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Zeit für Reform von Ellen G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

einer Vorsicht, Entschiedenheit, Weisheit und Würde zu antworten, daß seine Gegner überrascht und<br />

enttäuscht, ihre Anmaßung und ihr Stolz aber beschämt wurden.<br />

Am nächsten Tag sollte er erscheinen, um seine endgültige Antwort zu geben. Als er sich die gegen<br />

die Wahrheit verbündeteten Mächte nochmals vor Augen führte, verließ ihn <strong>für</strong> einen Augenblick der Mut.<br />

Sein Glaube schwankte, Furcht und Zittern ergriffen ihn, und Grauen lastete auf ihm. Die Gefahren<br />

vervielfältigten sich vor seinen Augen, seine Feinde schienen zu siegen und die Mächte der Finsternis die<br />

Oberhand zu gewinnen. Wolken sammelten sich um ihn und drohten ihn <strong>von</strong> Gott zu trennen. Er sehnte sich<br />

nach der Gewißheit, daß der Herr der Heerscharen mit ihm sei. In seiner Seelennot warf er sich mit dem<br />

Angesicht auf die Erde und stieß jene gebrochenen herzzerreißenden Angstrufe aus, die Gott allein in der<br />

Lage ist, völlig zu verstehen.<br />

Er betete: „Allmächtiger, ewiger Gott! Wie ist es nur ein Ding um die Welt! Wie sperrt sie den Leuten<br />

die Mäuler auf! Wie klein und gering ist das Vertrauen der Menschen auf Gott ... und siehet nur allein bloß<br />

an, was prächtig und gewaltig, groß und mächtig ist und ein Ansehen hat. Wenn ich auch meine Augen dahin<br />

wenden soll, so ist‘s mit mir aus, die Glocke ist schon gegossen und das Urteil gefällt. Ach Gott! o du mein<br />

Gott, stehe du mir bei wider alle Welt, Vernunft und Weisheit. Tue du es; du mußt es tun, du allein. Ist es<br />

doch nicht mein, sondern deine Sache. Habe ich doch <strong>für</strong> meine Person hier nichts zu schaffen und mit diesen<br />

großen Herrn der Welt zu tun ... Aber dein ist die Sache, Herr, die gerecht und ewig ist. Stehe mir bei, du<br />

treuer, ewiger Gott! ich verlasse mich auf keinen Menschen. Es ist umsonst und vergebens, es hinket alles,<br />

was fleischlich ist ... Hast du mich dazu erwählet? Ich frage dich; wie ich es denn gewiß weiß; ei, so walt es<br />

Gott ... Steh mir bei in dem Namen deines lieben Sohnes Jesus Christi, der mein Schutz und Schirm sein soll,<br />

ja meine feste Burg.“<br />

Eine allweise Vorsehung hatte Luther seine Gefahr erkennen lassen, damit er weder auf seine eigene<br />

Kraft baute noch sich vermessen in Gefahr stürzte. Es war jedoch nicht die Furcht zu leiden, nicht die Angst<br />

vor der ihm scheinbar unmittelbar bevorstehenden Qual oder vor dem Tod, die ihn mit ihrem Schrecken<br />

überwältigte; er hatte einen entscheidenden <strong>Zeit</strong>punkt erreicht und fühlte seine Untüchtigkeit, in ihm zu<br />

bestehen. Er könnte der Sache der Wahrheit infolge seiner Schwäche schaden. Er rang mit Gott, nicht um<br />

seiner eigenen Sicherheit, sondern um des Sieges des Evangeliums willen. Die Angst und das Ringen seiner<br />

Seele glich jenem nächtlichen Kampf Jakobs am einsamen Bach; wie jener trug auch er den Sieg da<strong>von</strong>.<br />

In seiner gänzlichen Hilflosigkeit klammerte sich sein Glaube an Christus, den mächtigen Befreier. Er<br />

wurde durch die Versicherung gestärkt, daß er nicht allein vor dem Reichstag erscheinen sollte; Friede zog<br />

wiederum in seine Seele ein, und er freute sich, daß es ihm vergönnt war, das heilige Wort Gottes vor den<br />

Herrschern des Volkes emporzuhalten. Mit festem Gottvertrauen bereitete sich Luther auf den ihm<br />

bevorstehenden Kampf vor. Er plante seine Antwort, prüfte etliche Stellen seiner eigenen Schriften und<br />

suchte in der Bibel passende Belege, um seine Behauptungen zu stützen. Dann gelobte er, seine Linke auf<br />

das offen vor ihm liegende Buch legend und seine Rechte zum Himmel erhebend, „dem Evangelium treu zu<br />

bleiben und seinen Glauben frei zu bekennen, sollte er ihn auch mit seinem Blute besiegeln.“<br />

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