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2011-04_kl

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Essay<br />

Die Sonde hat den Vorteil der guten Bilanzierung von<br />

Kalorien und Flüssigkeitsmenge, die Dauer der Nahrungsaufnahme<br />

ist kurz, es können Medikamente über die<br />

Sonde verabreicht werden, aber es fehlt die persönliche<br />

Zuneigung und Begleitung beim Essen, es fehlt die soziale<br />

und persönliche Bindung zu dem Menschen, der z.B. füttern<br />

müsste, gemeinsames Essen hat schließlich auch eine soziale<br />

Funktion, es fehlt der angenehme Geschmack, der das Wasser<br />

im Munde zusammenlaufen lässt, es fehlt die Vorfreude<br />

auf das Essen, es fehlt der Duft aus der Küche, der freudig<br />

den Magen schon auf das Essen vorbereitet.<br />

Zweifellos ist die Anlage einer Magensonde ein wesentlicher<br />

therapeutischer Fortschritt. Doch sollte die Indikation<br />

zur operativen Anlage dieser Sonde strenger gestellt werden.<br />

Personalmangel und Pflegeerleichterung in den Altersheimen<br />

gehören nicht zu den Indikationen. Im Hospiz haben<br />

natürlich die Gäste auch oft Magensonden oder werden anderweitig<br />

z.B. durch Infusionen künstlich ernährt.<br />

Hier ist die Situation aber völlig anders, das Denken über<br />

die Notwendigkeit der Sonde hat sich geändert, die Indikationsstellung<br />

ist eine andere. Früher war man der Meinung,<br />

die Sondenernährung könne auch in dieser Situation Hospiz<br />

die Lebenserwartung verlängern, das emotionale Wohlbefinden<br />

erhalten und die körperliche Schwäche bessern. Diese<br />

Annahmen sind zwischenzeitlich eindeutig widerlegt worden.<br />

Die Minderung der Aufnahme von Nahrung und Flüssigkeit<br />

ist ein Teil des natürlichen Sterbeprozesses, Durst<br />

und Hungergefühl haben hier eine völlig andere Wertigkeit.<br />

Außerdem ist hier zu beachten, ob bezüglich der künstlichen<br />

Ernährung in einer Patientenverfügung konkrete Aussagen<br />

gemacht worden sind.<br />

Der Patient muss eingewilligt haben, die Anlage einer<br />

Magensonde ist ein ärztlicher Eingriff in die Integrität des<br />

Körpers und das Legen einer Sonde stellt in diesem Zusammenhang<br />

eine lebensverlängernde Maßnahme dar, die ausdrüc<strong>kl</strong>ich<br />

vom Patienten verlangt worden sein muss, andernfalls<br />

handelt es sich um ein Rechtsvergehen, das heißt, wenn<br />

der Wunsch des Patienten nicht ausdrüc<strong>kl</strong>ich berücksichtigt<br />

