Immobilia 2011/10 - SVIT
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Immobilienrecht<br />
Serie Strafrecht 2. Teil<br />
Ablauf des Strafverfahrens<br />
Die polizeilichen Ermittlungen und die Untersuchung bei einer Straftat<br />
erfolgen durch die Staatsanwaltschaft. Welche Verfahrensrechte<br />
hat der Geschädigte? Wie kann er seine Rechte wahrnehmen?<br />
Rico Nido*<br />
<br />
BEGRIFF UND ZWECK DES VORVERFAHRENS.<br />
Das Strafverfahren beginnt mit einem Vorverfahren,<br />
das aus den Ermittlungen der<br />
Polizei und der Untersuchung der Staatsanwaltschaft<br />
besteht. Dabei wird der Sachverhalt<br />
(Lebensvorgang) mit ausreichender<br />
Gründlichkeit abgeklärt. Die Leitung des<br />
Verfahrens liegt bei der Staatsanwaltschaft.<br />
Im Vorverfahren werden, ausgehend von<br />
einem genügenden Anfangsverdacht, Erhebungen<br />
getätigt und Beweise gesammelt,<br />
um festzustellen, ob ein Strafbefehl<br />
zu erlassen, Anklage zu erheben oder die<br />
Einstellung des Verfahrens zu verfügen ist.<br />
UNTERSUCHUNGSGRUNDSATZ. Ein Sachverhalt<br />
muss zur Überzeugung des Gerichts<br />
im justizförmigen Verfahren bewiesen<br />
werden, bevor darauf ein Urteil gestützt<br />
werden darf. Beweissammlung und Beweisführung<br />
ist – anders als in einem Zivilprozess<br />
– vorrangig Aufgabe der staatlichen<br />
Organe. Der Sachverhalt muss von<br />
Amtes wegen umfassend ermittelt werden<br />
(Aufklärungspflicht). Darüber hinaus<br />
kann der Geschädigte Beweisanträge stellen,<br />
Beweise präsentieren und als Beweisperson<br />
selbst zur Sache aussagen. Das<br />
Ziel des strafprozessualen Beweisverfahrens<br />
ist die Ermittlung der materiellen<br />
Wahrheit. Bei der Wahrheitssuche haben<br />
die Strafbehörden die geeigneten und<br />
rechtlich zulässigen Beweismittel einzusetzen.<br />
Es wird zwischen persönlichen<br />
und sachlichen Beweisen unterschieden.<br />
Zu ersteren zählen Zeugen und Sachverständige,<br />
zu letzteren Beweisgegenstände<br />
(z. B. Urkunden) und der Augenschein.<br />
VERFOLGUNGSZWANG. Die Strafbehörden<br />
sind verpflichtet, ein Verfahren einzuleiten<br />
und durchzuführen, wenn ihnen Straftaten<br />
oder auf solche hinweisende Verdachtsgründe<br />
bekannt werden. Der<br />
Grundsatz des Verfolgungszwangs steht<br />
unter dem Vorbehalt gesetzlicher Einschränkungen.<br />
Beispiele von solchen<br />
Ausnahmen sind die Verjährung, Antragsdelikte<br />
und das Opportunitätsprinzip.<br />
Aus Opportunität kann beispielsweise<br />
in folgenden Fällen von einer Strafverfolgung<br />
abgesehen werden:<br />
– Fehlendes Strafbedürfnis aufgrund<br />
der Geringfügigkeit von Schuld und<br />
Tatfolgen (Bagatelle)<br />
– Wiedergutmachung durch den Täter.<br />
EINVERNAHMEN. Bei der Einvernahme handelt<br />
es sich um formalisierte protokollarische<br />
Befragungen durch die Polizei bzw.<br />
Staatsanwaltschaft. Die Einvernahme ist<br />
eines der wichtigsten Beweismittel im<br />
Strafverfahren. Befragt werden können<br />
Beschuldigte, Zeugen und Auskunftspersonen.<br />
Geschädigte können als Zeugen<br />
oder Auskunftspersonen einvernommen<br />
werden. Grundsätzlich haben befragte<br />
Personen das Recht, sich bei der Einvernahme<br />
durch einen Rechtsbeistand begleiten<br />
zu lassen.<br />
Beschuldigte unterstehen weder einer<br />
Aussage- noch einer Wahrheitspflicht. Sie<br />
müssen sich nicht selbst belasten oder am<br />
Verfahren gegen sich selbst mitwirken.<br />
Deshalb kann eine beschuldigte Person<br />
