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Berliner Kurier 10.02.2019

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20 JOURNAL BERLINER KURIER, Sonntag, 10. Februar 2019<br />

Die vergessene<br />

Meisterin<br />

Oskar Schlemmer, Paul Klee, Wassily<br />

Kandinsky: Klangvolle Namen, die<br />

man sofort mit dem Bauhaus verbindet.<br />

Doch Gunta Stölzl?<br />

„Nach 1945 geriet sie wie die meisten Bauhaus-Künstlerinnen<br />

in Vergessenheit und<br />

wurde im Schatten all der männlichen Legenden<br />

um ihre Verdienste gebracht“, sagt<br />

ihr Neffe Christoph Stölzl (74), Historiker,<br />

früher <strong>Berliner</strong> Wissenschaftssenator, heute<br />

Präsident der Musikhochschule Franz Liszt<br />

Weimar.<br />

Als Kind erlebte er Tante Gunta bei Besuchen<br />

in deren Haus in der Schweiz: „Das Komische<br />

ist, dass sie mir da als sehr streng und<br />

konservativ erschien. Gunta wurde schön böse,<br />

wenn man die Butter schief aufschnitt<br />

oder einen ihrer vielen Kunstbände nicht ordentlich<br />

ins Regal zurück stellte.“<br />

Dabei war Gunta Stölzl (1897–1983)injungen<br />

Jahren das Gegenteil: eine rebellische,<br />

freiheitsliebende Frau. Als eine der ersten<br />

Studentinnen wurde die Lehrertochter aus<br />

München 1919 an der neu gegründeten Bauhaus-Schule<br />

in Weimar angenommen. Freie<br />

Kurse lösten starre Universitätsstrukturen<br />

aus der Kaiserzeit ab. Das Ziel laut Bauhaus-<br />

Direktor Walter Gropius:<br />

„Eine ganze neue Symbiose<br />

aus Kunst und Technik.“<br />

Gunta Stölzl machte früh<br />

auf sich aufmerksam, indem<br />

sie mit textilen Materialen<br />

und neuen Formen<br />

experimentierte. Als Leiterin<br />

der Weberei stieg sie<br />

zur einzigen Bauhaus-<br />

Meisterin auf. Ihr größter<br />

Verdienst: Die Frauen am<br />

Bauhaus hatten in ihr eine<br />

Leitfigur für ihr Streben<br />

nach gleichen Entfaltungschancen.<br />

„Gunta war eine dieser<br />

couragierten 20er-Jahre-<br />

Frauen, die Hosen trug und<br />

unglaublich tapfer war“,<br />

sagt Christoph Stölzl. Wie<br />

sie am Bauhaus wirkte, erfasste ererst vollständig<br />

vor einigen Jahren: „Nach dem Tod<br />

meiner Mutter habe ich auf dem Dachboden<br />

die Korrespondenz zwischen ihr und meinem<br />

Vater entdeckt. Die zwei hatten ein sehr<br />

enges Verhältnis und sich alles anvertraut.“<br />

In den Briefen wird das Leben am Bauhaus<br />

geschildert, das national-konservative Kreise<br />

Gunta(eigentlich Adelgunde) Stölzl<br />

gilt als Erneuerin der Handwebkunst.<br />

Vor100 Jahren<br />

stellte das Bauhaus<br />

die Kunstwelt<br />

auf den Kopf.<br />

Mittendrin eine<br />

Frau: GuntaStölzl.<br />

Ihr Leben lieferte<br />

die Vorlage für einen<br />

TV-Film, der von<br />

Geschlechterkämpfen<br />

und Affären erzählt<br />

in Weimar (und später Dessau) zunehmend<br />

als Sittenverfall ausmachten: selbstbewusste<br />

Frauen, verrückte Kostümfeste, sexuelle Offenheit.<br />

Stölzl: „Junge Menschen sind nicht<br />

24 Stunden lang Künstler. Sie lieben und hassen,<br />

sie begehren und verführen, sie binden<br />

und sie trennen sich.“<br />

Im Jahr 1921 brachte Gunta Stölzl Tochter<br />

Yael zur Welt. Der Vater<br />

war der jüdische Student<br />

Arieh Sharon (1900–1984),<br />

der sich später als Architekt<br />

in Israel einen Namen<br />

machte. Die Heirat wurde<br />

als Zugeständnis an bürgerliche<br />

Konventionen<br />

vollzogen. Jedoch zog das<br />

Paar nie zusammen. Und<br />

die Bauhaus-Pionierin<br />

brachte ihr Kind überall<br />

mit hin, stillte es im Unterricht.<br />

So war Gunta Stölzl eine<br />

Vorkämpferin für die<br />

Emanzipation. Zugleich<br />

war sie eine innovative<br />

Künstlerin; und die von ihr<br />

im Teamgeist geführte Weberei<br />

war die Bauhaus-<br />

Werkstatt, die mit ihren Produkten die größten<br />

Einkünfte erzielte. Dennoch erhielt sie<br />

deutlich weniger Gehalt als die Männer in<br />

gleicher Führungsposition.<br />

Als das Bauhaus in den Jahren vor seiner<br />

Schließung 1933 politisch immer stärker<br />

unter Druck geriet, musste die mit einem Juden<br />

liierte Stölzl um ihre Position kämpfen.<br />

An ihre Wohnungstür schmierten Unbekannte<br />

ein Hakenkreuz.<br />

Ihre offene Sympathie für die kommunistische<br />

Bewegung brachte ihr zusätzlich Ärger<br />

ein. Schließlich emigrierte sie in die Schweiz.<br />

Dort wirkte sie weiter, bekam aber nie die<br />

kunsthistorische Anerkennung wie bei-<br />

Nach oben strebende Frauen: GuntaStölzl (links) mit ihrer Klasse<br />

auf den Stufen des Dessauer Bauhauses. Die Fotografie diente als<br />

Vorlage für Oskar Schlemmers Gemälde „Bauhaustreppe“ (1932).

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