Immobilia 2011/10 - SVIT
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men, um unsere städtischen Verkehrsprobleme<br />
zu lösen.»<br />
Schlussendlich wurde die Minimetro<br />
zum Meisterstück. Denn vorher hat<br />
sich noch niemand an eine solche, über<br />
drei Kilometer lange Stadtbahn mit sieben<br />
unterschiedlich entfernten Stationen,<br />
mit einem Trassenverlauf voll enger<br />
Kurven, mit erheblichem Gefälle und<br />
mit langen Tunnelabschnitten gewagt.<br />
Klassische Systeme mit fix ans Seil gekuppelten<br />
Kabinen haben höchstens drei<br />
Stationen und sind daher keine Alternative<br />
zu Bus oder Tram. Bei der neuartigen<br />
Minimetrò in Perugia lassen sich die Kabinen<br />
in jeder Station aus dem umlaufenden<br />
Seil auskuppeln und anhalten.<br />
Perugia wählte für seine neue Stadtseilbahn<br />
das PPP-Modell, also das Prinzip<br />
von Public Private Partnership, mit den<br />
städtischen Verkehrsbetrieben und drei<br />
privaten Firmen als Partner. Die Mehrheit<br />
des Gesellschaftskapitals besitzt die<br />
öffentliche Hand. Da für Stadtväter und<br />
Bevölkerung ihre Stadt eine bedeutende<br />
ist und dies wegen ihrer Architektur und<br />
Landschaft auch anerkannt wird, musste<br />
die Vision von einem alternativen und<br />
einzigartigen Transportsystem ebensolchen<br />
Ansprüchen genügen.<br />
Wir mussten viel forschen und probieren,<br />
bis wir das neuartige System technisch und<br />
störungsfrei auf die erforderlichen Standards<br />
entwickelt hatten.»<br />
MARTIN LEITNER<br />
Jean Nouvel als Bahn-Architekt. Ein solches,<br />
neues Transportsystem musste<br />
sowohl den Bedürfnissen der hochsensiblen,<br />
geschichtsträchtigen Altstadt<br />
als auch der besonderen Gelände- und<br />
Bebauungsstruktur der Neustadt Rechnung<br />
tragen. Man kannte auch in Perugia<br />
das damals in Luzern eben fertig gestellte<br />
Kunst- und Kongresshaus (KKL)<br />
mit seinem berühmten Architekten. Da<br />
schien Jean Nouvel mit seiner internationalen<br />
Erfahrung goldrichtig, um aus<br />
dem geplanten und effizienten Transportsystem<br />
auch ein architektonisches<br />
Kunstwerk zu formen und zu gestalten.<br />
Die Stadt mit den einzigartigen Kunstschätzen,<br />
wunderschönen Kirchen und<br />
Palästen erhoffte sich dadurch auch einen<br />
echten Mehrwert.<br />
Jean Nouvels Können und architektonische<br />
Gabe erkennt nicht nur der<br />
Fachmann, mit der er jedes Bauteil und<br />
Element gestaltet hat. Wie er die Materialien<br />
wählte und peinlich genau ihre<br />
Verarbeitung überprüfte. Besonders bei<br />
den unter- und überirdischen Stationen,<br />
dem Einsatz von Tageslicht und künstlicher<br />
Beleuchtung ist die Handschrift<br />
des französischen Architekten mit seinem<br />
Hauptatelier in Paris unverkennbar.<br />
Selbst die Viadukte und Tunnels,<br />
die Grünflächen und das Hervorheben<br />
der natürlichen Umgebung sollen zu einem<br />
organischen Ganzen zusammenfliessen.<br />
Vor Beginn der Bauarbeiten<br />
war eine lange und bis ins letzte Detail<br />
bestimmte Bauphasen- und Etappenplanung<br />
mit entsprechender Logistik notwendig.<br />
Denn es war zwingend zu vermeiden,<br />
