ZAP-2018-16
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Straßenverkehrsrecht Fach 9, Seite 1041<br />
Fahrverbot<br />
cc) Sonstige persönliche Gründe<br />
Auch sonstige persönliche Gründe bieten schließlich noch ein weites Feld, um ggf. ein Absehen vom<br />
Fahrverbot zu erreichen. Insoweit gilt: Ist der Betroffene wegen einer körperlichen Behinderung in<br />
stärkerer Weise auf die Nutzung seines Pkw angewiesen als der durchschnittliche Autofahrer, kann das<br />
zum Absehen vom Fahrverbot führen. Entscheidend sind dabei allerdings die Schwere der Behinderung<br />
und deren Auswirkungen auf den Betroffenen. Eine – nur – schwere Gehbehinderung allein genügt für<br />
ein Absehen vom Fahrverbot nicht (OLG Hamm NZV 1999, 215 = zfs 1999, 311). Auch kann einem<br />
Betroffenen, der geltend macht, aus gesundheitlichen Gründen auf die Fahrerlaubnis angewiesen zu<br />
sein, zugemutet werden, für den verhältnismäßig kurzen Zeitraum von einem Monat, in dem er wegen<br />
des angeordneten Fahrverbots sein Kfz entbehren muss, für seine Arztbesuche auf öffentliche Verkehrsmittel<br />
auszuweichen. Dies mutet ihm die Rechtsprechung ebenso zu wie sie dies von Arbeitnehmern<br />
für Fahrten zur Arbeitsstätte verlangt (OLG Hamm DAR 1999, 325 = VRS 97, 69). Auch<br />
allein eine Schwerbehinderung führt nicht zum Absehen vom Fahrverbot (OLG Hamm VA 2008, 194<br />
[Ls.]). Ebenfalls ist hohes Alter allein kein ausreichender Grund für das Absehen vom Fahrverbot (OLG<br />
Hamm DAR 2001, 229) – ebenso wenig wie eine krankheitsbedingt „schwache Blase“ und plötzlich<br />
auftretender Harndrang (OLG Hamm VA <strong>2018</strong>, 32 = VRR 3/<strong>2018</strong>, <strong>16</strong>).<br />
Ausreichen soll hingegen, wenn sich der Betroffene täglich um seine 89-jährige Großmutter kümmern<br />
muss (AG Mannheim zfs 2004, 236). Ob das zutreffend ist, ist fraglich. Jedenfalls muss aber, wenn vom<br />
Fahrverbot abgesehen werden soll, die verstärkte Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit feststehen und<br />
außerdem dürfen keine sonstigen unentgeltlichen Betreuungspersonen aus der Familie vorhanden und<br />
die Einstellung einer professionellen Hilfe nicht zumutbar sein (so wohl zutreffend OLG Hamm NZV<br />
2006, 664 = VRR 2006, 313 und VRR 2012, 308 = DAR 2012, 477).<br />
4. Fahrverbotsentscheidung bei Verurteilung nach § 24a StVG<br />
Es ist bereits ausgeführt worden, dass in den Fällen des § 24a StVG nach allgemeiner Meinung nur<br />
Härten ganz außergewöhnlicher Art oder sonstige das äußere und innere Tatbild beherrschende<br />
außergewöhnliche Umstände das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbots rechtfertigen<br />
(OLG Hamm VRS 101, 298 = DAR 2002, 324 m.w.N.; zum Fahrverbot bei der Trunkenheitsfahrt BURHOFF/<br />
DEUTSCHER, OWi, Rn 35<strong>16</strong> ff. und bei der Drogenfahrt BURHOFF/DEUTSCHER, OWi, Rn 780 ff.). Darauf kann hier<br />
verwiesen werden (vgl. III. 1). Das gilt erst recht, wenn der Betroffene bereits einmal wegen eines<br />
Verstoßes gegen § 24a StVG in Erscheinung getreten ist. Auch der Umstand, dass der Betroffene als<br />
Berufskraftfahrer tätig ist, ändert daran nichts. Gegebenenfalls eintretende wirtschaftliche und<br />
berufliche Folgen muss der Betroffene als selbstverschuldet hinnehmen (OLG Hamm VRS 98, 381 =<br />
NZV 2001, 486; s. aber OLG Hamm NJW 2002, 2485 = NZV 2002, 414 = VRS 103, 204; VA 2002, 47).<br />
Schließlich reicht auch allein ein Zeitraum von 25 Monaten seit dem Verkehrsverstoß nicht, um vom<br />
Fahrverbot absehen zu können (OLG Saarbrücken VA 2002, <strong>16</strong>9). Das bedeutet, dass der Betroffene bei<br />
einer Verurteilung nach § 24a StVG nur schwer der Verhängung des Fahrverbots entkommen wird, und<br />
zwar auch dann, wenn er freiberuflich tätig ist. Das ist sowohl für den freien Mitarbeiter einer<br />
Unternehmensberatung entschieden worden (OLG Hamm DAR 1999, 84 = VRS 96, 231 = NZV 1999, 214)<br />
als auch für einen Rechtsanwalt (OLG Hamm VRS 101, 298 [s.o.]).<br />
5. Anforderungen an die Urteilsgründe<br />
Die Entscheidung über das Absehen vom Fahrverbot ist in erster Linie eine Entscheidung aufgrund<br />
tatrichterlicher Würdigung, was allerdings häufig übersehen wird. Das bedeutet (vgl. auch BURHOFF/<br />
DEUTSCHER, OWi, Rn 1420 ff.): Dem Tatrichter ist eine gewisse Entscheidungsfreiheit bei der Beurteilung<br />
eingeräumt, die im Rahmen der Rechtsbeschwerde nur eingeschränkt auf das Fehlen von Ermessensfehlern<br />
überprüft werden kann (allg. Ansicht, vgl. nur OLG Köln NZV 1994, <strong>16</strong>1; OLG Hamm NZV 1996, 118,<br />
119; DAR 1996, 68 = zfs 1996, 35; VRS 92, 40). Das Rechtsbeschwerdegericht hat die Entscheidung des<br />
Tatrichters „bis zur Grenze des Vertretbaren“ hinzunehmen (OLG Bamberg NJW 2008, 3155; OLG Hamm<br />
NZV 2008, 308; OLG Oldenburg zfs 2002, 359). Es ist unerheblich, ob eine andere Entscheidung<br />
– ebenfalls – vertretbar gewesen wäre (OLG Hamm VRS 92, 40).<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 22.8.<strong>2018</strong> 847