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2011-04_kl

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Essay<br />

Siegener Hozpizgebäude am Stilling Krankenhaus<br />

Hospiz und Palliativmedizin und Sterben in Würde<br />

Das Heilen von Krankheiten war in der Medizin immer<br />

das führende Motiv, besonders in der mo dernen Medizin.<br />

Ideen werden begeistert aufgenommen und in großem Rahmen<br />

verbreitet. Ziel war stets die Heilung, auch bei weit<br />

fortgeschrittenen, damals eigentlich unheilbaren, oft tödlich<br />

verlaufenden Erkrankungen. In radikalen Eingriffen wurden<br />

die Menschen verstümmelt, und die anschließende Bestrahlungstherapie<br />

sorgte dann noch dafür, dass die Wunden auch<br />

äußerlich nicht zur Heilung kamen. Als Beispiele seien genannt<br />

der Brustkrebs der Frauen und der Enddarmkrebs. Man<br />

wusste es damals nicht besser, wollte es sicher gut machen.<br />

Die Menschen litten, hatten Angst vor dem Sterben, sie wurden<br />

allein gelassen.<br />

Dann kamen die Idee von der Palliativmedizin und die<br />

Hospizidee, die die Menschen schützend im Sterben begleiteten.<br />

Die Idee wurde vor etwa 20 Jahren entwickelt.<br />

Sie wollte eine ganzheitliche Behandlung der Kranken bei<br />

fortgeschrittenen und weiter fortschreitenden Krankheiten<br />

mit begrenzter Lebenserwartung verwir<strong>kl</strong>ichen, wollte die<br />

Kranken auffangen und mit einem schützenden, wärmenden<br />

Mantel umhüllen (Pallium = der Mantel) und das Gefühl<br />

der Geborgenheit vermitteln. Die Palliativmedizin wurde<br />

u.a. gegründet, weil man die weitgehende Vernachlässi gung<br />

Sterbender, vor allem sterbender Krebspatienten, erkannt<br />

hatte. Die Entwic<strong>kl</strong>ung hatte dazu geführt, dass Ärzte und<br />

Behandlungsteams für die ganzheitliche Wahrnehmung<br />

dieser Schwerst kranken blind geworden waren. So wurde<br />

die Palliativmedizin eine Opposition gegen die Trennung<br />

von Heilung und Fürsor ge, gegen die Spaltung von Körper,<br />

Geist und Seele, gegen die Spaltung von Kranken und deren<br />

Familien, gegen die Trennung von <strong>kl</strong>inischer Objektivität<br />

und Mitgefühl, und vor allem gegen die Trennung der<br />

verschiedenen <strong>kl</strong>inischen Fachdisziplinen. Die Palliativmedizin<br />

ist also die praktische Kritik an dem Diktat, dass wissenschaftliche<br />

Medizin, effiziente Arbeit und einfühlsamer<br />

Beistand für leidende Menschen Verpflichtungen darstellen,<br />

die sich gegenseitig ausschließen. Um zwei besondere<br />

Leistungen für die Kranken bemüht sich die Palliativmedizin<br />

in erster Linie: um die Befreiung<br />

Kranker und Sterbender von quälenden Schmerzen,<br />

hartnäckigen Symptomen wie Not von Körper und<br />

Seele. Die zweite Leistung ist, die Sehnsucht und<br />

die quälenden Fragen des sterbenden Menschen zu<br />

erfühlen und erspüren und diesen einen Raum zu<br />

geben. Das Palliativteam, die Ärzte, Schwestern<br />

und Pfleger, müssen eine besondere wissenschaftliche<br />

und <strong>kl</strong>inische Wahrnehmung für die Situation<br />

dieser Schwerstkranken haben und müssen dieses<br />

erahnen aus Gesten, aus Mimik, ohne Worte, die<br />

oft vernichtenden Schmerzen, das Unwohlsein, die<br />

Ver zweiflung, Schlaflosigkeit, Müdigkeit, die Ängste,<br />

die Freuden, die Sorgen, die Schuldgefühle, die<br />

Unsicherheit, die Befürch tungen und vieles mehr.<br />

Da, wo der Arzt einfach so sagt „ich kann ihnen<br />

nicht mehr helfen“, gerade da beginnt die große verantwortungsvolle<br />

Tätigkeit in der Palliativmedizin.<br />

Im Zusammenhang mit dem Sterben und dem Tod besteht<br />

in der Palliativmedizin folgende Zielsetzung:<br />

Foto: Diakonie Südwestfalen<br />

• „Denen, die noch nicht sterben müssen, leben zu helfen,<br />

und zwar so vollständig, wie es ih nen möglich ist;<br />

• Denen, die nicht mehr leben können, zu helfen, zur rechten<br />

Zeit zu sterben, nicht zu früh und nicht zu spät;<br />

• Denen, die jetzt sterben müssen und im Sterben liegen, zu<br />

helfen, mit Würde und in Frieden zu sterben;<br />

• Denen, die nach dem Tode eines geliebten Menschen<br />

vom Verlustgefühl überwältigt werden, zu helfen, durch<br />

ihre Trauer zu wachsen und zu reifen;“<br />

Diese Komplexe bilden den Rahmen der Ethik in der<br />

Palliativmedizin. Die enormen Fortschritte in der Medizintechnik<br />

mit den unglaublichen Interventionsmöglichkeiten<br />

verleiten den Mediziner, zu hoch zu greifen, seine Grenzen<br />

nicht mehr zu erkennen. Hier helfen nur die ethischen Grundwerte<br />

in der Medizin, die an die Verantwortlichkeit des Menschen<br />

appellieren.<br />

Es mag immer wieder Unsicherheiten geben, ob und<br />

wann lebensverlängernde Maßnahmen z.B. forciert oder beendet<br />

werden müssen, „kann ich das? darf ich das? muss ich<br />

das oder darf ich das nicht? Erwartet das der Schwerstkranke<br />

oder welches ist sein Wunsch? „Welchen Druck üben die<br />

Angehörigen im Hintergrund aus?“ Es ist ein großes Feld,<br />

das sich da auf tut, das immer wichtiger wird, weil wir unserer<br />

Umwelt nicht mehr gewachsen sind, weil wir wie der<br />

Zauberlehrling vieles anstoßen, aber dann den fortlaufenden<br />

Mechanismus nicht mehr zügeln können.<br />

In der Palliativmedizin werden Entscheidungen immer<br />

im Team getroffen. In diesem Team steht an erster Stelle der<br />

Patient selber, dann weiter der Arzt, die Schwestern und die<br />

Pfleger, zusammen mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern, den<br />

Seelsorgern und Psychotherapeuten und letztlich natürlich<br />

auch die Angehörigen. Kriterien für das weitere Procedere<br />

58 25 Jahre durchblick 4/<strong>2011</strong>

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