Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
56<br />
Recht<br />
& Gesetz<br />
Eine für uns Motorradfahrer höchst interessante<br />
Rechtsfrage beschäftigte<br />
neulich das Landgericht Frankfurt am<br />
Main: Muss sich der Fahrer einer Harley-<br />
Davidson bei einem Unfall nach einer<br />
Sturzverletzung am Knie ein Mitverschulden<br />
anrechnen lassen, wenn er keine<br />
Schutzkleidung an den Beinen, sondern<br />
nur eine Armee-Stoffhose getragen hat?<br />
Mitverschulden bedeutet gemäß<br />
§ 254 Bürgerliches Gesetzbuch, dass,<br />
wenn ein Verschulden des Beschädigten<br />
bei der Entstehung eines Schadens mitgewirkt<br />
hat, die Verpflichtung zum Ersatz<br />
des Schadens sowie der Umfang des zu<br />
leistenden Ersatzes insbesondere auch<br />
davon abhängt, inwieweit der Schaden<br />
von dem einen oder anderen Teil verursacht<br />
worden ist. Auf Deutsch heißt das,<br />
dass jemand, der sich selbst nicht ganz<br />
richtig verhalten oder ihm vorwerfbare<br />
Fehler gemacht hat, für einen gewissen<br />
Teil seines Schadens selbst verantwortlich<br />
sein kann, was bedeutet, dass er<br />
weniger Schadensersatz bekommen<br />
kann. Wer also nicht genügend aufgepasst<br />
hat, dass kein Schaden entsteht<br />
oder dass dieser nicht geringer ausgefallen<br />
ist, haftet bis zu einer bestimmten<br />
Quote für seinen eigenen Schaden.<br />
In einem vom Landgericht Frankfurt<br />
am Main am 07.06.2018 (Aktenzeichen<br />
118/17) entschiedenen Fall ging es darum,<br />
dass ein Harley-Davidson-Fahrer bei<br />
einem Unfall gestürzt war und eine<br />
Verletzung am Knie erlitten hatte, die<br />
möglicherweise bei Tragen von Schutzkleidung<br />
– etwa einer Lederhose – nicht<br />
passiert oder nicht so schlimm ausgefallen<br />
wäre. Konkret ging es hier um ein<br />
Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 €.<br />
Die Rechtsprechung zum Nichttragen<br />
von Motorradschutzkleidung als Mitverschulden<br />
ist sich uneinig.<br />
So hatten das Oberlandesgericht<br />
Brandenburg 2009 und das Landgericht<br />
Köln 2013 die Notwendigkeit von<br />
Schutzkleidung bejaht, das Oberlandesgericht<br />
Saarbrücken 2015 und das<br />
Oberlandesgericht Schleswig 2013 die<br />
Frage offengelassen.<br />
Das Landgericht Frankfurt geht hier<br />
einen eigenen Weg. Es widerspricht den<br />
Äußerungen anderer Gerichte, dass die<br />
Rechtstipp<br />
Mitverschulden ohne Schutzbekleidung?<br />
Von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen<br />
Telefon 0421 / 696 44 880 - www.janschweers.de<br />
meisten Motorradfahrer es heutzutage<br />
als eine persönliche Verpflichtung empfänden,<br />
mit Schutzkleidung zu fahren,<br />
und dass jeder wisse, dass das Fahren<br />
ohne Schutzkleidung ein vielfach höheres<br />
Verletzungsrisiko berge.<br />
Aus diesen Erwägungen lasse sich –<br />
so das Landgericht Frankfurt – nicht auf<br />
ein allgemeines Verkehrsbewusstsein<br />
schließen. Ansonsten würde stets Mitverschulden<br />
anzunehmen sein, wenn<br />
der Geschädigte eigentlich sinnvolle<br />
Schutzmöglichkeiten (z.B. auch einen<br />
Fahrradhelm) nicht gewählt hat.<br />
Stattdessen will das Landgericht<br />
Frankfurt das Bestehen eines solchen<br />
allgemeinen Verkehrsbewusstseins von<br />
der Feststellung anhand von allgemein<br />
zugänglichen Erkenntnissen über die<br />
tatsächlichen Gepflogenheiten der konkreten<br />
Gruppe der Verkehrsteilnehmer<br />
abhängig machen, was das Oberlandesgericht<br />
München 2017 und das Landgericht<br />
Heidelberg 2014 schon gemacht<br />
hatten. Das bedeutet hier, dass das<br />
Gericht feststellen müsste, dass Fahrer<br />
einer Harley-Davidson das Tragen von<br />
Motorradschutzkleidung für den eigenen<br />
Schutz für sinnvoll und notwendig halten.<br />
Im vorliegenden Fall wurde dies verneint.<br />
Eine vom Unfallverursacher vorgelegte<br />
Umfrage der Bundesanstalt für<br />
Straßenwesen in Bergisch Gladbach<br />
unter über 2.000 Motorradfahrern hatte<br />
ergeben, dass 43% der Befragten schützende<br />
Beinkleidung trugen. Das Landgericht<br />
Frankfurt meint schon, dass nur<br />
2.000 Fahrer vielleicht keine repräsentative<br />
Zahl darstellen, jedenfalls kann aber<br />
aus 43 % von diesen (also nicht mal die<br />
Hälfte) kein „allgemeines Verkehrsbewusstsein“<br />
hergeleitet werden. Andere<br />
Umstände, die auf ein allgemeines<br />
Verkehrsbewusstsein zum Tragen von<br />
Schutzkleidung speziell unter Fahrern<br />
von Harley-Davidson schließen ließen,<br />
erkannte das Gericht nicht. Es erschien<br />
dem Landgericht vielmehr nicht von der<br />
Hand zu weisen, dass derartige Motorräder<br />
im Vergleich zu anderen großmotorigen<br />
Krafträdern typischerweise<br />
weniger zum schnellen Fahren, sondern<br />
zum „Cruisen“, also einem moderateren<br />
Fahrstil, genutzt würden. Gerade<br />
unter Fahrern von Harley-Davidson bzw.<br />
Choppern könne keine größere Gruppe<br />
als die 43 % festgestellt werden, die<br />
das Tragen von Schutzkleidung an den<br />
Beinen in ihr Verkehrsbewusstsein aufgenommen<br />
hat. Ein Mitverschulden des<br />
verunfallten Motorradfahrers sei deshalb<br />
nicht anzunehmen.<br />
Ähnliches hatte auch das Oberlandesgericht<br />
München gesagt. In seinem<br />
Urteil vom 19.05.2017 (Aktenzeichen:<br />
10 U 4256/16) ging es darum, ob einen<br />
Leichtkraftradfahrer ein Mitverschulden<br />
trifft, der statt Motorradstiefeln lediglich<br />
Turnschuhe getragen hatte.<br />
Auch hier konnte kein allgemeines<br />
Verkehrsbewusstsein festgestellt werden,<br />
auch wenn festere Schuhe generell<br />
einen besseren Schutz bieten würden.<br />
Das Oberlandesgericht München lässt<br />
ebenfalls keine allgemeinen Behauptungen<br />
gelten und verlangt eine Heranziehung<br />
hinreichend belastbarer Unterlagen.<br />
Zusätzlich wird die amtliche Statistik der<br />
Bundesanstalt für Straßenwesen als<br />
sehr ungenau kritisiert. Dem Gericht<br />
fehlten Angaben darüber, was unter<br />
Schutzkleidung zu verstehen sein soll<br />
und zu welchen Jahreszeiten welche