ZAP-2018-16
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Fach 22, Seite 934<br />
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />
Notwendige Verteidigung – Update <strong>2018</strong><br />
Hinweis:<br />
Zudem kann ein – für das Gericht bindender – Beiordnungsantrag der Staatsanwaltschaft gem. § 141 Abs. 3<br />
StPO nicht zurückgenommen werden (LG Münster StV 20<strong>16</strong>, 157; LG Verden StraFo 2017, 279).<br />
Allerdings riskiert der Rechtsanwalt den Fortbestand der Bestellung, wenn er die Verteidigung nicht<br />
ordnungsgemäß führt, was leider hin und wieder vorkommt und belegt, dass der schlechte Ruf der<br />
Pflichtverteidigung (hierzu BURHOFF, EV, Rn 2763, 8. Aufl. Rn 2780) nicht nur der Justiz, sondern auch<br />
einem kleinen Teil der Anwaltschaft geschuldet ist.<br />
Es können jedoch bei Weitem nicht nur pflichtvergessene Anwälte, sondern auch völlig ordnungsgemäß<br />
agierende Verteidiger plötzlich mit der Frage einer Entpflichtung konfrontiert werden, sei es durch<br />
Versuche der Gerichte, einen missliebigen Pflichtverteidiger „loszuwerden“, sei es durch konkurrierende<br />
Rechtsanwälte, die in das Mandat hineindrängen. Im Einzelnen:<br />
1. Entpflichtung<br />
a) Fehlverhalten/Untätigkeit des Verteidigers<br />
Die von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen an eine Entpflichtung des bestellten Verteidigers<br />
sind hoch. Besitzt der Pflichtverteidiger das Vertrauen des Angeklagten, berührt eine Rücknahme der<br />
Beiordnung dessen Verteidigungsbelange auf das Stärkste und kommt deshalb nur in Betracht, wenn<br />
Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung ernsthaft gefährden (BGH NJW 20<strong>16</strong>, 884).<br />
Demgegenüber sinken die Voraussetzungen für die Rücknahme der Bestellung bei einem Fehlverhalten<br />
des Verteidigers. Hier kann es nicht nur zulässig, sondern sogar geboten sein, dass das Gericht<br />
einschreitet und eine sachgerechte Verteidigung sicherstellt. So verlangt Art. 6 Abs. 3c MRK nach<br />
Auffassung des EGMR und des BGH bei nicht ordnungsgemäßer Verteidigung (auch ohne anwaltliches<br />
Verschulden, etwa bei Erkrankung) positive Maßnahmen seitens der zuständigen Behörden, um<br />
diesem Zustand abzuhelfen (BGH, Beschl v. 5.6.<strong>2018</strong> – 4 StR 138/18 m.w.N.).<br />
Der bestellte Pflichtverteidiger hat die Verteidigung ordnungsgemäß und mit dem gebotenen Engagement<br />
zu führen. Diese Verpflichtung trifft ihn nicht erst in der Hauptverhandlung, sondern unmittelbar ab dem<br />
Moment der Beiordnung. Verstößt der Verteidiger hiergegen, indem er den inhaftierten Beschuldigten über<br />
Monate hinweg nicht in der JVA besucht, um die Verteidigungsstrategie zu erörtern, rechtfertigt dies den<br />
Widerruf der Beiordnung (AG Köln StV 20<strong>16</strong>, 491; LG Ingolstadt StRR 9/2017, 2).<br />
Hinweis:<br />
Weigert sich der Vorsitzende trotz eines offensichtlichen Fehlverhaltens, die gebotene Entpflichtung vorzunehmen,<br />
begründet dies die Besorgnis der Befangenheit (AG Köln StV 20<strong>16</strong>, 491).<br />
Darüber hinaus hat der Pflichtverteidiger aufgrund ihrer überragenden Bedeutung für den Ausgang des<br />
Verfahrens regelmäßig an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Tut er dies in einem Umfangsverfahren<br />
nicht, ist eine ordnungsgemäße Verteidigung konkret in einer derart schwerwiegenden Weise<br />
gefährdet, dass die Rücknahme der Bestellung gerechtfertigt ist (OLG Stuttgart NStZ 20<strong>16</strong>, 436).<br />
Hinweis:<br />
Im Falle einer Verhinderung an einzelnen Verhandlungstagen ist jedoch eine Vertretung des anderweitig<br />
terminlich gebundenen Pflichtverteidigers durch einen anderen Pflichtverteidiger grundsätzlich zulässig,<br />
sofern eine ordnungsgemäße Verteidigung durch den Vertreter gewährleistet ist. Dies erfordert entweder eine<br />
umfassende Aktenkenntnis (die insbesondere bei größeren Verfahren kaum einmal vorhanden sein dürfte)<br />
oder einen überschaubaren Verhandlungsstoff an jenem Verhandlungstag (LG Dessau-Roßlau StV 20<strong>16</strong>, 488).<br />
858 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>16</strong> 22.8.<strong>2018</strong>