dass Perugias ohnehin schon<br />
überlastetes und enges Strassensystem<br />
nicht mit vielen Baustellen im Stadtzentrum<br />
lahmgelegt würde. Dabei sei nur<br />
eine der herausragenden Projektleistungen<br />
erwähnt: der heikle Tunnel unter<br />
der Akropolis und die Unterfahrung<br />
der Altstadtbauten von kaum 20 Metern<br />
im Erdreich.<br />
Auch bahntechnische Meisterleistung.<br />
Die Minimetrò gehört zu den APM-Systemen<br />
(Automated People Mover) mit<br />
Seilantrieb und automatischer Kupplungstechnik<br />
in den Stationen. Die knapp<br />
3,1 Kilometer lange Stadtbahn überwindet<br />
einen Höhenunterschied von<br />
161 Metern und hat fünf Zwischenstationen.<br />
Die Linie wird zu 60% oberirdisch<br />
und zu 40% in drei Tunnels geführt.<br />
Auf der Linie vom Parkplatz Pian<br />
di Massiano am Stadtrand zur Endstation<br />
Pincetto im Stadtzentrum fahren hintereinander<br />
25 Wagen, die im Abstand<br />
von rund 400 Metern an ein Zugseil geklemmt<br />
sind. Vor den Stationen kuppeln<br />
sich die Wagen automatisch vom<br />
Seil ab, werden abgebremst und angehalten.<br />
Nach den Fahrgastumstiegen beschleunigt<br />
eine Reihe von Luftreifen mit<br />
vertikaler Achse, die sogenannten Synchronisationseinheiten<br />
die 50 Personen<br />
fassenden Wagen wieder auf die Fahrgeschwindigkeit<br />
von 25 km/h. Diese Reifenbatterien<br />
wirken durch Reibung auf<br />
die seitlich an den Wagen angebrachten<br />
Transportschuhe ein. Dadurch können<br />
sich die Wagen unabhängig vom Zugseil<br />
bewegen, während sich das Antriebsseil<br />
in seiner Geschwindigkeit weiterbewegt.<br />
Perugias Minimetrò hat zwei unabhängig<br />
voneinander funktionierende<br />
Fahrbahnen mit je einem endlos umlaufenden<br />
Zugseil. Die Minimetrò zeichnet<br />
sich durch eine hohe Zahl an Wagenfahrten<br />
aus. Bei maximaler Geschwindigkeit<br />
und Anlagenhöchstleistung liegen<br />
die Zeitintervalle zwischen den Wagen<br />
sogar knapp unter einer Minute. Damit<br />
kann die massgeschneiderte Stadtbahn<br />
in der Stunde und pro Richtung über<br />
3000 Personen befördern.<br />
Vollständige Automatisierung. Die Antriebsstation<br />
und Steuerungszentrale<br />
befindet sich an der Endstation im Stadtzentrum.<br />
Dank der vollständigen Automatisierung<br />
ist die Anlage einfach zu<br />
bedienen und benötigt nur sehr wenig<br />
Personal. So ist weder für die 25 gleichzeitig<br />
fahrenden Wagen noch in den<br />
Zwischenstationen Personal notwendig,<br />
was sehr tiefe Betriebskosten zur Folge<br />
hat. Auch für die ordentliche Wartung<br />
braucht es dank einem einfachen und<br />
durchdachten System nur wenige Servicetechniker.<br />
In der zweiten Hälfte der<br />
1990er-Jahre hat Leitner auf ihrem Firmengelände<br />
in Sterzing eine Versuchsanlage<br />
der Minimetrò entwickelt und<br />
gebaut. An diesem 1-zu-1-Grossmodell<br />
konnten Funktions-, Belastungs- und Bereitschaftstests<br />
simuliert, laufend angepasst<br />
und verbessert werden.<br />
*Angelo Zoppet-Betschart<br />
Der Autor ist Bauingenieur und<br />
Fachjournalist und lebt in Goldau.<br />
immobilia Oktober <strong>2011</strong> | 35