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Zeit für Reform von Ellen G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

den Vorrang Roms über alle Kirchen anerkannte, dem Papst kaiserliche Abzeichen verlieh und ihm<br />

außerdem den kaiserlichen Palast (Lateran) in Rom und die Herrschaft über die Stadt, Italien und alle<br />

westlichen Reichsprovinzen abtrat. Die vom Mittelalter <strong>für</strong> echt gehaltene Urkunde wurde in die<br />

pseudoisidorischen Dekretalen aufgenommen. Die Konstantinische Schenkung spielte eine bedeutende<br />

Rolle in den Auseinandersetzungen zwischen Papsttum und Kaisertum im Mittelalter. Der italienische<br />

Humanist Lorenzo Valla und Nikolaus <strong>von</strong> Cusa (Cues) haben diese Fälschung um 1440 nachgewiesen (De<br />

falso credita et ementita Constantini donatione declamatio).<br />

Die in der „Schenkung“ entwickelte Geschichtsauffassung ist, vollständig behandelt, zu finden bei<br />

Henry E. Kardinal Manning, The Temporal Power of the Vicar of Jesus Christ, London, 1862. Die Beweise<br />

<strong>für</strong> die Schenkung waren scholastisch. Die Möglichkeit einer Fälschung wurde bis zum Aufkommen der<br />

historischen Kritik im 15. Jahrhundert überhaupt nicht erwähnt. Nikolaus <strong>von</strong> Cusa gehörte zu den ersten,<br />

die zu dem Schluß kamen, daß Konstantin niemals irgendeine derartige Schenkung gemacht habe. Lorenzo<br />

Valla in Italien führte 1450 den brillanten Nachweis ihrer Fälschung. (Siehe: Christopher B. Coleman,<br />

Treatise of Lorenzo Valla on the Donation of Constantine, New York, 1927.) Dennoch wurde der Glaube an<br />

die Authentizität der Schenkung und der falschen Dekretalen noch ein Jahrhundert lebendig erhalten. Zum<br />

Beispiel erkannte Luther anfangs die Dekretalen an; doch bald danach sagte er zu Dr. Eck: „Ich bestreite<br />

diese Dekretalen!“, und zu Spalatin äußerte er: „Er (der Papst) verfälscht und kreuzigt in den Dekretalen<br />

Christus, das heißt: die Wahrheit!“<br />

Es gilt als nachgewiesen, 1. daß die Schenkung eine Fälschung; 2. daß sie das Werk eines Mannes<br />

oder einer <strong>Zeit</strong>periode ist; 3. daß der Fälscher ältere Dokumente verwendet hat; 4. daß die Fälschung aus<br />

den Jahren zwischen 752 und 778 stammt.<br />

Die Katholiken gaben die Verteidigung der Authentizität der Schenkung auf mit Baronius,<br />

Ecclesiastical Annals, 1592. Weitere Quellen: K. Zeumer, Festgabe <strong>für</strong> Rudolf <strong>von</strong> Gneist, Berlin, 1888;<br />

New Schaff-Herzog Encyclopedia of Religious Knowledge, Bd. III, 484; F. Gregorovius, Geschichte der<br />

Stadt Rom im Mittelalter, Bd. I, 656f., Dresden, 1926; I. <strong>von</strong> Döllinger, Die Papst- fabeln des Mittelalters<br />

72ff., Stuttgart, 1890; S. Lähr, Die Konstantinische Schenkung in der abendländischen Literatur bis zur Mitte<br />

des 14. Jahrhunderts, 1926; H. Brunner/K. Zeumer, Die Konstantinische Schenkungsurkunde; Die Religion<br />

in Geschichte und Gegenwart, Bd. III, 1929, Sp. 1227f.; Der Große Brockhaus, Bd. X, 412, 1931; Der Große<br />

Herder, Bd. V, 637f., 1954; I. <strong>von</strong> Döllinger, Der Papst und das Konzil 142, Leipzig, 1869.<br />

Zu den im Text erwähnten falschen Urkunden gehören auch die Pseudoisidorischen Dekretalen sowie<br />

andere Fälschungen. „Die Pseudoisidorischen Dekretalen sind eine umfangreiche Sammlung angeblich sehr<br />

alter Quellen des Kirchenrechts, enthalten hauptsächlich erdichtete oder verfälschte Dekretalen, Papstbriefe<br />

(<strong>von</strong> Klemens I. bis Gregor I.), die Konstantinische Schenkung, ältere Konzilsbeschlüsse, Sätze der<br />

Kirchenväter, der Bibel und des römischen Rechts in mosaikartiger Darstellung. Als Vorarbeiten <strong>für</strong> die<br />

Pseudoisidorischen Dekretalen dienten teilweise drei andere kirchenrechtliche Fälschungen: die sog.<br />

Capitula Angilramni, eine Sammlung echter und unechter Beschlüsse römischer Synoden, Bischöfe und<br />

Kaiser, ferner eine verfälschte Neubearbeitung der alten Collectio canonum Hispana und der sog. Benedictus<br />

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