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Zeit für Reform von Ellen G. White

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

Vor fünfhundert Jahren, eine Zeit der Reform war ausgebrochen. Die Aufmerksamkeit aller Parteien richtete sich nun auf die Versammlung der deutschen Länder, die kurz nach Karls Thronbesteigung in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Belange sollten auf diesem Reichstag erörtert werden; zum erstenmal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen deutschen Landen hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Reiches eingefunden. Der weltliche Adel, gewaltig und eifersüchtig auf seine Erbrechte bedacht; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit an Rang und Macht; höfische Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte aus fremden und fernen Ländern — alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser großartigen Versammlung erregte die Sache des sächsischen Reformators die größte Aufmerksamkeit.

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<strong>Zeit</strong> <strong>für</strong> <strong>Reform</strong><br />

als in einem allgemeinen Konzil zu erhalten ist; darum bitten wir alle, solches mit höchstem Fleiß zu<br />

fördern.“<br />

Luther selbst hätte die Mißbräuche nicht vortrefflicher und wirksamer geißeln können. Die Tatsache<br />

aber, daß der Redner ein entschlossener Feind des <strong>Reform</strong>ators war, verlieh seinen Worten desto mehr<br />

Nachdruck. Wären den Versammelten die Augen geöffnet worden, so hätten sie Engel Gottes in ihrer Mitte<br />

erblickt, die durch die Finsternis des Irrtums Strahlen des Lichts aussandten und Gemüter und Herzen der<br />

Wahrheit öffneten. Selbst die Gegner der <strong>Reform</strong>ation zeigten sich <strong>von</strong> der Macht des Gottes der Wahrheit<br />

und Weisheit beeinflußt, und auf diese Weise wurde der Weg <strong>für</strong> das große Werk bereitet, das nun vollbracht<br />

werden sollte. Martin Luther war nicht anwesend, aber man hatte eine einflußreichere Stimme als die Luthers<br />

in jener Versammlung gehört.<br />

Sofort wurde vom Reichstag ein Ausschuß bestimmt, um eine Liste der päpstlichen Mißbräuche<br />

aufzustellen, die so schwer auf dem deutschen Volk lasteten. Dieses Verzeichnis, das 101 Beschwerden<br />

enthielt, wurde dem Kaiser mit dem Gesuch unterbreitet, sofortige Schritte zur Beseitigung dieser<br />

Mißbräuche zu unternehmen. „Es gehen so viele Seelen verloren“, sagten die Bittenden, „so viele<br />

Räubereien, Bestechungen finden statt, weil das geistliche Oberhaupt der Christenheit sie gestattet. Es muß<br />

dem Untergang und der Schande unseres Volkes vorgebeugt werden. Wir bitten euch untertänigst und<br />

inständigst, dahin zu wirken, daß eine Besserung und gemeine <strong>Reform</strong>ation geschehe.“<br />

Die Reichsstände drangen auf das Erscheinen Luthers. Ungeachtet aller Bitten, Einwände und<br />

Drohungen Aleanders willigte der Kaiser schließlich doch ein, und Luther wurde aufgefordert, vor dem<br />

Reichstag zu erscheinen. Mit der Aufforderung wurden ihm die nötigen Geleitsbriefe ausgestellt, die ihm<br />

auch seine Rückkehr nach einem sicheren Ort verbürgten. Ein Herold, der beauftragt war, ihn sicher nach<br />

Worms zu geleiten, brachte die Briefe nach Wittenberg.<br />

Luthers Freunde wurden <strong>von</strong> Schrecken und Bestürzung ergriffen. Sie kannten das Vorurteil und die<br />

gegen ihn herrschende Feindschaft und be<strong>für</strong>chteten, selbst das Sicherheitsgeleit würde nicht beachtet<br />

werden, und sein Leben sei gefährdet. Auf ihr Bitten, diese Reise nicht anzutreten, erwiderte er einem, die<br />

Römlinge wollten ihn nicht in Worms sehen, doch „ich schreibe auch jetzt und bitte dich, bete nicht <strong>für</strong> mich,<br />

sondern <strong>für</strong> das Wort Gottes. Jener Widersacher Christi setzt alle Kräfte ein, mich zu verderben. Der Wille<br />

Gottes geschehe! Christus wird mir seinen Geist geben, daß ich diese Widersacher verachte im Leben,<br />

besiege im Tode ... Sie arbeiten, daß ich viele Artikel widerrufe; aber mein Widerruf wird also lauten: Ich<br />

habe früher gesagt, der Papst sei der Statthalter Christi, jetzt widerrufe ich und sage, der Papst ist der<br />

Widersacher Christi ...“Luther sollte seine gefahrvolle Reise nicht allein unternehmen.<br />

Außer dem kaiserlichen Boten hatten sich drei seiner treuesten Freunde entschlossen, ihn zu begleiten.<br />

Es verlangte Melanchthon herzlich, sich ihnen anzuschließen. Sein Herz hing an Luther, und er sehnte sich,<br />

ihm zu folgen, wenn es sein müsse, auch ins Gefängnis oder in den Tod. Seine Bitte wurde jedoch nicht<br />

erfüllt. Sollte Luther etwas zustoßen, so ruhte die Hoffnung der <strong>Reform</strong>ation allein auf seinem jugendlichen<br />

Mitarbeiter. Unterwegs nahmen sie wahr, daß die Gemüter des Volkes <strong>von</strong> düsteren Vorahnungen beschwert<br />

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