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Barftgaans 4/5 2017

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FEUILLETON<br />

ERNST, MARTIN UND UELZEN<br />

Gedanken zu den Collage-Kalenderblättern von Georg Lipinsky<br />

Vielleicht zitiert man im Lutherjahr einmal Marx. Nicht Reinhard, den<br />

Präsidenten der deutschen Bischofskonferenz, sondern Karl, den<br />

Ökonom und Philosophen aus Trier. Der feiert ja im nächsten Jahr Jubiläumsgeburtstag,<br />

und der Stadtrat seiner Heimatstadt hat gerade mit großer<br />

Mehrheit das Geschenk aus China, eine gewaltige Bronzestatue des<br />

Denkers, angenommen. Was also sagte der Karl über den Martin: „Luther<br />

hat … die Knechtschaft aus Devotion besiegt, weil er die Knechtschaft aus<br />

Überzeugung an ihre Stelle gesetzt hat. Er hat den Glauben an die Autorität<br />

gebrochen, weil er die Autorität des Glaubens restaurierte. … Er hat den<br />

Leib von der Kette emanzipiert, weil er das Herz in Ketten legte.“ Ja, wie<br />

nun? Große Befreiung oder doch nur wieder Gefangenschaft?<br />

Durch die Jahrhunderte wurden zu<br />

Gunsten Luthers und seiner Anhänger<br />

nicht nur die Widersacher denunziert,<br />

sondern auch die Frauen ganz selbstverständlich<br />

verdrängt. Was also ist mit Ulrich<br />

von Hutten, Erasmus von Rotterdam<br />

(der die Reformation ablehnte), Ulrich<br />

Zwingli? Oder Johannes Reuchlin mit<br />

seiner humanistischen Botschaft, nichts<br />

zu verachten, nur weil es andersartig<br />

ist? Thomas Müntzer nicht zu vergessen,<br />

der die Meinung vertrat, dass die Herren<br />

das selber machen, „daß ihnen der arme<br />

Mann Feind wird“. Und die Frauen? Katharina<br />

Schütz zum Beispiel, die Frau des<br />

Straßburger Reformators Matthäus Zell,<br />

die selber schrieb. Oder die Wittenberger<br />

Liederdichterin Elisabeth Cruciger.<br />

Argula von Grumbach, die aus Bayern<br />

mit Luther korrespondierte und selbst<br />

religiöse Flugschriften verfasste. Wer gedächte<br />

Ottilie von Gersen, der Frau Thomas<br />

Müntzers, die nach dessen Hinrichtung schwanger<br />

und mittellos durchs Land zog, weil ihr das Habe des Mannes verwehrt<br />

wurde.<br />

Friedrich Engels nannte die Zeit, in der die Reformation siedelt, „frühbürgerliche<br />

Revolution“. Und weil hier noch nicht die Namen der Künstler<br />

gefallen sind – Dürer, Ratgeb, Grünewald –, gehört an dieser Stelle und<br />

in diesem Jahr der Besuch des Werner-Tübke-Panoramas in Bad Frankenhausen<br />

nahezu zwingend ins Programm.<br />

Uelzen reiht sich in die Feierlichkeiten mit einem bunten Reigen, der<br />

allerdings beinahe ausschließlich Luther huldigt. Natürlich forderte<br />

der Reformator zu Recht die Zurückdrängung der weltlichen Macht des<br />

Papsttums, das zusätzlich mit dem Ablasshandel eine Gelddruckmaschine<br />

erfunden hatte, und die Rückführung aller kirchlichen Verhältnisse<br />

auf die Einfachheit, die die Bibel für das Urchristentum bezeugt. Aber das<br />

Recht eines jeden, in Sachen des Glaubens selbst zu urteilen, hat Luther<br />

nicht konsequent verfolgt. Die aufständischen Bürger und Bauern – die<br />

von ihm benannten freien Christenmenschen – irritierten den Doktor<br />

doch sehr! Es gäbe also viel zu streiten über diesen Martin Luther, der seinen<br />

neuen Glauben für so unwiderstehlich hielt, dass sogar die Juden ihm<br />

beizutreten hätten. Als sie es nicht taten – wir kennen die Konsequenz.<br />

Aber eigentlich soll hier etwas über die Kalenderblätter von Georg<br />

Lipinsky gesagt werden, die noch bis Oktober im Neuen Schauspielhaus<br />

zu sehen sind. Darauf beschäftigt sich der Künstler mit Martin, Ernst und<br />

Uelzen. Der Reformator und der regierende Herzog – auch keine Frauen<br />

weit und breit! Die verlässlichen Collagen zeigen das bekannte Cranach-<br />

Gemälde von Herzog Ernst I., der 1497 eher zufällig in der hiesigen Pastorenstraße<br />

geboren wurde, in Variationen. Auch im Kostüm des Superman.<br />

Ernst war Mitunterzeichner des Augsburger Bekenntnisses von 1530, einer<br />

Art „Positionspapier“ der protestantischen<br />

Reichstände, das als theoretische<br />

Grundlage für den Schmalkaldischen<br />

Bund gilt. Krieg verhinderte der nicht.<br />

Im Jahr 1555 – da war Ernst schon neun<br />

Jahre tot und konnte also nicht, wie auf<br />

dem Programmheft zur Unterzeichnung<br />

eilen – kam es zum Augsburger Religionsfrieden,<br />

der das berühmte „cuius<br />

regio, eius religio“ formulierte und die<br />

Landesfürsten ermächtigte, ihren Untertanen<br />

die Religion vorzuschreiben. Eine<br />

Trennung von Kirche und Staat, wie an<br />

mehreren Stellen kolportiert während<br />

der Ausstellungseröffnung, war das mitnichten.<br />

Lipinskys Martin Luther kommt in<br />

mancherlei Gestalt, sogar als Popart<br />

oder vielfacher Klon, aufs Papier. Die<br />

Silhouette von St. Marien und die eine<br />

oder andere Lutherrose komplettieren<br />

die Blätter, genau wie eine Partitur der<br />

„festen Burg“, auf der die Wartburg thront.<br />

Das letzte Blatt zeigt Martin und Ernst vereint als winkendes<br />

Zweigestirn. Hier guckt Georg Lipinsky, wie Ausstellungsbesucher<br />

es von ihm gewöhnt sind, über den<br />

Uelzener Tellerrand: Denn er<br />

setzt die Häupter Luthers und<br />

Ernsts dem berühmten Foto von<br />

Wladimir Iljitsch Lenin auf. Sogar<br />

dessen Mütze hält einer in der<br />

Hand. Augenzwinkernde Verbeugung<br />

vor einem anderen<br />

Jubiläum – dem 100. Jahrestag<br />

der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution<br />

in Russland.<br />

Martin, Ernst und Wladimir?<br />

Das müsste man mal weiterdenken!<br />

[Barbara Kaiser]<br />

14<br />

www.barftgaans.de | April/Mai <strong>2017</strong>

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