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ZAP-2018-16

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Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 929<br />

Notwendige Verteidigung – Update <strong>2018</strong><br />

1. Schwere der Tat<br />

Nach ganz h.M. ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers geboten, wenn dem Angeklagten im Fall der<br />

Verurteilung eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr droht (statt aller BURHOFF, EV, Rn 2876,<br />

8. Aufl. Rn 2893). Entgegen einer noch immer hin und wieder vertretenen Ansicht ist diese<br />

„Jahresgrenze“ nicht erst dann erreicht, wenn gerade in dem Verfahren, in dem die Beiordnung<br />

erfolgen soll, eine Strafe in dieser Größenordnung im Raum steht, sondern auch dann, wenn die<br />

Straferwartung aufgrund weiterer Verfahren durch eine Gesamtstrafenbildung (KG StraFo 2017, 153)<br />

oder durch einen möglichen Bewährungswiderruf in anderer Sache insgesamt ein Jahr erreicht (LG<br />

Dessau-Roßlau StraFo 2015, 515; OLG Naumburg StV <strong>2018</strong>, 143). Entscheidend ist also das drohende<br />

Gesamtstrafübel.<br />

2. Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage<br />

Häufig wird ein Fall der notwendigen Verteidigung – oftmals mittels eines in der Justiz weit verbreiteten<br />

Textbausteins – mit der Begründung verneint, es handele sich „um einen einfach gelagerten Sachverhalt“,<br />

der „weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten“ aufweise.<br />

Diese Argumentation mag in offensichtlich unproblematischen Fällen tragfähig sein, nicht aber, wenn<br />

acht Zeugen zu hören sowie zahlreiche Urkunden zu verlesen sind und daher umfassende Akteneinsicht,<br />

die dem Verteidiger vorbehalten ist, erforderlich erscheint (LG Saarbrücken StraFo 20<strong>16</strong>, 513).<br />

Gleiches gilt, wenn ein Sachverständigengutachten das entscheidende Beweismittel gegen den<br />

Angeklagten ist (LG Braunschweig Blutalkohol 54 [2017], 2<strong>16</strong>).<br />

Dagegen soll sich die Notwendigkeit der Verteidigung nach Auffassung einiger Gerichte nicht zwingend<br />

bereits daraus ableiten lassen, dass der Verletzte auf eigene Kosten einen anwaltlichen Beistand<br />

hinzuzieht (OLG München, Beschl. v. 2.5.2017 – 2 Ws 504/17, StRR 6/2017, 2; OLG Hamburg StV 2017,<br />

149). Der Gesetzgeber habe die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers in § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO bewusst<br />

ausdrücklich nur für Fälle vorgeschrieben, in denen dem Verletzten ein Rechtsanwalt beigeordnet ist.<br />

Hinsichtlich der Konstellation, dass sich der Verletzte auf eigene Kosten anwaltlichen Beistands bedient,<br />

liege daher keine planwidrige Regelungslücke vor.<br />

Überzeugend ist diese Sichtweise indes nicht: Im Falle einer anwaltlichen Vertretung nur des Verletzten<br />

wird das Prinzip der Waffengleichheit unabhängig von der – für den Angeklagten nebensächlichen<br />

– Frage, ob der Beistand des Verletzten aufgrund gerichtlicher Beiordnung oder aufgrund<br />

Anwaltsvertrags tätig wird, nahezu immer beeinträchtigt sein, da sich der Angeklagte in beiden Fällen<br />

einem Verletzten gegenübersieht, der sich des fachkundigen Rats eines Rechtsanwalts bedient. Eine<br />

Differenzierung danach, auf welcher Grundlage der Verletztenbeistand tätig wird, erscheint daher<br />

nicht sachgerecht. Es ist vielmehr mit Blick auf den rechtsstaatlichen Grundsatz des fairen Verfahrens<br />

und der Waffengleichheit geboten, auch dann einen Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn der<br />

anwaltliche Vertreter des Verletzten nicht aufgrund gerichtlicher Bestellung tätig wird, sondern vom<br />

Verletzten selbst gewählt wurde (BEULKE, in: SATZGER/SCHLUCKEBIER/WIDMAIER, StPO, 3. Aufl. <strong>2018</strong>, § 140<br />

Rn 33 m.w.N.).<br />

Hinweis:<br />

Die Problematik der beeinträchtigten Waffengleichheit wird im Grundsatz auch von Vertretern der Gegenposition<br />

anerkannt, wenn diese darauf hinweisen, dass eine Verteidigerbestellung nicht allein deshalb abgelehnt<br />

werden dürfe, weil ein Fall der §§ 397a, 406h StPO nicht vorliege. Erforderlich sei vielmehr eine<br />

einzelfallbezogene Prüfung der Fähigkeit des Angeklagten zur Selbstverteidigung trotz einer bestehenden<br />

anwaltlichen Vertretung des Verletzten, wobei neben der Komplexität des Anklagevorwurfs und der Beweislage<br />

auch der Umstand in die Erwägungen einzubeziehen sei, dass ein anwaltlich vertretener Verletzter<br />

regelmäßig von seinen verfahrensgestaltenden Rechten Gebrauch macht (OLG Hamburg StV 2017, 149). Im<br />

Ergebnis dürften daher beide Ansichten oftmals zum selben Ergebnis kommen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 22.8.<strong>2018</strong> 853

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