> 25 Jahre durchblick 47

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