Neues vom Antisemitismus: Zustände in Deutschland
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die brutale Durchführung dieser Kampagne durch Kaganowitsch <strong>in</strong> der Ukra<strong>in</strong>e,<br />
trug entscheidend zum Wachstum des bäuerlichen <strong>Antisemitismus</strong> bei. 55 Dennoch<br />
dürfte feststehen, dass die Stal<strong>in</strong>isierung der Sowjetunion zwar zum Anwachsen<br />
des <strong>Antisemitismus</strong> führte, dass auch die Stal<strong>in</strong>-Fraktion geschickt antijüdische<br />
Ressentiments ausnutzte, dass aber all dies ohne e<strong>in</strong>e manifeste vorrevolutionäre<br />
Bee<strong>in</strong>flussung der Massen nicht möglich gewesen wäre. Die Stal<strong>in</strong>isten nutzten<br />
somit e<strong>in</strong>erseits antisemitische Stimmungen geschickt <strong>in</strong> ihrem S<strong>in</strong>ne, erzeugten<br />
andererseits <strong>in</strong>des wohl ungewollt e<strong>in</strong>en starken <strong>Antisemitismus</strong> unter der Oberfläche.<br />
Sie wirkten e<strong>in</strong>em solchen <strong>Antisemitismus</strong> aber ke<strong>in</strong>eswegs <strong>in</strong> der Weise<br />
entgegen, wie es nötig und möglich gewesen wäre. Zur Entfremdung zwischen<br />
Juden und Nichtjuden trug auch das seit 1928 bestehende Verbot der Auswanderung<br />
aus der UdSSR bei. Obwohl dies alle Bürger betraf, kam es durch den Abbruch<br />
der zionistischen Auswanderung nach Paläst<strong>in</strong>a bei den Juden zu e<strong>in</strong>em<br />
spezifischen »Emigrationsstau« (als das Verbot dann <strong>in</strong> den siebziger Jahren allmählich<br />
weniger restriktiv ausgelegt wurde, erschienen die Juden mitsamt ihren<br />
Emigrationswellen wiederum als gegenüber den anderen Sowjetbürgern privilegiert).<br />
Im Vorfeld des Paktes mit <strong>Deutschland</strong> wurde 1939 e<strong>in</strong>e Reihe von Juden<br />
aus dem diplomatischen Dienst entfernt, darunter Außenm<strong>in</strong>ister Litw<strong>in</strong>ow. Doch<br />
sche<strong>in</strong>t dies vor allem damit zusammenzuhängen, dass jüdische Diplomaten besonders<br />
engagiert Litw<strong>in</strong>ows Politik der kollektiven Sicherheit und damit e<strong>in</strong><br />
Bündnis mit dem Westen gegen Hitler verfochten. 56 Doch die schwersten Verluste<br />
hatten die Juden durch die Schließung vieler kultureller E<strong>in</strong>richtungen, der Auflösung<br />
e<strong>in</strong>er Reihe von Organisationen und der H<strong>in</strong>richtung zahlreicher Partei- und<br />
Staatsfunktionäre im Gebiet Birobidshan zu erleiden. 57<br />
Es sei ke<strong>in</strong>eswegs verschwiegen, dass aufgrund der Befehle Stal<strong>in</strong>s zwei und<br />
e<strong>in</strong>e halbe Millionen Juden, zusammen mit anderen Sowjetbürgern, 1941 rechtzeitig<br />
aus dem Westen der Sowjetunion <strong>in</strong>s Landes<strong>in</strong>nere evakuiert und somit der<br />
Vernichtung durch die Nazis gerettet wurden! Die Hoffnung, dass sich nach dem<br />
größten und bestorganisierten Völkermord der Geschichte ke<strong>in</strong>erlei antisemitischen<br />
Maßnahmen wiederholen würden, blieb aber unerfüllt – auch <strong>in</strong> der<br />
Sowjetunion. E<strong>in</strong>erseits prangerten die Vertreter der Sowjetunion <strong>in</strong> Nürnberg die<br />
bestialische Ausrottungspolitik der Hitlerfaschisten und ihrer Komplicen an und<br />
55 E<strong>in</strong> Zusammenhang mit dem proletarischen <strong>Antisemitismus</strong> ergab sich aus der Tatsache, dass viele Arbeiter gerade<br />
erst <strong>vom</strong> Dorf <strong>in</strong> die Stadt gekommen waren, zu ihrem ländlichen Herkunftsgebiet aber noch enge Beziehungen<br />
hatten.<br />
56 Dies nimmt zum<strong>in</strong>dest Vetter (S. 348 ff.) an. H<strong>in</strong>gegen schrieb Isaac Deutscher: »Wie konnte der Jude Litw<strong>in</strong>ow<br />
e<strong>in</strong>en Pakt mit Hitler oder Ribbentrop unterzeichnen? Dafür brauchte man schon e<strong>in</strong>en ›re<strong>in</strong>en Arier‹.« Isaac<br />
Deutscher: Die ungelöste Judenfrage. Zur Dialektik von <strong>Antisemitismus</strong> und Zionismus, Berl<strong>in</strong> (West) 1977,<br />
S. 47.<br />
57 Vgl. Mario Keßler: Der Stal<strong>in</strong>sche Terror gegen jüdische Kommunisten 1937/1938, <strong>in</strong>: Hermann Weber, Dietrich<br />
Staritz (Hg.): Kommunisten verfolgen Kommunisten. Stal<strong>in</strong>istischer Terror und »Säuberungen« <strong>in</strong> den kommunistischen<br />
Parteien Europas seit den dreißiger Jahren, Berl<strong>in</strong> 1993, S. 87-102, bes. S. 97 f. Etwas anders setzt die<br />
Akzente Antje Kuchenbecker: Zionismus ohne Zion. BirobidÏan: Idee und Geschichte e<strong>in</strong>es jüdischen Staates <strong>in</strong><br />
Sowjet-Fernost, Berl<strong>in</strong> 2000, S. 180 ff.<br />
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