48 Serie: 100 Jahre Bauhaus 100 Jahre bauhaus Bauhaus in Hamburg Vor 100 Jahren wurde die berühmte Kunstschule in Weimar gegründet. Architektin Annette Niethammer zeigt, wo ihr Einfluss in der Hansestadt zu sehen ist. VON HANNA KRÜGER
49 Hamburg. Majestätisch ragt die markante, an einen Schiffsbug erinnernde Spitze des zehnstöckigen Kontorhauses in den Himmel. Seine Fassade besteht aus fast fünf Millionen Klinker- und Backsteinen, die zum Teil Ornamente und Muster ergeben. Innen beeindrucken gewundene Treppenhäuser und prächtige Mahagonitüren. Kein Wunder, dass das 1922 bis 1924 von Fritz Höger errichtete Chilehaus von Anfang an als Ikone der Architektur gefeiert wurde. Heute gilt es als beispielhaft für den Backstein-Expressionismus – eine eigenständige Spielart der Moderne aus der ersten Zeit der Bauhaus-Phase in Weimar. Die Stadt Hamburg hat das Chilehaus daher als Werbegesicht für ihre Teilnahme an den Feierlichkeiten zum Bauhaus-Jahr <strong>2019</strong> erkoren. Nichts Neues für das Gebäude: Bereits 1925 galt es als Werbe- Ikone, sogar für ganz Deutschland. Das beweist zum Beispiel eine Grafik aus dem Jahr 1925, mit der die Touristeninformationszentrale an der Fifth Avenue in New York für „Germany“ warb. Mehr als 100 Objekte in Hamburg Eine DIN A4-Kopie dieses Posters hat Annette Niethammer in einem Ordner abgeheftet, zwischen vielen Aufnahmen und Beschreibungen weiterer Hamburger Gebäude, die der klassischen modernen Architektur zugeordnet werden können. Etwa 150 Objekte umfasst die Datenbank, die die Bauhaus-affine Hamburger Architektin in den vergangenen drei Jahren in Eigeninitiative durch umfassende Recherchen und Nachforschungen zusammengestellt hat. Dass es so viele werden, hatte sie anfangs gar nicht erwartet. „Der Großteil der Hamburger Architektur aus den 1920er-Jahren – etwa von Fritz Schumacher und den Gebrüdern Gerson – ist zwar sachlich, aber nur moderat modern. Dass es eine mindestens ebenso große Baumasse mit Charakteristika der klassischen Moderne gibt, hat mich überrascht“, sagt die 49-Jährige, die seit 2003 in der Hansestadt lebt. Für die Bauhaus-Epoche interessiert sie sich seit dem Studium, in dem sie sich auch mit Architekturgeschichte beschäftigt hat. „Am Ende der Gründerzeit herrschte Stilpluralismus. Für ein Rathaus etwa wählte man Neogotik, für ein Gerichtsgebäude Neoklassizismus.“ Die Bauhaus-Gründer hätten erstmals ein ganz anderes Ziel gehabt. „Sie wollten Kunst, Handwerk und Industrie zusammenbringen und Material und Konstruktion zeigen.“ Während ihr Fokus in der ersten Phase des Bauhauses auf Handwerk und Kunst gelegen habe, hätten in der zweiten Phase industrielles Bauen und sachliche Formen eine größere Rolle gespielt. Anlässlich des Bauhaus-Jahres hat Annette Niethammer den Chatbot „Hamburg modern” entwickelt: eine App, die ihre Nutzer zu den wichtigsten Gebäuden der klassischen Moderne führen soll. „Es geht mir darum, das kulturelle Erbe auch digital zu verbreiten“, sagt sie. Das Projekt ist fast abgeschlossen und geht demnächst an den Start – in Kooperation mit dem Verein Architektursommer, der in diesem Jahr das Bauhaus-Jubiläum aufgreift und dazu viele Veranstaltungen organisiert hat. Annette Niethammer wird sich auch mit einem Vortrag daran beteiligen („Hamburg modern”, 23. Mai, 18 Uhr, Museum für Hamburgische Geschichte). Bestimmte Merkmale zeigen Bauhaus-Einfluss Kann man auch ohne ihren digitalen Stadtführer erkennen, ob das Bauhaus auf die Architektur eines Gebäudes Einfluss genommen hat? Ja, sagt die Expertin, da gebe es bestimmte Merkmale. Dazu gehören etwa durch Putz oder Simse ausgestaltete Fensterbänder, die die Horizontalität betonten, flexible Grundrisse und flache Dächer sowie Materialien wie Glas, Stahl und Beton. Sie demonstriert das auf einer Exkursion rund um die Alster (und einem Abstecher an die Elbe). An beispielhaft elf Gebäuden erklärt sie uns den Einfluss von Bauhaus-Stars wie Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe oder auch einem Le Corbusier aus Frankreich. Unsere Tour beginnt beim Chilehaus, das Kaufmann Henry Brarens Sloman, der in Chile durch den Salpeterhandel reich geworden war, als „Geschenk“ an seine Heimatstadt errichten ließ. „An seiner Architektur lässt sich gut erkennen, dass in der ersten Phase, als sich das Bauhaus noch in Weimar befand, das Handwerk im Vordergrund stand“, sagt Annette Niethammer und weist auf die dunklen, bewusst unvollkommenen Klinker. „Die Reliefs und Muster, in denen sie verlegt wurden, erhöhen sich durch die Kombination mit den keramischen Reliefs von Richard Kuöhl zu einem expressionistischen Gesamtkunstwerk.” Zudem sei der Bau ein Symbol der Stärke in der schwierigen Inflationszeit der jungen Weimarer Republik gewesen, sagt die Architektin. Viele Arbeiter, aber auch später berühmte Hamburger Architekten wie Karl Schneider oder Friedrich Dyrssen hätten durch diesen Großauftrag eine Anstellung gefunden. f