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ZAP-2018-16

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Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 935<br />

Notwendige Verteidigung – Update <strong>2018</strong><br />

b) Fehler im Beiordnungsverfahren<br />

Im Einzelfall können aber auch Fehler des Gerichts im Rahmen des Beiordnungsverfahrens zur Entpflichtung<br />

führen. Wird der Beschuldigte vor der Bestellung entgegen § 142 Abs. 1 S. 2 StPO, der regelmäßig<br />

eine Pflicht zur Anhörung begründet, nicht ordnungsgemäß angehört, ist der dennoch<br />

beigeordnete Verteidiger auf Antrag auch dann zu entpflichten und ein vom Beschuldigten benannter<br />

Anwalt beizuordnen, wenn Anhaltspunkte für eine Störung des Vertrauensverhältnisses nicht dargelegt<br />

werden (OLG Koblenz StV 20<strong>16</strong>, 512). Dies gilt nicht nur, wenn eine Anhörung komplett unterbleibt,<br />

sondern auch dann, wenn die dem Beschuldigten gesetzte Frist zur Benennung eines Verteidigers zu<br />

kurz bemessen wird (LG Siegen StRR 2015, 465).<br />

Bei der Bemessung der Frist ist darauf zu achten, dass dem Beschuldigten genügend Zeit bleibt, um sich auf<br />

dem immer größer und unüberschaubarer werdenden Anwaltsmarkt zu orientieren und einen Besprechungstermin<br />

zu vereinbaren. Erst nach einem persönlichen Kontakt kann der Beschuldigte absehen,<br />

ob das für eine ordnungsgemäße Strafverteidigung unabdingbare Vertrauen zu dem ausgewählten<br />

Rechtsanwalt vorhanden ist oder ob er nach einer Alternative Ausschau halten muss.<br />

Wird gegen den Beschuldigten Untersuchungshaft vollzogen, erschweren die damit zwangsläufig<br />

verbundenen Einschränkungen die Anwaltssuche abermals. Auch dies ist bei der Fristbemessung zu<br />

berücksichtigen (bedenklich daher LG Heilbronn, Beschl. v. 26.9.20<strong>16</strong> – 8 Qs 39/<strong>16</strong>, wonach bei einem<br />

sprachunkundigen inhaftierten Beschuldigten eine Frist von nur einer Woche ausreichend sein soll).<br />

Praxishinweis:<br />

Der in Korrektur des fehlerhaften Anhörungsverfahrens neu beigeordnete Verteidiger muss sich bei der<br />

Abrechnung des Mandats nicht entgegenhalten lassen, dass für die Tätigkeit des früheren Verteidigers<br />

bereits Gebühren angefallen seien. Einschränkungen dahingehend, dass die durch den – allein aufgrund<br />

des vom Gericht zu verantwortenden Verfahrensfehlers – erforderlich gewordenen Verteidigerwechsel<br />

entstehenden Mehrkosten nicht zu erstatten sind, sind unzulässig (LG Bielefeld RVGreport 20<strong>16</strong>, 478).<br />

2. Herausdrängen des Pflichtverteidigers<br />

Gefahr für den Bestand der Beiordnung geht jedoch nicht nur von den Gerichten aus, sondern in<br />

zunehmendem Maße auch von anderen Rechtsanwälten. Insbesondere in Verfahren, die wegen ihrer<br />

Bedeutung und/oder ihres Umfangs attraktiv erscheinen, müssen Pflichtverteidiger vermehrt mit<br />

Versuchen rechnen, aus dem Mandant herausgedrängt zu werden.<br />

a) Entpflichtung gem. § 143 StPO<br />

Dabei wird häufig dergestalt vorgegangen, dass sich zunächst ein neuer Rechtsanwalt als Wahlverteidiger<br />

legitimiert und zugleich die Entpflichtung des bisherigen Verteidigers gem. § 143 StPO beantragt. Nachdem<br />

diese erfolgt ist, wird das Wahlmandat niedergelegt und die eigene Beiordnung beantragt.<br />

Derartige Versuche lassen sich jedoch unter Hinweis auf die einschlägige Rechtsprechung recht gut<br />

abwehren. So betonen die Obergerichte, dass die Beiordnung des Wahlverteidigers als Pflichtverteidiger<br />

in aller Regel dann nicht in Betracht kommt, wenn er zuvor durch die Übernahme des Wahlmandats die<br />

Entpflichtung des Pflichtverteidigers gem. § 143 StPO bewirkt und diesen so aus seiner Verteidigerstellung<br />

verdrängt hat. Stattdessen ist regelmäßig wieder der frühere Pflichtverteidiger zu bestellen<br />

(OLG Stuttgart StV 20<strong>16</strong>, 142; KG NStZ 2017, 64).<br />

Darüber hinaus hat die Rechtsprechung auch auf den hin und wieder zu beobachtenden Versuch, die<br />

Verdrängungsabsicht etwas weniger offensichtlich zutage treten zu lassen bzw. diese zu verschleiern,<br />

indem der „eigene“ Beiordnungsantrag erst eine gewisse Zeit nach der Entpflichtung des bisherigen<br />

Verteidigers gestellt wird, reagiert und klargestellt, dass es grundsätzlich nicht darauf ankomme, ob der<br />

Wahlverteidiger seinen eigenen Beiordnungsantrag in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit<br />

der Entpflichtung oder mit Verzögerung stellt (KG a.a.O.).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 22.8.<strong>2018</strong> 859

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