2011-04_kl
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Eine Reise<br />
mit Hindernissen.<br />
Foto: Hubertus Freundt<br />
Ein Ehepaar aus meiner Nachbarschaft hier in Freudenberg<br />
war zur Hochzeit des Sohnes nach Borkum<br />
eingeladen. Da die Eltern nicht mehr so ganz jung<br />
sind, beschloss die Familie, Mutter und Vater an den Zug<br />
nach Köln zu bringen, damit sie ganz entspannt und ohne<br />
Aufregung der Feier entgegensehen konnten.<br />
Die Tochter hatte den Auftrag, sich um die entsprechenden<br />
Reiseunterlagen wie Fahrkarten, Abfahrzeiten und<br />
die Umsteigverbindungen zu kümmern. Die Reise sollte<br />
von Köln über Münster, Emden und von dort mit der Fähre<br />
nach Borkum gehen. Schon sehr früh packte die Tochter ihre<br />
Eltern mit dem Reisegepäck in ihr Auto und fuhr über die<br />
Autobahn zum Hauptbahnhof nach Köln los – man wollte<br />
vor der Abfahrt noch gemütlich zusammen frühstücken.<br />
Doch daraus wurde leider nichts, denn schon bald wartete<br />
ein ziemlicher Stau auf der Autobahn auf die Reisenden – das<br />
gemeinsame Frühstück wurde gestrichen. Leider erreichten<br />
sie den Hauptbahnhof Köln einige Minuten zu spät, der Zug<br />
hatte nicht gewartet – dieses Mal war der Zug pünktlich und<br />
die Fahrgäste zu spät, eben mal anders.<br />
Die Aufregung war groß! Was nun! Geschlossen gingen<br />
Eltern und Tochter zum Reisezentrum und berichteten von<br />
ihrem Pech. Ein freundlicher Bahnbeamter meinte: „Kein<br />
Problem, wir werden eine Lösung finden“<br />
Wichtig war für die Senioren, einen durchgehenden Zug<br />
nach Emden zu bekommen. Es dauerte nicht lange und der<br />
Bahnbeamte hatte eine neue Bahnverbindung gefunden –<br />
es gab neue Fahrkarten mit Platzreservierungen und neue<br />
Reiseunterlagen. Zwanzig Minuten später saßen die älteren<br />
Herrschaften nun endlich in ihrem Zug Richtung Emden, leider<br />
ohne Frühstück, aber gut versorgt mit Proviant, den die<br />
Tochter noch schnell besorgt hatte. Entspannt genossen die<br />
Eheleute ihre erste gemeinsame Bahnfahrt. Sie fuhren durch<br />
das Ruhrgebiet, Münster, Osnabrück, Bremen und dann hielt<br />
der Zug in Hamburg. Da wurden sie nervös und meinten, das<br />
sei die falsche Richtung. Der herbeigerufene Schaffner bestätigte<br />
ihren Verdacht und sagte ganz ruhig: „Falls Sie nach<br />
Emden wollen, hätten Sie in Münster umsteigen müssen, das<br />
hier ist der falsche Zug!“ Wieder große Aufregung, doch der<br />
Schaffner behielt die Ruhe, nahm sie mit bis Itzehoe, stellte<br />
ihnen weitere Fahrscheine aus und setzte sie wieder in einen<br />
Zug zurück nach Hamburg. Dort angekommen, sollten<br />
sie an der vorderen Waggontür aussteigen und ein Beamter<br />
mit roter Mütze würde sie in Empfang nehmen, gab er den<br />
beiden Senioren mit auf den Weg. Zurück in Hamburg stand<br />
tatsächlich der Beamte mit roter Mütze an besagter Stelle<br />
und nahm die Herrschaften in Empfang. Und wieder gab es<br />
kein Problem. Der Beamte nahm das Gepäck der beiden Reisenden,<br />
führte sie durch eine Unterführung auf einen neuen<br />
Bahnsteig und schon bald saßen sie wieder in einem anderen<br />
Zug und der fuhr nun wir<strong>kl</strong>ich nach Emden. Das erste Ziel<br />
war bald erreicht, aber die Aufregungen gingen weiter, denn<br />
das letzte Schiff nach Borkum hatte bereits das Festland verlassen,<br />
denn auch Fähren zu den Inseln haben ihren Zeitplan,<br />
und der richtet sich nach den Gezeiten.<br />
Nun kam endlich das „Handy“ des Rentners zum Einsatz.<br />
Er rief seinen Sohn an und erzählte seine Erlebnisse. Der Sohn<br />
beruhigte die Eltern und bat sie dort zu bleiben, wo sie sind,<br />
er melde sich wieder. Nach einigen Minuten fuhr ein Taxi vor,<br />
lud die Herrschaften ein und brachte sie in das nächst gelegene<br />
Hotel. Der Sohn hatte zwischenzeitlich alles für sie organisiert.<br />
Sehr erschöpft und immer noch den aufregenden Tag vor Augen,<br />
versuchte das Ehepaar zu schlafen – sie waren ja noch<br />
nicht auf der Insel, und die Trauung war für den nächsten Tag<br />
um zehn Uhr angesagt. Pünktlich zur verabredeten Uhrzeit<br />
stand das Taxi am nächsten Morgen wieder vor dem Hotel und<br />
brachte die Senioren zum Schiffsanlegeplatz. Das Schiff musste<br />
sich natürlich wieder nach der Tide richten und erreichte<br />
die Insel Borkum um elf Uhr. Das Brautpaar hatte sich schon<br />
nach der Ankunftszeit des Schiffes erkundigt und die Trauung<br />
um eine Stunde verschieben lassen. Der Standesbeamte hatte<br />
natürlich großes Verständnis für die Notsituation und meinte<br />
sehr entspannt: „Kein Problem, dann verschieben wir die<br />
Trauung um eine Stunde.“<br />
Nur drei Stunden konnten die Eltern an der Hochzeitsfeier<br />
teilnehmen, dann traten sie schon wieder die Heimreise<br />
an. Doch dieses Mal kam das Schiff mit Verspätung auf dem<br />
Festland an – der Zug hatte gewartet. Die weitere Reise verlief<br />
dann ohne Zwischenfälle. Die Tochter nahm ihre Eltern<br />
in Köln erleichtert in Empfang.<br />
Auf meine persönliche Frage an die Senioren, ob das nun<br />
ihre erste und letzte Fahrt mit dem Zug gewesen sei, sagten<br />
beide übereinstimmend: „Ganz im Gegenteil, wir haben so<br />
viel Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit auf der Reise erfahren,<br />
dass wir jederzeit wieder die Bahn benutzen werden.“<br />
Helga Siebel-Achenbach<br />
4/<strong>2011</strong> 25 Jahre durchblick 27