Neues vom Antisemitismus: Zustände in Deutschland
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tremer Agitation, das heute zunehmend auch <strong>in</strong> Teilen der demokratischen Öffentlichkeit<br />
E<strong>in</strong>gang gefunden hat. Es wird e<strong>in</strong> »jüdisches Tabu« konstruiert, um es<br />
unter Berufung auf das Recht auf freie Me<strong>in</strong>ungsäußerung »mutig« und »freiheitlich«<br />
brechen zu können. Der Sozialwissenschaftler Lars Rensmann umschreibt<br />
diese Taktik als »imag<strong>in</strong>ären <strong>Antisemitismus</strong>«. Beispielhaft lässt sich dies am Fall<br />
des ehemaligen Vize-Vorsitzenden der Freien Demokraten, Jürgen W. Möllemann,<br />
zeigen: Denn er versuchte als Mitglied e<strong>in</strong>er demokratischen Partei, das<br />
Muster des »Tabubruchs« gegen Juden <strong>in</strong> die etablierte Politik zu überführen. 5 Im<br />
Bundestagswahlkampf 2002 gipfelten »Tabubrüche« <strong>in</strong> der politischen Kampagne<br />
der FDP gegen Israel und dessen damaligen M<strong>in</strong>isterpräsidenten Ariel Sharon, die<br />
von Möllemann für das Wiederaufleben e<strong>in</strong>es neuen <strong>Antisemitismus</strong> verantwortlich<br />
gemacht wurden. Die Wirksamkeit von Möllemanns Ausfällen ist erst angemessen<br />
zu erkennen, wenn man die Tausende von antisemitischen Leserbriefen und Emails<br />
beachtet, die er öffentlichkeitswirksam zur Untermauerung se<strong>in</strong>er Position zur<br />
Schau stellen konnte. Rückblickend betrachtet, fanden antisemitische Motive und<br />
Stereotypen durch die fortwährenden Initiativen Möllemanns und durch ihre Akzeptanz<br />
<strong>in</strong> der FDP erstmals seit der Frühphase der Bundesrepublik <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bundestagswahlkampf<br />
e<strong>in</strong>e offene politische Plattform <strong>in</strong>nerhalb der demokratischen Parteienlandschaft.<br />
Konsequenzen haben nur sehr wenige gezogen. Noch heute wird<br />
der Kasus Möllemann nicht als antisemitischer Akt gewertet, und das antisemitische<br />
Flugblatt, mit dem er für den Wahlkampf Friedman und Sharon diffamierte, bezeichnen<br />
die Medien <strong>in</strong> Teilen bis heute als »israelkritisch«.<br />
<strong>Antisemitismus</strong> nach dem 11. September 2001<br />
Bereits unmittelbar nach dem 11. September wurde deutlich, dass der <strong>Antisemitismus</strong><br />
längst ke<strong>in</strong> tabuisiertes Schattendase<strong>in</strong> mehr fristet. Er ist kulturell wieder salonfähig<br />
und zu e<strong>in</strong>er offen sichtbaren Ersche<strong>in</strong>ung geworden. Verschwörungstheoretische<br />
Spekulationen, die das Schicksal der Welt <strong>in</strong> den Händen weniger,<br />
unsichtbarer – zuvörderst jüdischer – Cliquen sehen, haben seit den Anschlägen<br />
<strong>vom</strong> 11. September 2001 Hochkonjunktur. Die Ablehnung Israels, die antizionistische<br />
Israelfe<strong>in</strong>dlichkeit, rationalisiert sich <strong>in</strong> der Haltung, Israel sei e<strong>in</strong>e Gefahr<br />
für den Weltfrieden. Gesellschaftliche Verhältnisse werden zunehmend vere<strong>in</strong>fachend<br />
personifiziert <strong>in</strong> die verme<strong>in</strong>tlichen »Herrscher der Welt«. So f<strong>in</strong>den sich<br />
solche Personifizierungen <strong>in</strong> antiamerikanischen Karikaturen von amerikanischen<br />
Präsidenten genauso wie <strong>in</strong> antisemitischen, die den jeweiligen israelischen Regierungschef<br />
zum Gegenstand haben.<br />
5 Vgl. Lars Rensmann: Alte und neue Formen des <strong>Antisemitismus</strong>. Judenfe<strong>in</strong>dliche Vorurteile und Bestrebungen<br />
vor und nach den Terroranschlägen von New York und Wash<strong>in</strong>gton, <strong>in</strong>: Tobias Ebbrecht, Johanna Müller u. a.<br />
(Hrsg.): The f<strong>in</strong>al <strong>in</strong>sult. Das Diktat gegen die Überlebenden. Deutsche Er<strong>in</strong>nerungsabwehr und Nichtentschädigung<br />
der NS-Sklavenarbeit, Münster 2003, S. 170 f.<br />
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