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Neues vom Antisemitismus: Zustände in Deutschland

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So konnte bei veränderten politischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen schließlich 1892<br />

der <strong>Antisemitismus</strong> beim »Tivoli«-Parteitag <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, der »teilweise den Charakter<br />

e<strong>in</strong>er lärmenden antisemitischen Volksversammlung angenommen hatte«, wobei<br />

»sogar e<strong>in</strong>em Radikalen wie Ahlwardt Beifall gezollt« 47 wurde, offizieller Bestandteil<br />

des Parteiprogramms werden. Bei nur e<strong>in</strong>er Gegenstimme wurde<br />

folgender Passus <strong>in</strong> das Programm aufgenommen: »Wir bekämpfen vielfach sich<br />

vordrängenden und zersetzenden jüdischen E<strong>in</strong>fluss auf unser Volksleben. Wir<br />

verlangen für das christliche Volk e<strong>in</strong>e christliche Obrigkeit und christliche Lehrer<br />

für christliche Schüler.« Der im ursprünglichen Formulierungsvorschlag enthaltene<br />

abschließende Satz wurde bemerkenswerter Weise nicht verabschiedet:<br />

»Wir verwerfen die Ausschreitungen des <strong>Antisemitismus</strong>.« 48 Dieser Sieg des <strong>Antisemitismus</strong><br />

und se<strong>in</strong>e Folgewirkungen für den politischen Konservatismus, weit<br />

über die Zeit des Kaiserreiches h<strong>in</strong>ausreichend, war für die soziale Verankerung<br />

der Judenfe<strong>in</strong>dschaft unvergleichlich schwerwiegender und folgenreicher als jedes<br />

Reichstagsmandat für e<strong>in</strong>en antisemitischen Abgeordneten.<br />

Hellmut v. Gerlach, zu jener Zeit entschiedener Antisemit und Mitstreiter<br />

Adolf Stoeckers, später königlich-preußischer Landrat, schließlich zu (l<strong>in</strong>ks)liberalen<br />

Auffassungen konvertiert, schrieb 1905 <strong>in</strong> der Rückschau zur Bedeutung der<br />

antisemitischen Ausrichtung des deutschkonservativen Programms: »Die Aufnahme<br />

des <strong>Antisemitismus</strong> <strong>in</strong> das Programm der konservativen Partei war der<br />

größte moralische Erfolg, der für ihn denkbar war. Bisher offiziell vertreten nur<br />

von e<strong>in</strong>zelnen Parteisplitterchen, wurde er nunmehr legitimer Besitz e<strong>in</strong>er der<br />

größten Parteien, der Partei vor allem, die dem Throne am nächsten steht, die die<br />

wichtigsten Stellen im Staate besetzt. Der <strong>Antisemitismus</strong> war hart an die Grenze<br />

der Hoffähigkeit herangerückt.« 49<br />

Ebenso wie die Verb<strong>in</strong>dung von <strong>Antisemitismus</strong> und politischem Konservatismus<br />

sollte sich für die zukünftige gesellschaftlich-politische Entwicklung als besonders<br />

verhängnisvoll erweisen, dass <strong>in</strong>nerhalb der Studentenschaft und ihrer<br />

Organisationen, vor allem <strong>in</strong> den seit 1880 gegründeten, explizit judenfe<strong>in</strong>dlichen<br />

Studentengruppen, die sich zum Vere<strong>in</strong> Deutscher Studentenschaften (VDSt) zusammenschlossen,<br />

der <strong>Antisemitismus</strong> auf e<strong>in</strong>e fast beispiellose Resonanz stieß. 50<br />

Lange vor se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>führung im faschistischen Regime kannte man hier den<br />

»Arierparagraphen«. Der akademische <strong>Antisemitismus</strong>, der sich nach und nach<br />

auch auf die traditionellen Verbände und Korporationen ausdehnte, praktizierte<br />

konsequent die gesellschaftliche Ausgrenzung, Ächtung und Verunglimpfung<br />

alles Jüdischen. Dabei wurde es bald zur selbstverständlichen Praxis, auch zum<br />

47 Werner Jochmann: <strong>Antisemitismus</strong> im Deutschen Kaiserreich 1871-1914, <strong>in</strong>: ders., Gesellschaftskrise und Judenfe<strong>in</strong>dschaft<br />

<strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong> 1870-1945, 2. Aufl., Hamburg 1991, S. 78.<br />

48 Schultheß' Europäischer Geschichtskalender: Neue Folge, 8. Jg., 1892, München 1893, S. 192 ff.<br />

49 Zitiert nach: Paul W. Mass<strong>in</strong>g: Vorgeschichte des politischen <strong>Antisemitismus</strong>, S. 70.<br />

50 Vgl. hierzu das Standardwerk von Norbert Kampe: Studenten und »Judenfrage« im Deutschen Kaiserreich. Die<br />

Entstehung e<strong>in</strong>er akademischen Trägerschicht des <strong>Antisemitismus</strong>, Gött<strong>in</strong>gen 1988.<br />

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