Neues vom Antisemitismus: Zustände in Deutschland
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möglichst großen Profits, die Wege dorth<strong>in</strong> seien mit systematischem Schw<strong>in</strong>del<br />
und Betrug gepflastert gewesen. 12<br />
Diese Artikelserie erschien 1876 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er erweiterten Fassung als Buch und erlebte<br />
zahlreiche Auflagen. Wenn man es so formulieren möchte, dann war diese<br />
Publikation der erste antisemitische »Bestseller«. Besonders durch den 1880 von<br />
ihm gegründeten »Kulturkämpfer«, e<strong>in</strong>e dem <strong>Antisemitismus</strong> verpflichtete Zeitschrift,<br />
<strong>in</strong> der auch e<strong>in</strong>flussreiche und gut <strong>in</strong>formierte Politiker, Abgeordnete und<br />
Staatsbeamte – allerd<strong>in</strong>gs anonym – zu Worte kamen, blieb Glagau bis zu se<strong>in</strong>em<br />
Tode e<strong>in</strong>er der wichtigsten Exponenten des <strong>Antisemitismus</strong> im Bismarckreich,<br />
auch wenn er nie e<strong>in</strong> politisches Amt oder parlamentarisches Mandat bekleidete<br />
und als Redner für Volksversammlungen gänzlich unbegabt war.<br />
Glagau blieb e<strong>in</strong> Gegner des »Radau-<strong>Antisemitismus</strong>«, der die denkbar primitivsten<br />
Anschauungen über Juden verbreitete und auch die Anwendung von<br />
Gewalt <strong>in</strong>s Kalkül zog. Für ihn war die »Judenfrage« primär e<strong>in</strong>e »sozialökonomische<br />
Frage«, für deren Existenz er »beweiskräftiges« statistisches und biographisches<br />
Material zusammentrug. Aber manche se<strong>in</strong>er exzessiv judenfe<strong>in</strong>dlichen<br />
Aussagen, so sche<strong>in</strong>t es, blieben durchaus <strong>in</strong>terpretationsfähig und ließen Raum<br />
für Schlussfolgerungen, die <strong>in</strong> der Befürwortung von Gewaltaktionen gegen Juden<br />
e<strong>in</strong>münden konnten, auch wenn er selbst beteuerte, nur gegen »Auswüchse«<br />
der verme<strong>in</strong>tlichen Juden-Herrschaft vorgehen zu wollen. Im Vorwort zu se<strong>in</strong>en<br />
gesammelten Aufsätzen <strong>in</strong> der »Gartenlaube« schrieb er z. B. im Jahre 1876: »Ich<br />
will die Juden nicht umbr<strong>in</strong>gen oder abschlachten, sie auch nicht aus dem Lande<br />
vertreiben, ich will ihnen nichts nehmen von dem, was sie e<strong>in</strong>mal besitzen – aber<br />
ich will sie revidieren, und zwar funditus revidieren. Nicht länger dürfen falsche<br />
Toleranz und Sentimentalität, leidige Schwäche und Furcht uns Christen abhalten,<br />
gegen die Auswüchse, Ausschreitungen und Anmaßungen der Judenschaft vorzugehen.<br />
Nicht länger dürfen wir’s dulden, dass die Juden sich überall <strong>in</strong> den Vordergrund,<br />
an die Spitze drängen, überall die Führung, das große Wort an sich<br />
reißen. Sie schieben uns Christen stets bei Seite, sie drücken uns an die Wand, sie<br />
nehmen uns die Luft und den Atem. Sie führen tatsächlich die Herrschaft über<br />
uns; sie besitzen e<strong>in</strong>e gefährliche Übermacht, und sie üben e<strong>in</strong>en höchst unheilvollen<br />
E<strong>in</strong>fluss. Seit vielen Jahrhunderten ist es wieder zum ersten Mal, dass e<strong>in</strong><br />
fremder, an Zahl so kle<strong>in</strong>er Stamm die große eigentliche Nation beherrscht. Die<br />
ganze Weltgeschichte kennt ke<strong>in</strong> zweites Beispiel, dass e<strong>in</strong> heimatloses Volk, e<strong>in</strong>e<br />
12 Als exemplarischer Repräsentant der »Gründer« galt (nicht nur bei Otto Glagau) der Berl<strong>in</strong>er Spekulant und Eisenbahn-F<strong>in</strong>anzier<br />
Henry Strousberg. Er hatte im großen Stile Kapitalien, vor allem für den Eisenbahnbau <strong>in</strong><br />
<strong>Deutschland</strong> und <strong>in</strong> Rumänien, e<strong>in</strong>gesammelt und praktizierte e<strong>in</strong>en fast beispiellos luxuriösen Lebensstil. Am<br />
Ende wurde er <strong>in</strong>solvent und während e<strong>in</strong>es Aufenthaltes <strong>in</strong> Russland verhaftet und zu e<strong>in</strong>er Gefängnisstrafe verurteilt.<br />
Vgl. hierzu Horst Mauter: Aufstieg und Fall des »Eisenbahnkönigs« Bethel Henry Strousberg (1823 bis<br />
1884). E<strong>in</strong> Beitrag zur Geschichte der <strong>in</strong>dustriellen Revolution <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Berl<strong>in</strong> 1981; Ralf Roth: Der Sturz des<br />
Eisenbahnkönigs Bethel Henry Strousberg. E<strong>in</strong> jüdischer Wirtschaftsbürger <strong>in</strong> den Turbulenzen der Reichsgründung,<br />
<strong>in</strong>: Jahrbuch für <strong>Antisemitismus</strong>forschung, Bd. 10, 2001, S. 86 ff.<br />
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