Neues vom Antisemitismus: Zustände in Deutschland
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enten se<strong>in</strong>er Rede, zumal für schlichte Gemüter, blieben die gegen die Juden<br />
gemünzten Formulierungen, wie sie hier exemplarisch zitiert worden s<strong>in</strong>d, wegen<br />
ihrer Bildhaftigkeit und Radikalität im Gedächtnis haften und bekamen so möglicherweise<br />
e<strong>in</strong>e gewisse Eigendynamik. Insofern ist die grundsätzliche Differenz<br />
Stoeckers zu besonders primitiven und rassistischen Varianten des <strong>Antisemitismus</strong><br />
zu erwähnen, zugleich aber die potentielle Ausdeutung mancher se<strong>in</strong>er Anschauungen<br />
– nolens volens – <strong>in</strong> genau diesem S<strong>in</strong>ne hervorzuheben.<br />
Der Christlich-Sozialen Partei Stoeckers blieb letztlich e<strong>in</strong> nachhaltiger Erfolg<br />
versagt. Zwar gelang ihm 1881 der E<strong>in</strong>zug <strong>in</strong> den Reichstag, allerd<strong>in</strong>gs im westdeutschen<br />
Wahlkreis Siegen. Auch se<strong>in</strong> Mandat im Preußischen Abgeordnetenhaus<br />
erwarb er nicht <strong>in</strong> der Hauptstadt des Kaiserreiches, sondern im westfälischen<br />
Wahlkreis M<strong>in</strong>den. In Berl<strong>in</strong> vermochte er den stark anwachsenden<br />
E<strong>in</strong>fluss der Sozialdemokratie ebensowenig zu brechen wie die weiterh<strong>in</strong> starke<br />
Position der Deutschen Fortschrittspartei, die den prom<strong>in</strong>enten Mediz<strong>in</strong>er Professor<br />
Rudolf Virchow – auch er e<strong>in</strong> Opponent He<strong>in</strong>rich v. Treitschkes im »Berl<strong>in</strong>er<br />
<strong>Antisemitismus</strong>streit« – <strong>in</strong> das Parlament entsandte. Immerh<strong>in</strong> gelang es ihm aber<br />
mit se<strong>in</strong>er »Berl<strong>in</strong>er Bewegung«, große öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen.<br />
Als Abgeordneter des Preußischen Landtages von 1879 bis 1898 und des Deutschen<br />
Reichstages von 1881 bis 1893 und wiederum von 1898 bis 1908 war<br />
Stoecker (bis zu se<strong>in</strong>em Ausschluss 1896) Mitglied der Fraktion der von großagrarischen<br />
Interessen dom<strong>in</strong>ierten Deutschkonservativen Partei. Ohneh<strong>in</strong> agierten<br />
die Christlich-Sozialen seit 1881 <strong>in</strong>nerhalb dieser Partei als e<strong>in</strong>e »selbständige«<br />
Gruppierung. Dies bedeutete <strong>in</strong> der parlamentarischen Praxis häufig genug,<br />
solche Kompromisse mit der konservativen »Junkerpartei« schließen zu müssen,<br />
die den Vorstellungen und Zielen der Christlich-Sozialen zuwider liefen. Davon<br />
wird weiter unten noch die Rede se<strong>in</strong>. Auch daran wurde deutlich: Der politische<br />
<strong>Antisemitismus</strong> <strong>in</strong> Gestalt der Christlich-Sozialen Partei, der sich als eigenständige<br />
Kraft <strong>in</strong> die politische Arena begeben hatte, um zahlreiche Wählerstimmen<br />
zu gew<strong>in</strong>nen und dabei auf die nachhaltige Erzielung e<strong>in</strong>es Massene<strong>in</strong>flusses hoffte,<br />
war letztlich gescheitert. Das ursprüngliche, wohl größenwahns<strong>in</strong>nig zu nennende<br />
Anliegen Stoeckers und se<strong>in</strong>er »Berl<strong>in</strong>er Bewegung«, den E<strong>in</strong>fluss der Sozialdemokratie<br />
mittels e<strong>in</strong>er Komb<strong>in</strong>ation aus sozialer Demagogie und antisemitischer Propaganda<br />
zu brechen, endete angesichts des Aufstiegs der SPD zur schließlich größten<br />
und wählerstärksten Partei im Deutschen Kaiserreich als völliges Fiasko.<br />
Zu den bemerkenswertesten antijüdischen Hetzern se<strong>in</strong>er Zeit zählte der Volkskundler<br />
und Bibliothekar Otto Böckel (1859-1923), genannt der »hessische Bauernkönig«.<br />
30 Er verfügte <strong>in</strong>nerhalb der Landbevölkerung über e<strong>in</strong>en derart starken<br />
Rückhalt, dass er 1887, gerade 27 Jahre alt, im Wahlkreis Kassel-Marburg mit<br />
30 Vgl. Paul W. Mass<strong>in</strong>g: Vorgeschichte des politischen <strong>Antisemitismus</strong>, Frankfurt a. M. 1986, S. 83 ff.; John Weiss:<br />
Der lange Weg zum Holocaust, S. 145 ff., 164 ff. u. 170 f.; Jacob Toury: <strong>Antisemitismus</strong> auf dem Lande: Der Fall<br />
Hessen 1881-1895, <strong>in</strong>: Monika Richarz, Re<strong>in</strong>hard Rürup (Hrsg.): Jüdisches Leben auf dem Lande. Studien zur<br />
deutsch-jüdischen Geschichte, Tüb<strong>in</strong>gen 1997, S. 173 ff.<br />
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