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ZAP-2018-16

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Fach 22, Seite 930<br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Notwendige Verteidigung – Update <strong>2018</strong><br />

3. Unfähigkeit zur Selbstverteidigung<br />

a) Gesundheitliche und geistige Einschränkungen<br />

Bei der Prüfung des § 140 Abs. 2 StPO sind auch die in der Person des Angeklagten liegenden Umstände<br />

zu berücksichtigen. Wer mit geistigen Beeinträchtigungen leben muss, ist sehr viel schneller mit der<br />

Wahrnehmung seiner Rechte überfordert und daher u.U. in weitaus höherem Maße auf den Beistand<br />

eines Verteidigers angewiesen als Gesunde. Dennoch kommt es bei der Prüfung der Selbstverteidigungsfähigkeit<br />

immer wieder zu schwer nachvollziehbaren Entscheidungen, bei deren Lektüre man<br />

oftmals nur staunen kann, welche Beeinträchtigungen der Selbstverteidigungsfähigkeit unbeachtlich<br />

sein sollen und was manch Angeklagtem zugemutet wird.<br />

So sollte es nicht des Eingreifens einer Beschwerdekammer bedürfen, um zu der Erkenntnis zu gelangen,<br />

dass ein unter motorischen Sprachstörungen leidender, unter Betreuung stehender Angeklagter,<br />

dessen Betreuer u.a. zur „Vertretung gegenüber Behörden“ bestellt ist, nicht in der Lage ist, sich in<br />

einem Strafverfahren selbst zu verteidigen (so aber in dem der Entscheidung LG Berlin StV 20<strong>16</strong>, 487<br />

zugrunde liegenden Fall). Wer selbst bei Alltagsvorgängen im Umgang mit Behörden überfordert ist und<br />

der Unterstützung durch einen Betreuer bedarf, ist in einem Strafverfahren, das ungleich belastender ist<br />

und in dem erhebliche Grundrechtseingriffe drohen, erst recht nicht in der Lage, sich selbst zu<br />

vertreten.<br />

Hinweis:<br />

Ein unter Betreuung stehender Angeklagter muss sich auch nicht darauf verweisen lassen, dass der Betreuer<br />

in der Hauptverhandlung anwesend sein kann. Die Aufgaben des Betreuers unterscheiden sich von<br />

jenen eines Strafverteidigers grundlegend (LG Oldenburg NdsRpfl 20<strong>16</strong>, 315). Dies gilt auch dann, wenn der<br />

Betreuer des Angeklagten selbst Rechtsanwalt ist (OLG Naumburg BtPrax 2017, 83).<br />

Auch eine langjährige, schwer behandelbare psychiatrische Erkrankung (dissozial-narzisstische<br />

Persönlichkeitsstörung) kann die Mitwirkung eines Verteidigers gebieten (OLG Hamburg StV <strong>2018</strong>,<br />

143). Gleiches gilt für einen reifeverzögerten Heranwachsenden mit stark beeinträchtigten geistigen<br />

Fähigkeiten (OLG Hamburg StV 2017, 724).<br />

Hinweis:<br />

Drogenabhängigkeit führt dagegen für sich allein noch nicht zur Verteidigungsunfähigkeit (KG, Beschl. v.<br />

23.2.20<strong>16</strong> – 3 Ws 87/<strong>16</strong>, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 422/20<strong>16</strong>). Hier bedarf es darüber hinaus weiterer Umstände, die die<br />

Mitwirkung eines Verteidigers erforderlich machen. Anhaltspunkte hierfür können eine Betreuerbestellung<br />

sein oder Ausführungen in einem Sachverständigengutachten zur Einsichts- und Steuerungsfähigkeit,<br />

wenn sich dort Erkenntnisse etwa über eine drogenbedingte Persönlichkeitsstörung und dergleichen<br />

finden.<br />

b) Sprachprobleme<br />

Immer wieder für Streit sorgt in der Praxis auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen einem<br />

Angeklagten, der die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrscht, ein Pflichtverteidiger zu bestellen<br />

ist. Auf Sprachschwierigkeiten gestützte Anträge stoßen immer wieder auf Widerstand, der i.d.R. damit<br />

begründet wird, dass doch die Anklageschrift übersetzt worden sei und in der Hauptverhandlung ein<br />

Dolmetscher zugegen wäre. Unzureichende Sprachkenntnisse des Angeklagten können aber durch die<br />

Bestellung eines Dolmetschers jedenfalls dann nicht vollständig ausgeglichen werden, wenn im<br />

Einzelfall komplexe Rechtsfragen zu prüfen sind (so zu Recht LG Detmold InfAuslR 2017, 131 für ein<br />

Verfahren, in dem außer nebenstrafrechtlichen Bestimmungen auch verwaltungsrechtliche Vorschriften<br />

zu erörtern waren). Zudem kann die Bestellung eines Pflichtverteidigers – auch in rechtlich und tatsächlich<br />

einfach gelagerten Fällen – dann geboten sein, wenn es bei der Übersetzung eines Strafbefehls/<br />

einer Anklage zu Fehlern gekommen ist und nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte<br />

854 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 22.8.<strong>2018</strong>

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