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Das Handwerk im Nationalsozialismus - Handwerkskammer ...

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werden <strong>im</strong>mer stärker vom zivilen auf den<br />

militärischen Sektor umgelenkt. <strong>Das</strong> <strong>Handwerk</strong><br />

wird doppelt getroffen – zum einen<br />

von der personellen Mobilisierung, zum anderen<br />

vom regelrechten »Austrocknen« vieler<br />

kleiner Betriebe.<br />

Seit der Jahreswende 1941/42 ist klar,<br />

dass der Krieg langwierig sein, einen <strong>im</strong>mensen<br />

Bedarf an Rüstungsgütern und <strong>im</strong>mer<br />

mehr Soldaten fordern wird. Ende 1941<br />

wird best<strong>im</strong>mt, dass die Wirtschaft auf allen<br />

Ebenen durch Konzentration von Betrieben<br />

und Produktion nicht nur mehr Güter<br />

herstellen, sondern auch Personal sparen<br />

soll. Insgesamt sinken die Beschäftigtenzahlen<br />

bis zum Sommer 1942 in jenen Wirtschaftszweigen<br />

besonders stark, die eng<br />

mit handwerklicher Produktion zu tun haben:<br />

Bau, Textil, Leder, Lebensmittel und<br />

Holzverarbeitung. Gleichzeitig wachsen die<br />

Beschäftigtenzahlen in der Rüstungsindustrie.<br />

Anders gesagt: <strong>im</strong>mer mehr <strong>Handwerk</strong>er<br />

sind entweder be<strong>im</strong> Militär, arbeiten in<br />

der Schwerindustrie oder ihr Betrieb wird<br />

geschlossen. Zwischen 1942 und 1944 sinkt<br />

die Zahl der <strong>im</strong> <strong>Handwerk</strong> Beschäftigten<br />

reichsweit um 222.000.<br />

<strong>Handwerk</strong>sbetriebe werden bei so genannten<br />

»Auskämm- und Stilllegungsaktionen«<br />

nach brauchbaren Maschinen durchsucht,<br />

die in der Industrie eingesetzt<br />

werden können. Da das württembergische<br />

<strong>Handwerk</strong> besonders stark motorisiert ist,<br />

ist es besonders hart betroffen. Ziel der Aktion:<br />

Menschen, Räume und Energie für den<br />

totalen Kriegseinsatz zu sparen. Die <strong>Handwerk</strong>skammern<br />

müssen den Landesarbeitsämtern<br />

Betriebe benennen, die stillgelegt<br />

oder mit anderen zusammengelegt werden<br />

sollen. <strong>Das</strong>s dies nicht <strong>im</strong>mer glatt abläuft<br />

und so mancher Meister gegen die verord-<br />

100 Jahre <strong>Handwerk</strong>skammer Reutlingen<br />

nete Schließung protestiert, zeigt ein Artikel<br />

<strong>im</strong> »Württembergischen <strong>Handwerk</strong>« <strong>im</strong><br />

