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Zeit für Reform von Ellen G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

und allein den Vorteil des Gutsbesitzers zu berücksichtigen. Das Leben der Landarbeiter war nichts als<br />

beständige Mühsal und ungelindertes Elend; ihre Klagen, falls sie es überhaupt wagten, solche vorzubringen,<br />

wurden mit beleidigender Verachtung abgewiesen. Die Gerichtshöfe liehen eher einem Adligen als einem<br />

Bauern Gehör. Bestechung der Richter wurde offenkundig betrieben, und die geringste Laune der<br />

Vornehmen hatte infolge dieser allgemeinen Verderbtheit Gesetzeskraft. Nicht einmal die Hälfte der den<br />

arbeitenden Klassen <strong>von</strong> den weltlichen Großen einerseits und der Geistlichkeit anderseits abgepreßten<br />

Steuern gelangten in die königliche oder kirchliche Schatzkammer; alles andere wurde in schändlicher<br />

Genußsucht verschleudert. Und die Leute, die auf diese Weise ihre Mitmenschen an den Bettelstab brachten,<br />

waren selbst aller Steuern enthoben und durch Gesetze oder Brauch- tum zu allen Staatsämtern berechtigt.<br />

Zu den bevorzugten Klassen zählten 150.000 Personen, und <strong>für</strong> deren Annehmlichkeiten wurden Millionen<br />

zu einem hoffnungslosen und herabwürdigenden Leben verdammt.“ (Siehe Anm. 038)<br />

Der Hof ergab sich der Üppigkeit und der Ausschweifung. Zwischen den Regierenden und den<br />

Untertanen bestand nur wenig Vertrauen. An alle Maßnahmen der Regierung heftete sich der Verdacht, daß<br />

sie hinterlistig und selbstsüchtig seien. Mehr als ein halbes Jahrhundert vor der Revolution bestieg Ludwig<br />

XV., der sich selbst in jenen bösen <strong>Zeit</strong>en als ein träger, leichtfertiger und sinnlicher Fürst auszeichnete, den<br />

Thron. Angesichts des verderbten und grausamen Adels, der verarmten und unwissenden unteren Klasse,<br />

der finanziellen Verlegenheit des Staates und der Erbitterung des Volkes bedurfte es keines prophetischen<br />

Auges, um einen schrecklichen Ausbruch vorauszusehen. Auf die Warnung seiner Ratgeber erwiderte der<br />

König gewöhnlich: „Bemüht euch, alles im Gang zu erhalten, solange ich leben mag; nach meinem Tode<br />

mag es kommen, wie es will.“ Vergebens drang man auf die Notwendigkeit einer <strong>Reform</strong>. Er sah die<br />

Übelstände, hatte aber weder den Mut noch die Macht, ihnen zu begegnen. Das Schicksal, das Frankreich<br />

bevorstand, wurde nur zu deutlich durch seine lässige und selbstsüchtige Antwort gekennzeichnet: „Nach<br />

mir die Sintflut!“<br />

Rom hatte durch ständiges Schüren der Eifersucht der Könige und der herrschenden Klassen diese<br />

beeinflußt, das Volk in Knechtschaft zu halten, wohl wissend, daß der Staat dadurch geschwächt würde;<br />

damit wollte es jedoch sowohl die Herrscher als auch das Volk zu seinen Sklaven machen. Mit weitsichtiger<br />

Politik erkannte die päpstliche Macht, daß man, um die Menschen endgültig zu unterjochen, ihren Seelen<br />

Fesseln anlegen müsse; daß es am sichersten sei, sie <strong>für</strong> die Freiheit unfähig zu machen, um ihr Entrinnen<br />

aus der Knechtschaft zu verhindern. Tausendmal schrecklicher als die körperlichen Leiden, die aus solcher<br />

Politik hervorgingen, war die sittliche Erniedrigung. Der Bibel beraubt, den Lehren der Frömmelei und der<br />

Selbstsucht preisgegeben, wurde das Volk in Unwissenheit und Aberglauben eingehüllt, so daß es in Laster<br />

versank und völlig untüchtig wurde, sich selbst zu beherrschen.<br />

Doch die Ergebnisse dieser Bemühungen unterschieden sich erheblich <strong>von</strong> dem, was Rom angestrebt<br />

hatte. Statt daß sich die Massen blind ergeben seinen Lehrsätzen unterstellten, wurden sie zu Gottesleugnern<br />

und Revolutionären. Die Politik, die Lehren und Gebräuche der Kirche verachteten sie als Pfaffentrug und<br />

betrachteten die Geistlichkeit als mitverantwortlich <strong>für</strong> ihr elendes Dasein. Der Gott Roms war der einzige<br />

Gott, den sie kannten, Roms Lehre ihre einzige Religion.<br />

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