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Berliner Kurier 21.04.2019

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17<br />

als Blumen, nicht als Unkraut!<br />

Den Unterschied gibt es ja sowieso<br />

nur in unseren Köpfen.<br />

Sie schreiben, dass es nicht<br />

unbedingt eine gute Idee ist,<br />

die Beete mit gekauften<br />

Pflanzen zu bestücken ...<br />

Vor drei Jahren kauften ein<br />

Doktorand und ich in den großen<br />

Gartencentern rund um<br />

Brighton als bienenfreundlich<br />

gekennzeichnete Pflanzen:<br />

Zum Beispiel welche mit dem<br />

„Perfect for Pollinators“-Logo<br />

der Royal Horticultural Society.<br />

Da sie in riesigen Gewächshäusern<br />

herangezogen wurden,<br />

dachten wir uns schon, dass sie<br />

mit Pestiziden behandelt sein<br />

würden. Wir testeten sie und<br />

natürlich waren sie belastet.<br />

Fast jede Pflanze, die wir testeten,<br />

hatte ein oder mehrere Pestizide<br />

in sich. 70 Prozent enthielten<br />

Neonicotinoide, das ist<br />

ein Gift, das in enger Verbindung<br />

mit dem Bienensterben<br />

steht.<br />

Wenn ich so eine Pflanze gekauft<br />

habe, werde ich die<br />

Pestizide irgendwie los?<br />

Manche verschwinden in ein<br />

paar Wochen, andereineinigen<br />

Jahren. Wahrscheinlich ist in<br />

zwei bis drei Jahren alles weg,<br />

aber viele der Pflanzen leben<br />

nur einen Sommer. Daher würde<br />

ich sagen: Leute, kauft sie<br />

nicht. Geht in eine Bio-Gärtnerei,<br />

die gibt es ja auch. Oder<br />

zieht Pflanzen aus Samen.<br />

Das ist auchbilliger.<br />

Und so viel nachhaltiger.<br />

Gärtnern ist ja nicht automatisch<br />

ein grünes Hobby, es<br />

hängt sehr davon ab, wie wir es<br />

machen. Zum Gartencenter<br />

fahren, pestizidgetränkte Pflanzen<br />

kaufen, in Wegwerf-Plastiktöpfen,<br />

und Torf, der in einem<br />

Moor aus der Erde gebaggert<br />

wurde. Das ist nicht sehr<br />

umweltfreundlich. Also: Zieht<br />

eure eigenen Pflanzen, bittet<br />

Freunde und Nachbarn um Ableger,<br />

es ist sehr einfach, Stecklinge<br />

oder Ableger zu nehmen.<br />

Dafür muss man auch nicht<br />

durch die Gegend fahren.<br />

Der von Ihnen gegründete<br />

Bumblebee Conservation<br />

Trust empfiehlt, in jedem<br />

Garten von März bis Oktober<br />

jeweils zwei insektenfreundliche<br />

Pflanzen blühen zu lassen.<br />

Für deutsche Gärtnerinnen-Ohren<br />

klingt das sehr anspruchsvoll.<br />

Ach, ich sage immer, bloß kein<br />

Stress. Um den perfekten Bestäubergarten<br />

zu haben,<br />

braucht es Dutzende Pflanzen:<br />

Einige Blüten für die mit den<br />

langen, einige für die mit den<br />

kurzen Rüsseln, für Hummeln,<br />

Fotos. imago/Hollandse Hoogte, imago/Manngold, imago/blickwinkel, Dave Goulson<br />