Oktober 1944: »Es lassen sich zahllose Beispiele<br />

aus dem <strong>Handwerk</strong> anführen, die zeigen,<br />

dass gerade in diesem Berufszweig<br />

viele betagte Arbeitskräfte eine wichtige<br />

Tätigkeit <strong>im</strong> Interesse der Kriegswirtschaft<br />

ausüben, die in der Industrie nicht mehr<br />

eingesetzt werden können.« <strong>Das</strong> ist mehr<br />

als nur leiser Protest; es ist ein Signal, dass<br />

man an den Rand des Erträglichen gekommen<br />

ist. Weitere Aktionen dieser Art würden<br />

dem <strong>Handwerk</strong> für die Zeit nach dem<br />

Kriege endgültig den Boden entziehen.<br />

Laut Angaben des ehemaligen Reutlinger<br />

Kammervorsitzenden und Gauhandwerksmeister<br />

Baetzner sieht es für das regionale<br />

<strong>Handwerk</strong> nicht allzu schlecht aus. Anfang<br />

1943 arbeiten 8.000 <strong>Handwerk</strong>sbetriebe<br />

ausschließlich für die Rüstung, weitere<br />

11.000 sind mit Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten<br />

beschäftigt (solche Betriebe<br />

sind von der Stilllegung verschont). Trotzdem:<br />

die Betriebs- und Mitarbeiterzahlen<br />

gehen zurück.<br />

Die Kammer wird aufgelöst: Als Gauwirtschaftskammer<br />

ist sie nur Handlanger<br />

staatlicher Planung und Kriegswirtschaft<br />

Am 1. April 1943 wird die Reutlinger <strong>Handwerk</strong>skammer<br />

aufgelöst und geht in der<br />

neuen »Gauwirtschaftskammer« auf. Die<br />

Reform des Kammersystems in Deutschland<br />

mit dem Ziel der Vereinfachung und<br />

Einsparung wird seit 1940 diskutiert. 1941<br />

gibt es in Deutschland 105 Industrie- und<br />

Handelskammern und 71 <strong>Handwerk</strong>skammern<br />

neben 29 Landwirtschaftsämtern,<br />

24 Reichswirtschaftsstellen und 7 Reichs-<br />

<strong>Das</strong> <strong>Handwerk</strong> <strong>im</strong> <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

gruppen mit 52 Wirtschaftsgruppen und<br />

240 Fachgruppen. Der Widerstand bei den<br />

Betroffenen kann aber vom Reichswirtschaftsministerium<br />

gebrochen werden.<br />

Besonders widerspenstig: das <strong>Handwerk</strong> –<br />

es ist am wenigsten bereit ist, seine noch<br />

verbliebenen Selbstverwaltungsrechte aufzugeben.<br />

Hinter der Idee, die bisherigen Wirtschaftskammern,<br />

Industrie- und Handelskammern<br />

und <strong>Handwerk</strong>skammern in einer<br />

Gauwirtschaftskammer zu vereinigen, steht<br />

nicht nur die Vorstellung, so zu einer strafferen,<br />

Personal und Kosten sparenden<br />

Organisation der gewerblichen Wirtschaft<br />

zu kommen. Dahinter verbirgt sich vor<br />

allem die Absicht der Nationalsozialisten,<br />

die bislang noch selbstverwalteten Wirtschaftsvertretungen<br />

zu Befehlsempfängern<br />

der Partei zu machen. Von nun an melden<br />

Partei – der Gauleiter hat in den GauwirtschaftskammernMitbest<strong>im</strong>mungsmöglichkeiten<br />

–, Wehrmacht und Staat ihre Ansprüche<br />

an die Wirtschaft direkt über die<br />

Gauwirtschaftskammern an und lenken<br />

Produktion, Rohstoff- und Arbeitskräftezuteilung.<br />

Dies hat nichts mehr mit der<br />

Selbstverwaltung der Wirtschaft, wie sie<br />

1897 für das <strong>Handwerk</strong> geschaffen wurde,<br />

zu tun. Die Kammern sind nur noch Ausführungsorgane<br />

staatlicher Planung.<br />

Die Aufgaben der <strong>Handwerk</strong>skammer<br />

Reutlingen übern<strong>im</strong>mt zum einen die Abteilung<br />

<strong>Handwerk</strong> der Gauwirtschaftskammer<br />

Württemberg-Hohenzollern in Stuttgart (deren<br />

Vizepräsident der Landeshandwerksmeister<br />

und ehemalige Reutlinger Kammervorsitzende<br />

Baetzner wird). Zum anderen<br />

erhält die Zweigstelle der Gauwirtschaftskammer<br />

in Reutlingen ein »<strong>Handwerk</strong>sreferat«.<br />

Damit hat sich auch der Zuständig-<br />

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