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ZIEMLICH<br />
BESTE<br />
FREUNDE<br />
Komödie<br />
nach dem<br />
gleichnamigen<br />
Film<br />
Hochzeit zu Arvo Pärts „Misere“.<br />
Von links:<br />
Elias und der<br />
Racheengel.<br />
Das Universum<br />
dröhnt.<br />
Orgelreparatur.<br />
Sprache, angereichert mit Worterfindungen und<br />
Dialektausdrücken.<br />
Was das Lüneburger Theater aber daraus<br />
macht, ist aufregend, anregend und absolut sehens-<br />
und hörenswert. In der Dramaturgie Friedrich<br />
von Mansbergs schuf Ballettdirektor Olaf<br />
Schmidt ein Musiktheater aus Charisma und als<br />
„heiterste Lehranstalt für Fantasie“, wie es der<br />
Präsident der Akademie der darstellenden Künste,<br />
Hermann Beil, einmal über das Theater sagte.<br />
Die Lüneburger Symphoniker spielen Bach,<br />
Bach, Bach! Aber auch Arvo Pärt, Monteverdi,<br />
Schubert, Händel und Mozart. Als beeindruckende<br />
Dorfgemeinschaft singen die Chöre des<br />
Theaters und von St. Johannis und St. Michaelis<br />
kraftvoll und schlagkräftig. Dazu gesellen sich<br />
Solisten, von denen einer auch der Erzähler ist.<br />
Der Abend hat mehrere Erzählebenen. Das<br />
Ballettensemble übernimmt die Geschichte<br />
von Elias, Lukas, Peter und Elsbeth, wobei den<br />
Chören eine agierende und kommentierende<br />
Rolle zukommt. Die Gesangssolisten sind – als<br />
die Leser des Buches – quasi der Verfremdungseffekt;<br />
sie beobachten das Geschehen, lassen<br />
sich involvieren, können aber auch zu jeder Zeit<br />
aussteigen. So singt Signe Ravn Heiberg, während<br />
sie den Boden putzt, ein „Ave Maria“ zum<br />
Niederknien, die Geburt eines weiteren Kindes<br />
durch Elias‘ Mutter beobachtend. Zur Hochzeit<br />
von Elsbeth und Lukas<br />
erklingt ausgerechnet<br />
Arvo Pärts<br />
„Misere“ (Elend, Notlage),<br />
weil es für Elias<br />
ein Elend ist, dass<br />
die Geliebte einen<br />
anderen freit. Bachs<br />
wunderbare Toccata<br />
und Fuge d-moll<br />
(565) ertönt, als Elias<br />
die Orgel spielt und<br />
alle Zuhörer verzaubert. Und wenn am Ende die<br />
Bassarie aus der Matthäus-Passion erklingt und<br />
Peter klagt „Mache dich, mein Herze rein, ich will<br />
Jesum selbst begraben“ – dann ist diese Trauer<br />
nicht von gestern oder von heute, sondern von<br />
immer.<br />
Es gäbe viele Szenen zu schildern, zu interpretieren,<br />
die am Herzen zerren und ganz<br />
andere Bilder bloßlegen – ja offenbaren! – als<br />
die gespielten. Weil in der Gegenwart, in jeder<br />
Wirklichkeit, das Mögliche rumort. Ernst Bloch<br />
nannte diese Art des Offenhaltens von Geschichte<br />
„Prinzip Hoffnung“. Nun, für Elias gibt es am<br />
Ende keine Hoffnung. Er wollte, gerade 22 Jahre<br />
alt, sterben. Aus Liebeskummer. Was für ein verschwendetes<br />
Talent!<br />
Die Zeit im Lüneburger Theater ist keineswegs<br />
verschwendet. „Schlafes Bruder“ ist ein veritables<br />
Feuerwerk der Einfälle und Doppelbödigkeit, der<br />
Melange aus Musik, Gesang und Tanz, die den<br />
Atem zu rauben in der Lage ist. Gestaltet von Akteuren,<br />
die ihr Handwerk beherrschen, die das<br />
Theater mit Mut zum Experiment zur Transitstation<br />
machen zwischen Kunst und alltäglichem<br />
Dasein.<br />
Der Zuschauer muss das Buch nicht zwingend<br />
kennen. Er sollte sich aber vor der Aufführung<br />
dem klugen Programmheft, das den getanzten<br />
Inhalt der einzelnen Szenen kurz beschreibt,<br />
zuwenden. Aber auch ohne die eine oder andere<br />
Vorkenntnis verlässt man das Theater nach<br />
zweieinhalb Stunden eingehüllt von Musik und<br />
berührt durch die (getanzte) Geschichte; bleibt<br />
dieser Abend ein Lehrstück über Außenseitertum,<br />
das aus Fragen nach dem Miteinander und<br />
dem Umgang mit dem vermeintlich Anderen<br />
nicht entlässt.<br />
Auf dem Spielplan steht „Schlafes Bruder“<br />
noch am: 28. April, 14., 24., 28. Mai und 2. Juni.<br />
Unterschiedliche Anfangszeiten. Theaterkasse:<br />
0 41 31 / 42 100. [Barbara Kaiser]<br />
9.5.17 19.30 Uhr<br />
Theater an der Ilmenau<br />
11.11.17 20 Uhr<br />
Theater an der Ilmenau<br />
18.11.17 19.30 Uhr<br />
Theater an der Ilmenau<br />
www.barftgaans.de | April/Mai <strong>2017</strong>