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Neues vom Antisemitismus: Zustände in Deutschland

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wurde staatlicherseits verboten, doch se<strong>in</strong>en Exponenten konnten kaum noch<br />

Zügel angelegt werden. Jeder Fortschritt bei der E<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong>er jüdischen kulturellen<br />

Infrastruktur rief neue antisemitische Angriffe hervor. Teile des Offizierskorps,<br />

der alten Nomenklatura und ehemalige Propagandisten des »Marxismus-<br />

Len<strong>in</strong>ismus« an Hochschule<strong>in</strong>richtungen versuchten, ihr dramatisch gesunkenes<br />

Sozialprestige durch e<strong>in</strong>en militanten Nationalismus und <strong>Antisemitismus</strong> zurückzugew<strong>in</strong>nen.<br />

Ihr Appell an den Rassismus fand und f<strong>in</strong>det offene Ohren bei vielen<br />

Verlierern des Kurses <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>es Manchester-Kapitalismus, den die gewendete<br />

Bürokratie e<strong>in</strong>schlug. Seit 1990 hat über e<strong>in</strong>e halbe Million russischer<br />

Juden das Land verlassen, die Mehrheit <strong>in</strong> Richtung Israel. Die zweitgrößte jüdische<br />

»Diaspora«-Geme<strong>in</strong>schaft der Welt löste sich auf. Dies zeigt auf bedrückende<br />

Weise, dass der stal<strong>in</strong>istische Sozialismus die jüdische Frage nicht gelöst hat. Se<strong>in</strong><br />

negatives, unheilvolles Erbe wirkt noch lange fort. Doch muss mit Blick auf die<br />

tiefsitzenden, immer wieder reaktivierten antisemitischen Traditionen wohl generell<br />

bezweifelt werden, ob den verbliebenen Juden <strong>in</strong> den Nachfolgestaaten der<br />

Sowjetunion e<strong>in</strong>e Zukunft als ethnisch-soziale Geme<strong>in</strong>schaft beschieden ist.<br />

E<strong>in</strong>ige Schlussfolgerungen für die Forschungsarbeit<br />

Was ergibt sich aus all dem für die Forschung, die sich – hoffentlich <strong>in</strong> steigendem<br />

Maße – diesen Fragen zuwendet? E<strong>in</strong>ige Probleme seien genannt:<br />

1. Welchen E<strong>in</strong>fluss hatten die unmittelbaren und die mittelbaren Folgen der<br />

Spaltung der Arbeiterbewegung im August 1914? Die unmittelbaren Folgen waren<br />

die Herausbildung verschiedener Zentren der <strong>in</strong>ternationalen Arbeiterbewegung,<br />

die dann 1923 <strong>in</strong> die Etablierung zweier e<strong>in</strong>ander bekämpfender Internationalen,<br />

der Kom<strong>in</strong>tern und der SAI, mündete. Alle Argumente, auch im H<strong>in</strong>blick<br />

auf den <strong>Antisemitismus</strong>, den Zionismus, die Paläst<strong>in</strong>a-Problematik oder die jüdische<br />

Frage allgeme<strong>in</strong>, wurden unter den Bed<strong>in</strong>gungen e<strong>in</strong>er Konkurrenz-Situation<br />

entwickelt. Statt des Dialoges der verschiedenen Organisationen gab es e<strong>in</strong>e oft<br />

bis <strong>in</strong>s Irrationale übersteigerte wilde Kontroverse, an der beide Seiten ihren Anteil<br />

hatten. 63 Die mittelbaren Folgen dieser Entwicklung hängen mit der immer<br />

stärkeren Bürokratisierung von Kom<strong>in</strong>tern, SAI und ihren jeweiligen Parteien zusammen.<br />

Im Kampf gegen die jeweils andere Internationale erblickten stal<strong>in</strong>istische<br />

wie auch reformistische Ideologen, Propagandisten oder Sachwalter ihr<br />

verme<strong>in</strong>tlich ureigenes Interesse. Dass diese tragische Entwicklung e<strong>in</strong>e unüberw<strong>in</strong>dbare<br />

Kluft schuf, aus der heraus der Nazismus e<strong>in</strong>en Teil se<strong>in</strong>er tödlichen Destruktionskraft<br />

bezog, ist <strong>in</strong> der Forschung kaum noch umstritten.<br />

63 So glaubte der SPD-Vorsitzende Otto Wels auf dem Gründungskongress der SAI 1923 <strong>in</strong> Hamburg vor der<br />

»Schlammwelle der kommunistischen Bewegung« warnen zu müssen. Protokoll des Internationalen Sozialistischen<br />

Arbeiterkongresses <strong>in</strong> Hamburg, 21. bis 25. Mai 1923, Berl<strong>in</strong> 1923, S. 15. Die spiegelbildliche »Sozialfaschismus-Theorie«<br />

und ihre desaströsen Folgen für die Entwicklung der Kom<strong>in</strong>tern s<strong>in</strong>d bekannt.<br />

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