worden ist. Im Hospiz bestehen diesbezüglich praktisch nie<br />

Probleme beim Einstellen der künstlichen Ernährung, es wird<br />

immer mit den Angehörigen und mit dem Gast, so weit er<br />

selber noch aktiv an der Entscheidung teilnehmen kann, besprochen.<br />

Hunger- und Durstgefühl sind in der Sterbephase<br />

immer schwer zu beurteilen, gute Pflege, Mundpflege, Befeuchten<br />

der Zunge sind oft besser als 500 Kalorien durch die<br />

Sonde. Wenn der Gast im Hospiz das Essen und Trinken verweigert,<br />

signalisiert er nicht unbedingt dadurch, dass er nicht<br />

mehr leben möchte, allerdings ist der Umkehrschluss, also<br />

die Verabfolgung einer Zwangsernährung, ebenso problematisch.<br />

Das Legen einer Magensonde ist immer schwierig, die<br />

Entscheidung muss immer personen- und situationsbezogen<br />

getroffen werden.<br />

Es gibt sicher zahlreiche, logisch nachvollziehbare Begründungen<br />

für das Anlegen einer Magensonde, wenn<br />

krankheitsbedingt der normale Schluckakt nicht mehr<br />

möglich ist. Es kann aber auch durchaus einmal möglich<br />

sein, dass die Magensonde wieder entfernt werden kann,<br />

wenn sich die ursächliche Krankheit gebessert hat, wenn<br />

z.B. der Patient nach dem Schlaganfall das Schlucken wieder<br />

gelernt hat. Die Magensonde war also in diesem Falle sehr<br />

hilfreich gewesen.<br />

Das sogenannte Wachkoma ist eine unerlässliche Indikation<br />

für eine Magensonde. Das Wachkoma ist eine schwere<br />

Funktionsstörung des Gehirns, wo z.B. bei einem Unfall<br />

große Anteile des Gehirns zerstört worden sind. Der Patient ist<br />

scheinbar wach, liegt mit offenen Augen da, der Blick ist starr<br />

geradeaus oder gleitet hin und her ohne Fixationspunkt. Anfassen,<br />

Ansprechen, Vorhalten von Gegenständen bleiben ohne<br />

Reaktion, es sind keine Flucht- oder Abwehrreaktionen zu provozieren.<br />

Vegetative Elementarfunktionen sind erhalten, dazu<br />

gehört z.B. der Schluckreflex (nicht immer), dennoch ist die<br />

Nahrungsverwertung erheblich gemindert, sodass die Kranken<br />

bald hochgradig abmagern und dementsprechend künstlich<br />

ernährt werden müssen. Dieser Zustand kann über sehr viele<br />

Jahre anhalten, der Kranke kann aber aus seinem Wachkoma<br />

erwachen, wobei dann immer erhebliche Defizite bleiben, der<br />

Patient ist dauerhaft schwerst hirngeschädigt. Nach den Grundsätzen<br />

der Bundesärztekammer ist ein Wachkomapatient zwar<br />

ein nicht einwilligungsfähiger, aber auch kein sterbender Patient<br />

und muss nach den Grundsätzen der medizinischen Ethik<br />

mittels einer Magensonde ernährt werden.<br />

Ein schwieriges Problem ist der Demenzkranke und<br />

die Magensonde. Alle vorhandenen Studien bezüglich der<br />

künstlichen Ernährung bei fortgeschrittener Demenz haben<br />

keine Hinweise dafür gegeben, dass die durch diese Maßnahme<br />

angestrebten Therapieziele erreicht werde können. Es<br />

zeigen sich keine Hinweise auf eine Lebensverlängerung,<br />

eine Verbesserung des Ernährungszustandes, Verbesserung<br />

der Lebensqualität, Verbesserung der Wundheilung von Geschwüren<br />

durch aufliegen. Daher wurde schon vor Jahren der<br />

Leitsatz ausgesprochen: das Missverhältnis zwischen Vorteilen<br />

und Nachteilen der künstlichen Ernährung begründet<br />

die Empfehlung, dass künstliche Ernährung bei Patienten mit<br />

fortgeschrittener Demenz nicht angewendet werden soll.<br />

Es sind nur wenige Situationen angesprochen worden,<br />

in denen es um die Frage der Sinnhaftigkeit der Anlage<br />

einer Magensonde ging. Eigentlich kann man keine Regeln<br />

oder Gebrauchsanweisungen aufstellen, es wird immer<br />

viele Unabwägbarkeiten geben. Ist es eine medizinisch<br />

sinnvolle und angemessene Maßnahme, geht es um eine<br />

Therapiebegrenzung, geht es um Lebensqualität oder etwa<br />

um Sterbehilfe? Viele unbewusste Wertungen schwingen<br />

mit. Vorabge<strong>kl</strong>ärt werden müssen die naturwissenschaftlichen<br />

Aspekte, die Vorsituation muss ge<strong>kl</strong>ärt werden, die<br />

gegenwärtige Befindlichkeit und besonders die Zielsetzung.<br />

Die Selbstbestimmung darf nicht außer acht gelassen<br />

werden (Frage der Patientenverfügung). Entscheidung<br />

für oder gegen eine Sonde wird immer schwierig bleiben.<br />

Es ist nur zu hoffen, dass hier das Wohl des Patienten das<br />

einzige Kriterium bleiben wird.<br />

<br />

62 25 Jahre durchblick 4/<strong>2011</strong>

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