die Aussage verweigern. Sie muss aber<br />
Vorladungen Folge leisten (Erscheinenspflicht).<br />
Mit gewissen Ausnahmen (Zeugnisverweigerungsrecht,<br />
z. B. Ehefrau des Beschuldigten)<br />
sind Zeugen zur Aussage<br />
und Wahrheit verpflichtet. Ein vorsätzliches<br />
falsches Zeugnis ist strafbar.<br />
Auskunftspersonen müssen grundsätzlich<br />
keine Aussagen machen. Ebenfalls<br />
besteht für sie keine Wahrheitspflicht.<br />
Ein Spezialfall gilt für den<br />
Privatkläger (Geschädigter). Obwohl dieser<br />
nicht als Zeuge, sondern als Auskunftsperson<br />
einvernommen wird, ist er<br />
– mit gewissen Ausnahmen – zur Aussage<br />
verpflichtet.<br />
Parteirechte kommen<br />
dem Geschädigten nur<br />
dann zu, wenn er sich als<br />
Privatkläger konstituiert.»<br />
DIE RECHTE DES GESCHÄDIGTEN IM VERFAH-<br />
REN. Parteirechte kommen dem Geschädigten<br />
nur dann zu, wenn er sich als Privatkläger<br />
konstituiert. Dazu muss er<br />
gegenüber der Strafverfolgungsbehörde<br />
form- und fristgerecht ausdrücklich erklären,<br />
sich am Strafverfahren als Straf- oder<br />
Zivilkläger beteiligen, d. h. die Parteirechte<br />
beanspruchen zu wollen. Die Stellung<br />
eines Strafantrags ist dieser Erklärung<br />
gleichgestellt. Bei Offizialdelikten gilt die<br />
blosse Strafanzeige nicht als Konstituierung.<br />
Die Privatklägerschaft ist auch bei<br />
unbekannter Täterschaft möglich.<br />
Mit einer Strafklage wird die Verfolgung<br />
und Bestrafung des Täters verlangt.<br />
Durch eine Zivilklage können privatrechtliche<br />
Ansprüche aus der Straftat (z. B.<br />
Schadenersatz, Genugtuung) anhangsweise<br />
im Strafverfahren geltend gemacht<br />
werden. Die Forderung ist zu beziffern<br />
und schriftlich zu begründen, unter Angabe<br />
oder Beilage der angerufenen Beweismittel.<br />
Auf Antrag können vorsorgliche<br />
Massnahmen erlassen werden.<br />
Als Partei stehen dem Privatkläger<br />
sämtliche Parteirechte offen. Dazu gehört<br />
besonders der Anspruch auf rechtliches<br />
Gehör. Dies umfasst das Recht auf Teilnahme<br />
am Verfahren und Einflussnahme<br />
auf den Prozess der Entscheidfindung.<br />
Ebenfalls ist der Privatkläger berechtigt,<br />
Rechtsmittel einzulegen (Einsprache, Beschwerde,<br />
Berufung). Beispiele von Informations-<br />
bzw. Mitwirkungsrechten:<br />
– Akteneinsicht (Gesuch erforderlich)<br />
– Teilnahme an Verfahrenshandlungen<br />
(z. B. Einvernahme des Beschuldigten)<br />
– Beizug eines Rechtsbeistands<br />
– Äusserung zur Sache und<br />
zum Verfahren<br />
– Einreichen von Forderungen,<br />
Anträgen, Stellungnahmen<br />
– Stellen von Beweisanträgen<br />
– Vortragsrecht bei der Gerichtsverhandlung.<br />
TRÄGT DER GESCHÄDIGTE EIN KOSTENRISIKO?<br />
Bei einer normalen und berechtigten Anzeige<br />
bzw. Klage und einem korrekten<br />
bzw. pflichtgemässen Verhalten im Verfahren<br />
hat der Geschädigte – auch bei<br />
einem Rückzug – keine Kosten zu tragen.<br />
Eine Kostenpflicht für den Geschädigten<br />
kann allerdings u. a. in den folgenden<br />
besonderen Fällen entstehen:<br />
– Bei fehlerhaften Verfahrenshandlungen<br />
(Verletzung einer Verfahrenspflicht,<br />
inkl. Säumnis)<br />
– Bei mutwilliger oder grobfahrlässiger<br />
Verursachung des Verfahrens oder Erschwerung<br />
dessen Durchführung (gilt<br />
nur bei Antragsdelikten).<br />
NICHTANHANDNAHME. Die Staatsanwaltschaft<br />
verfügt die Nichtanhandnahme<br />
30 | immobilia Oktober <strong>2011</strong>