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Das Handwerk im Nationalsozialismus - Handwerkskammer ...

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Anhang<br />

<strong>Handwerk</strong>. »Ich bin <strong>Handwerk</strong>er, mehr nicht«,<br />

sagt Paul Z<strong>im</strong>mermann denn auch. Und<br />

unterstreicht diesen Satz mit einer schnellen<br />

Bewegung seiner rauen und rissigen<br />

Hände. Die dann, zusammen mit den starken<br />

Armen, doch Zeugnis ablegen von der<br />

harten Arbeit in der Schmiedewerkstatt.<br />

Dabei wollte der dreifache Familienvater<br />

eigentlich mal etwas ganz anderes machen.<br />

»Ich wollte Konditor werden«, lacht er. »Da<br />

kann man so schön verzieren«, sagt er und<br />

lässt sich von seiner Frau Ruth ein Stück<br />

Nusstorte auf den handgetöpferten Teller<br />

legen. Aus den süßen Berufsträumen des<br />

kleinen Paul Z<strong>im</strong>mermann ist nichts geworden.<br />

Fast möchte man meinen: <strong>im</strong> Gegenteil.<br />

Denn ein Zuckerschlecken, erzählt der<br />

Schmiedemeister zwischen Landkaffee und<br />

Nusstorte, ein Zuckerschlecken ist das<br />

Schmiedehandwerk nicht. Für einen Moment<br />

ruhen seine Augen auf seiner rissigen<br />

Hand, die die Kuchengabel hält. »Man muss<br />

ganz schön leidensfähig sein«, grinst er.<br />

So ein glühendes Stück Eisen, erklärt er,<br />

hat schon seine 1200 Grad. Dann fängt er<br />

an zu lachen: »DIE Blasen wollte ich meinen<br />

Söhnen ersparen«, grinst der passionierte<br />

Schmied und fährt noch mal alle Argumente<br />

auf, mit denen er seine beiden Söhne<br />

vom Beruf des Schmieds abbringen wollte.<br />

Ohne Erfolg übrigens: augenzwinkernd erinnert<br />

Ruth Z<strong>im</strong>mermann ihren Mann an<br />

den »eisenharten Kopf der Herren Z<strong>im</strong>mermann«<br />

– Sohn Heiner arbeitet heute zusammen<br />

mit dem Vater <strong>im</strong> Atelier in der<br />

Pliezhausener Kronengasse; Christian, der<br />

Älteste, betreibt die 240 Jahre alte Hammerschmiede<br />

in Mühlehorn in der Schweiz.<br />

<strong>Das</strong>s Paul Z<strong>im</strong>mermann der Begründer<br />

einer ganzen Schmiededynastie ist, scheint<br />

den Mann mit dem weißen Bart selbst am<br />

meisten zu erstaunen. Denn zu Beginn seiner<br />

Karriere stand »leider nur eine ganz<br />

einfache Schulbildung« und dann die Lehre<br />

als Bau-, Kunst- und Herdschlosser. Paul<br />

Z<strong>im</strong>mermann fing Feuer für das Schmiedehandwerk.<br />

Für die tiefen Wurzeln, die das<br />

Schmiedehandwerk als eines der ältesten<br />

<strong>Handwerk</strong>e überhaupt hat. Und für die<br />

Möglichkeiten und Formen, die in seinem<br />

Werkstoff stecken.<br />

Welche Formen – das ahnte Paul Z<strong>im</strong>mermann<br />

damals nur. »Ich konnte nicht sehen«,<br />

sagt er und zeigt nach draußen, in<br />

den Garten. »Dort kann man sehen lernen«,<br />

sagt er und erzählt von einem amerikanischen<br />

Berufskollegen. Der fragte ihn bei<br />

einem Workshop, wie man sehen lernen<br />

kann. »Also habe ich ihn mit nach draußen<br />

genommen und ihm einen einfachen Grashalm<br />

