ZAP-2018-16
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Fach 22, Seite 936<br />
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />
Notwendige Verteidigung – Update <strong>2018</strong><br />
Hinweis:<br />
In Ausnahmefällen, etwa wenn der Angeklagte im Laufe eines längeren Verfahrens unvorhergesehen<br />
mittellos wird und der ehemalige Pflichtverteidiger aufgrund des fortgeschrittenen Verfahrensstadiums die<br />
Verteidigung nicht erneut übernehmen kann, wird allerdings eine Bestellung des bisherigen Wahlverteidigers<br />
in Betracht zu ziehen sein. Der Vorwurf des Verdrängens geht bei zuvor nicht absehbaren, nachträglich<br />
eingetretenen Umständen fehl. Das KG hat diese Frage in der vorgenannten Entscheidung allerdings<br />
mangels Entscheidungsrelevanz jedoch offen gelassen.<br />
b) Vermeintlicher Vertrauensverlust<br />
Dieser Kurs der Gerichte erschwert eine Verdrängung des bisherigen Pflichtverteidigers über § 143 StPO<br />
zunehmend. Wohl als Reaktion hierauf wurde eine weitere Verdrängungsmethode entwickelt: Anstatt<br />
über § 143 StPO auf eine Entpflichtung des bisherigen Verteidigers hinzuwirken, wird unmittelbar die<br />
Umbeiordnung beantragt und zur Begründung vorgetragen, der Angeklagte habe zu seinem bisherigen<br />
Verteidiger kein Vertrauen mehr.<br />
Die Gründe hierfür erweisen sich oftmals als vorgeschoben, und entsprechend dünn sind dann die<br />
Ausführungen hierzu. Dies kann der zu Unrecht angegangene Pflichtverteidiger zur Abwehr solcher<br />
Angriffe nutzen: Die Rechtsprechung stellt hohe Darlegungsanforderungen, wenn eine Zerrüttung des<br />
Vertrauensverhältnisses geltend gemacht werden soll. Die entsprechende Behauptung muss mit<br />
konkreten Tatsachen belegt werden; allgemeine, floskelhafte Unzufriedenheitsbekundungen genügen<br />
für eine Entpflichtung ebenso wenig wie unterschiedliche Auffassungen über die Verteidigungsstrategie.<br />
Bei unsubstantiierten Entpflichtungsanträgen, mit denen lediglich pauschale Vorwürfe erhoben werden,<br />
kann der Angeklagte auch keinen (zweiten) Pflichtverteidiger für das „Entpflichtungsverfahren“, etwa<br />
für eine Beschwerde gegen die Ablehnung des Entpflichtungsantrags, verlangen (OLG Hamburg, Beschl.<br />
v. 29.2.20<strong>16</strong> – 2 Ws 28/<strong>16</strong>).<br />
Hinweis:<br />
Bei der Beurteilung, ob das Vertrauensverhältnis endgültig und nachhaltig erschüttert ist, kommt es nicht<br />
auf das subjektive Empfinden des jeweiligen Mandanten an. Maßgeblich ist vielmehr der Standpunkt eines<br />
vernünftigen und verständigen Angeklagten (KG StRR 2/<strong>2018</strong>, 9).<br />
Zu beachten ist auch, dass der Verteidiger rechtskundiger Beistand des Angeklagten ist und nicht<br />
dessen Vertreter. Er hat sich allseitig unabhängig zu halten und, wo er durch Anträge oder in sonstiger<br />
Weise in das Verfahren eingreift, dies in eigener Verantwortung und frei von Weisungen des<br />
Angeklagten zu tun. Auch liegt eine Pflichtverletzung nicht bereits dadurch vor, dass der Pflichtverteidiger<br />
für den Beschuldigten nicht durchgängig erreichbar ist (KG a.a.O. m.w.N.).<br />
Hinweis:<br />
Sind die Gründe für den Vertrauensverlust aber schlüssig dargetan (einen vollen Beweis muss der<br />
Angeklagte nicht führen), kann auch der Wahlverteidiger beigeordnet werden (OLG Stuttgart StV<br />
20<strong>16</strong>, 142).<br />
3. Einvernehmliche Umbeiordnung<br />
Bei allseitigem Einverständnis ist eine Auswechslung des Pflichtverteidigers dagegen möglich (OLG<br />
Naumburg StraFo 20<strong>16</strong>, 515; OLG Karlsruhe NStZ 2017, 304). In diesem Fall gebietet es grundsätzlich<br />
die gerichtliche Fürsorgepflicht, dem Angeklagten den Anwalt seines Vertrauens beizuordnen. Eines<br />
zerrütteten Vertrauensverhältnisses oder eines Fehlverhaltens des bisherigen Verteidigers bedarf es<br />
dann nicht (OLG Celle StRR 10/2017, 2), so dass auch entsprechender Vortrag unterbleiben kann.<br />
860 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 22.8.<strong>2018</strong>