AUTOINSIDE Ausgabe 4 – April 2019
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TECHNOLOGIE / ANTRIEBE<br />
Genickschuss verabreichen will, sollte sich zuerst über die europäische<br />
Stromproduktion Gedanken machen. In Norwegen wird fast der<br />
komplette Strom mittels Geothermie produziert. Die heissen Quellen<br />
sorgen für einen beinahe CO 2<br />
-freie Produktion. Dies ist allerdings die<br />
löbliche Ausnahme. In allen anderen europäischen Ländern sind<br />
die Kernenergie, Kohlekraftwerke oder fossile Kraftwerke Hauptlieferanten.<br />
Ein mit deutschem Kohlestrom geladenes Oberklasse-BEV<br />
emittiert rund 390 Gramm CO 2<br />
pro km, während das gleiche Fahrzeug<br />
mit dem CH-Strommix geladen 170 g/km emittiert (Quelle Bericht<br />
Umweltaspekte, Bafu). Der Schweizer Flottendurchschnitt im<br />
Jahr 2017: 134,1 g/km (Vorgabe des Bundes bis Ende <strong>2019</strong> 130 g/km)<br />
und die Vorgabe für das Jahr 2020 sind noch lediglich 95 g/km.<br />
Alle Experten im Energiesektor sind sich einig: BEV sind nur<br />
dann sinnvoll einsetzbar, wenn die elektrische Energie aus regenerativer<br />
Produktion stammen. Die Schweiz verfügt aktuell über knapp<br />
60 Prozent Wasser- und knapp 40 Prozent Kernenergie. Der Traum<br />
von Solarpanels, welche die BEV mit Sonnenstrom laden, ist noch<br />
nicht realisierbar. Tagsüber sind die Fahrzeuge in Betrieb und nachts<br />
zu Hause an der Ladesteckdose.<br />
Steuerliche Diskrepanz<br />
Solange Solarstrom nicht wirkungsgrad- und kostengünstig gespeichert<br />
werden kann, ist auch diese Variante bis auf Weiteres nicht umsetzbar. Und<br />
einen weiteren Aspekt wirft Prof. Dr. Konstantinos Boulouchos von der<br />
ETH Zürich in die Diskussion ein: «Die Zuordnung von Null-CO 2<br />
-Emissionen<br />
für elektrifizierte Antriebe ist mit Bezug auf den absehbaren CO 2<br />
-Fussabdruck<br />
des erforderlichen Zusatzstroms massiv marktverzerrend.»<br />
Dass die E-Fahrzeuge mit 0 g/km in die Flottenemissionen eingerechnet<br />
werden, ist technisch nicht korrekt, politisch aber gewollt. Der Energieexperte<br />
ergänzt: «In Zukunft muss die Infrastruktur für die Strasse auch von<br />
Elektrofahrzeugen bezahlt werden.» Die heute vom Bund eingenommenen<br />
etwa 5 Milliarden Franken Mineralölsteuer brechen kontinuierlich weg,<br />
BEV sind aktuell zudem in vielen Kantonen steuerlich begünstigt.<br />
Geopolitische Strategie<br />
Ausgerechnet China ist aktuell der Treiber bei den BEV. Grund:<br />
Das Land erfährt im Moment die Massenmotorisierung mit Autos,<br />
hat in den Grossstädten immense Immissionsprobleme und hat sich<br />
darum auf die lokal emissionslose Mobilität eingeschossen. Dies ist<br />
neben dem Bevölkerungswachstum mit ein Grund, warum China aktuell<br />
seinen Kernkraftwerkpark massiv ausbaut. Über 30 Reaktoren<br />
sind im Bau oder wurden kürzlich in Betrieb genommen. Die Stromproduktion<br />
ist CO 2<br />
-frei, aber die Endlagerung der radioaktiven Abfälle<br />
ebenfalls nicht endgültig gelöst.<br />
Gleichzeitig sicherte sich China in der Vergangenheit auf allen<br />
Kontinenten Schürfrechte für die benötigten Rohstoffe zur Produktion<br />
von Akkumulatoren und E-Maschinen (siehe Tabelle). 90 Prozent<br />
der Akkumulatorenproduktion findet im asiatischen Raum statt.<br />
Obwohl Tesla eine Giga-Fabrik (zusammen mit Panasonic) für die Produktion<br />
von Lithium-Ionen-Akkus gebaut hat, sind die globalen Player<br />
in Asien. Firmen wie Panasonic, Samsung, LG Chem, CATL oder<br />
BYD sind die Dominatoren und machen die europäische Automobilindustrie<br />
abhängig. In Europa wurden Lieferverträge und Firmenbeteiligungen<br />
erst spät in Angriff genommen. China hat die staatliche<br />
Steuerung der Batterieproduktion übernommen und sieht die Automobilindustrie<br />
als Schlüsselbereich. Die Materialkosten machen zudem<br />
rund 50 Prozent des Preises eines Akkus aus.<br />
Energieintensive Produktion<br />
Doch nicht nur die Rohstoffbeschaffung für die Herstellung der<br />
Akkumulatoren ist aktuell wie künftig aufgrund der geopolitischen<br />
Lage eine Herausforderung, auch die Produktion für die mittel- bis<br />
langfristigen Mengen sorgt für Kopfzerbrechen in den Führungsetagen<br />
von OEM und Zulieferern. Die Bereitstellung der Rohstoffe und<br />
die Herstellung von Akkus benötigen viel Energie und erzeugen hohe<br />
CO 2<br />
-Emissionen. Wird das bei der Herstellung freigesetzte CO 2<br />
in Benzinäquivalente<br />
durch die Verbrennung im Ottomotor umgerechnet,<br />
sind dies für ein durchschnittliches BEV zwischen 600 und 2 400<br />
Liter Benzin. Dies entspricht einer Fahrleistung von 8700 bis 34 800<br />
km (Quelle: Aktualisierung Umweltaspekte von Elektroautos im Auftrag<br />
des Bundesamtes für Umwelt Bafu, 4. Oktober 2018). Wird ein<br />
luxuriöses Fahrzeug wie der Tesla Modell S eingerechnet, kommt die<br />
Akkuproduktion auf eine umgerechnete Fahrleistung von 65 000 km.<br />
Fokus Entwicklung und Infrastruktur<br />
«Lithium-Ionen-Akkumulatoren mit flüssiger Kathode aus Nickel,<br />
Kobalt und Lithium sowie einer Kohlenstoffanode werden bis 2025<br />
den Markt bei den E-Fahrzeugen dominieren» sagte Dr. Thorsten Bran-<br />
Gehäuseoberteil<br />
Kühlmittelleitung<br />
Gehäusedeckel<br />
Elektrik / Elektronik<br />
HV-Anschlüsse<br />
Zellüberwachungseinheit<br />
Zellblock<br />
Gehäuseunterteil<br />
Unterbodenverkleidung<br />
Herausforderung Akkumulator:<br />
Sowohl die Produktionskapazitäten<br />
wie auch die Rohstoffverfügbarkeit<br />
hinken der Planung<br />
hinterher. Einzig China kann aus<br />
dem Vollen schöpfen. Aufgrund<br />
der weltweiten Schürfrechte<br />
vor allem für Lithium und Kobalt,<br />
aber auch dem staatlich verordneten<br />
Aufbau der Akkuindustrie<br />
verschafft sich das Reich der<br />
Mitte Vorteile für den Wachstumsmarkt<br />
E-Mobilität.<br />
<strong>AUTOINSIDE</strong> | <strong>April</strong> <strong>2019</strong> 47