gezeigt.« Der Kollege, erzählt Paul<br />

Z<strong>im</strong>mermann, hat zuerst nur ein grünes<br />

Stück Gras gesehen. »Dabei hat ein Grashalm<br />

so viele Furchen und Adern, ist gerade<br />

oder gebogen, ist voller perfekter Gestaltung«,<br />

sagt Paul Z<strong>im</strong>mermann und seine<br />

Augen leuchten. Freilich: zu sehen musste<br />

der Kunstschmied selbst auch erst lernen.<br />

Die Gipsbüsten mit dem Porträt seiner<br />

Frau, die in der Schmiedewerkstatt stehen,<br />

sind Zeugen erster Sehversuche. »Ich habe<br />

Volkshochschul-Kurse besucht, habe Zeichnen<br />

gelernt«, erzählt er. Heijo Pfingsten,<br />

Freund und Bildhauer, brachte dem <strong>Handwerk</strong>er<br />

Modellieren bei. »Und dabei habe<br />

ich gelernt zu sehen«, erzählt Paul Z<strong>im</strong>mermann.<br />

»Ich musste offen sein für Neues, für<br />

Ungewisses, ich musste lernen, sensibler<br />

zu empfinden und dadurch mehr wahrzunehmen«,<br />

sagt er.<br />

Und fast, als wäre ihm die Frage peinlich,<br />

ob Eisen, sein Werkstoff, für ihn etwas<br />

Menschliches hat mit all den verschiedenen<br />

Formen, mit seiner Kraft und gleichzeitigen<br />

Vergänglichkeit, steht Paul Z<strong>im</strong>mermann<br />

auf und geht in seine Werkstatt. Dort liegen<br />

Zeichnungen für Tore und Grabzeichen, ein<br />

halb fertiges Kreuz wartet darauf, dass der<br />

Schmiedemeister ihm die endgültige Form<br />

gibt. Eine Form, die für Paul Z<strong>im</strong>mermann<br />

schon da ist, in jedem Objekt, das er macht.<br />

Ein Tor, zum Beispiel, ein Tor ist der erste<br />

Eindruck, den Außenstehende von den<br />

Menschen haben, die dahinter wohnen.<br />

»Deshalb spreche ich mit den Leuten, versuche,<br />

viel über sie zu erfahren«, erklärt<br />

Paul Z<strong>im</strong>mermann. <strong>Das</strong> Charakterbild, das<br />

der stille Mann von seinen Kunden hat, fügt<br />

er in das Bild der Umgebung ein. Die Ecken<br />

des Hauses finden sich in den Torstreben<br />

wieder. Der romantische Charakter der Bewohner,<br />

zum Beispiel, drückt sich in runden<br />

Formen aus.<br />

Nein, schmunzelt Paul Z<strong>im</strong>mermann,<br />

»nur« Kunst ist es nicht, was er macht.<br />

»Praktisch und benutzbar muss schon alles<br />

sein«, lacht er. Und zeigt die Türklinke an<br />

seiner Werkstatt. Sie ist schön. Sie passt.<br />

Zur Tür und zum Meister, der hier am Feuer<br />

steht. Und sie hat Funktion: leicht lässt sie<br />

sich bedienen, das Türschloss erfüllt seinen<br />

Zweck und ist doch schön. Ganz einfach.<br />

Sagt's und geht zu dem Grabzeichen, an<br />

dem er gerade arbeitet. »Grabzeichen sind<br />

die letzten äußeren Zeichen, die wir einem<br />

Menschen geben können«, sagt der drahtige<br />

Mann und streicht fast zärtlich über<br />

das harte Eisen, aus dem er Blätter geformt<br />

hat. Fast möchte man meinen, der kleine<br />

Lufthauch von der geöffneten Ateliertür her<br />

würde genügen, um die Blätter zu bewegen,<br />

so filigran sind die harten Eisenformen.<br />

140 100 Jahre <strong>Handwerk</strong>skammer Reutlingen

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