Bienen, Schwebfliegen,<br />

Schmetterlinge … Das schafft<br />

nur, wer sehr viel Platz und Zeit<br />

hat. Aber schon eine einzige<br />

Pflanze ist besser als keine.<br />

Ein Schmetterlingsflieder, eine<br />

Katzenminze, ein Lavendel<br />

oder Rosmarin, eine ungefüllte<br />

Dahlie oder Rose …<br />

Genau. Das Schöne ist ja, dass<br />

die Insekten fliegen können.<br />

Wenn sie in dem einen Garten<br />

keine Nahrung finden, fliegen<br />

sie weiter und finden hoffentlich<br />

woanders was. Und kommen<br />

wieder, wenn es wieder<br />

was gibt. Wenn alle ein paar insektenfreundliche<br />

Blumen<br />

pflanzen, und zwar möglichst<br />

nicht alle die gleichen, ist schon<br />

viel gewonnen.<br />

Der <strong>Berliner</strong> Senat möchte<br />

Pestizide aus öffentlichen<br />

Grünflächen verbannen. In<br />

Ihrem Buch geht es auch um<br />

Pflanzenschutzmittel in<br />

Parks, an Straßen- und Wegrändern,<br />

ja auf Kinderspielplätzen.<br />

Ich glaube, den meisten<br />

Leuten ist gar nicht klar,<br />

dass sie dort in den allermeis-<br />

ten Kommunen ganz legal<br />

versprüht werden.<br />

Ja, besonders Glyphosat wird<br />

viel eingesetzt. Einige Städte<br />

verzichten aber schon lange darauf<br />

und werden nicht von<br />

Monster-Unkräutern<br />

überwuchert. Toronto<br />

zum Beispiel, ich war<br />

vor ein paar Jahren<br />

dort, es sah aus wie<br />

jede andere<br />

Stadt. In Frankreich<br />

wurden<br />

schon vor einer<br />

Weile die lokalen<br />

Verwaltungen<br />

angewiesen,<br />

es<br />

nicht mehr zu<br />

verwenden.<br />

Und nun ist<br />

dort auch der<br />

private Gebrauch<br />

verboten.<br />

Das ist<br />

brillant!<br />

Wenn das in<br />

ganz Frankreich<br />

geht,<br />

warum nicht in<br />

Großbritannien<br />

oder Deutschland?<br />

In Ihrem Buch<br />

warnen Sie auch<br />

vor Floh- und Zeckenmitteln<br />

für<br />

Hunde und Katzen<br />

… Ist das<br />

nicht ein wenig<br />

übertrieben?<br />

Bei diesen<br />

Spot-Ons wird<br />

das Mittel auf<br />

den Nacken des<br />

Tieres geträufelt.<br />

Die monatliche<br />

Dosis für einen<br />

mittelgroßen<br />

Hund kann<br />

etwa 60 Millionen<br />

Honigbienen<br />

töten. Oder 60<br />

Rebhühner. Bei<br />

den Halsbändern<br />

ist die Dosis noch<br />

höher. Es wird in<br />

den Nacken geträufelt,<br />

damit der<br />

Hund es nicht ableckt.<br />

Könnte er das,<br />

würde es ihn wahr-<br />

Der Forscher bei der Arbeit: Geht es nach ihm würden sogarÄcker in<br />

Schrebergärten umgewandelt,umSchutzräume für Insekten zu schaffen.<br />

scheinlich umbringen. Ja, aber<br />

Kinder streicheln ihn dort, umarmen<br />

ihn. Stellen Sie sich vor,<br />

etwas zu umarmen, das mit<br />

Neurotoxinen getränkt wurde!<br />

Außerdem sind diese Mittel<br />

wasserlöslich. Der Hunde<br />

läuft durch den Regen<br />

oder springt in einen<br />

See… und verteilt<br />

dort große Mengen<br />

Insektizide.<br />

Eine Wildbiene<br />

labt an einer<br />

Blüte eines<br />

Lavendelstrauches.<br />

Gift auf bienenfreundlichen<br />

Topfpflanzen, in Parks, auf<br />

Spielplätzen, ja sogar auf<br />

Hunden –alles ist außerdem<br />

erlaubt, wird sogar empfohlen.<br />

Muss ich diesen Mitteln<br />

nicht vertrauen?<br />

Wenn wir in die Vergangenheit<br />

schauen, sehen wir, dass<br />

jahrzehntelang behauptet wurde,<br />

DDT sei harmlos, in den<br />

50er, 60er, 70er Jahren. Bis es<br />

in den 80ern verboten wurde,<br />

weil es eben nicht harmlos ist.<br />

Auch andere Insektizide, die<br />

sehr giftig für Menschen sind, ja<br />

als chemische Kampfstoffe entwickelt<br />

wurden, waren viele<br />

Jahre auf dem Markt. Und so<br />

lange sie verwendet werden,<br />

heißt es, sie sind schon in<br />

Ordnung. Und Neonicotinoide,<br />

die das Nervensystem<br />

der Bienen<br />

angreifen, sollten<br />

auch ganz wunderbar<br />

sein, hieß es,<br />

und sie sind es<br />

auch nicht. Also,<br />

wie viel<br />

Vertrauen<br />

hat so ein<br />

System verdient?<br />

Schauen<br />

wir lieber<br />

wieder in den<br />

Garten! Sie schlagen sogar<br />

vor, Äcker in Schrebergärten<br />

umzuwandeln.<br />

In Großbritannien stehen 90<br />

000 Menschen auf den Wartelisten<br />

der Kolonien –das ist ein<br />

starkes Argument für mehr<br />

Gärten. Nachdem das Buch fertig<br />

war, erschien eine Studie<br />

über Insekten in britischen<br />

Städten. Sie zeigte, dass die gesündesten<br />

und größten Bestäuber-Populationen<br />

in Schrebergärten<br />

leben. Sie sind offenbar<br />

wirklich gut fürs Insektenleben.<br />

Und sie bringen eine erstaunliche<br />

Menge Nahrung hervor,<br />

mehr als eine gleichgroße<br />

Ackerfläche. Du kannst deine<br />

Zwiebeln, deinen Kohl, deine<br />

Bohnen und deinen Salat im<br />

Garten viel enger pflanzen. Es<br />

gibt keine Food-Miles, keine<br />

Verpackung. Das ist natürlich<br />

viel arbeitsintensiver als maschinenbewirtschaftete<br />

Monokulturen.<br />

Würden sich wirklich genug<br />

Leute so ernsthaft um die<br />

Gärten kümmern?<br />

Wenn jetzt gerade allein in<br />

England 90 000 Menschen auf<br />

einen Schrebergarten warten,<br />

was wäre, wenn wir eine Kampagne<br />

hätten, die die Vorteile<br />

bekannter macht, die Leute informiert<br />

und ermutigt, ihr eigenes<br />

gesundes Essen anzubauen?<br />

Wenn man kostenlose Kurse<br />

anbieten würde und Samen verschenkt?<br />

Es wäre überhaupt<br />

nicht teuer –verglichen mit den<br />

drei Milliarden jährlich für Agrar-Subventionen<br />

allein in<br />

Großbritannien. Alle hätten<br />

was davon. Gärtner gäbe es bestimmt<br />

genug. Aber wie kriegt<br />

man die Politiker dazu?<br />

Das Interview führte<br />

Sabine Rohlf.

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