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Kradblatt Ausgabe Juni 2019

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56<br />

Recht<br />

& Gesetz<br />

Eine für uns Motorradfahrer höchst interessante<br />

Rechtsfrage beschäftigte<br />

neulich das Landgericht Frankfurt am<br />

Main: Muss sich der Fahrer einer Harley-<br />

Davidson bei einem Unfall nach einer<br />

Sturzverletzung am Knie ein Mitverschulden<br />

anrechnen lassen, wenn er keine<br />

Schutzkleidung an den Beinen, sondern<br />

nur eine Armee-Stoffhose getragen hat?<br />

Mitverschulden bedeutet gemäß<br />

§ 254 Bürgerliches Gesetzbuch, dass,<br />

wenn ein Verschulden des Beschädigten<br />

bei der Entstehung eines Schadens mitgewirkt<br />

hat, die Verpflichtung zum Ersatz<br />

des Schadens sowie der Umfang des zu<br />

leistenden Ersatzes insbesondere auch<br />

davon abhängt, inwieweit der Schaden<br />

von dem einen oder anderen Teil verursacht<br />

worden ist. Auf Deutsch heißt das,<br />

dass jemand, der sich selbst nicht ganz<br />

richtig verhalten oder ihm vorwerfbare<br />

Fehler gemacht hat, für einen gewissen<br />

Teil seines Schadens selbst verantwortlich<br />

sein kann, was bedeutet, dass er<br />

weniger Schadensersatz bekommen<br />

kann. Wer also nicht genügend aufgepasst<br />

hat, dass kein Schaden entsteht<br />

oder dass dieser nicht geringer ausgefallen<br />

ist, haftet bis zu einer bestimmten<br />

Quote für seinen eigenen Schaden.<br />

In einem vom Landgericht Frankfurt<br />

am Main am 07.06.2018 (Aktenzeichen<br />

118/17) entschiedenen Fall ging es darum,<br />

dass ein Harley-Davidson-Fahrer bei<br />

einem Unfall gestürzt war und eine<br />

Verletzung am Knie erlitten hatte, die<br />

möglicherweise bei Tragen von Schutzkleidung<br />

– etwa einer Lederhose – nicht<br />

passiert oder nicht so schlimm ausgefallen<br />

wäre. Konkret ging es hier um ein<br />

Schmerzensgeld in Höhe von 2.000 €.<br />

Die Rechtsprechung zum Nichttragen<br />

von Motorradschutzkleidung als Mitverschulden<br />

ist sich uneinig.<br />

So hatten das Oberlandesgericht<br />

Brandenburg 2009 und das Landgericht<br />

Köln 2013 die Notwendigkeit von<br />

Schutzkleidung bejaht, das Oberlandesgericht<br />

Saarbrücken 2015 und das<br />

Oberlandesgericht Schleswig 2013 die<br />

Frage offengelassen.<br />

Das Landgericht Frankfurt geht hier<br />

einen eigenen Weg. Es widerspricht den<br />

Äußerungen anderer Gerichte, dass die<br />

Rechtstipp<br />

Mitverschulden ohne Schutzbekleidung?<br />

Von Rechtsanwalt Jan Schweers, Bremen<br />

Telefon 0421 / 696 44 880 - www.janschweers.de<br />

meisten Motorradfahrer es heutzutage<br />

als eine persönliche Verpflichtung empfänden,<br />

mit Schutzkleidung zu fahren,<br />

und dass jeder wisse, dass das Fahren<br />

ohne Schutzkleidung ein vielfach höheres<br />

Verletzungsrisiko berge.<br />

Aus diesen Erwägungen lasse sich –<br />

so das Landgericht Frankfurt – nicht auf<br />

ein allgemeines Verkehrsbewusstsein<br />

schließen. Ansonsten würde stets Mitverschulden<br />

anzunehmen sein, wenn<br />

der Geschädigte eigentlich sinnvolle<br />

Schutzmöglichkeiten (z.B. auch einen<br />

Fahrradhelm) nicht gewählt hat.<br />

Stattdessen will das Landgericht<br />

Frankfurt das Bestehen eines solchen<br />

allgemeinen Verkehrsbewusstseins von<br />

der Feststellung anhand von allgemein<br />

zugänglichen Erkenntnissen über die<br />

tatsächlichen Gepflogenheiten der konkreten<br />

Gruppe der Verkehrsteilnehmer<br />

abhängig machen, was das Oberlandesgericht<br />

München 2017 und das Landgericht<br />

Heidelberg 2014 schon gemacht<br />

hatten. Das bedeutet hier, dass das<br />

Gericht feststellen müsste, dass Fahrer<br />

einer Harley-Davidson das Tragen von<br />

Motorradschutzkleidung für den eigenen<br />

Schutz für sinnvoll und notwendig halten.<br />

Im vorliegenden Fall wurde dies verneint.<br />

Eine vom Unfallverursacher vorgelegte<br />

Umfrage der Bundesanstalt für<br />

Straßenwesen in Bergisch Gladbach<br />

unter über 2.000 Motorradfahrern hatte<br />

ergeben, dass 43% der Befragten schützende<br />

Beinkleidung trugen. Das Landgericht<br />

Frankfurt meint schon, dass nur<br />

2.000 Fahrer vielleicht keine repräsentative<br />

Zahl darstellen, jedenfalls kann aber<br />

aus 43 % von diesen (also nicht mal die<br />

Hälfte) kein „allgemeines Verkehrsbewusstsein“<br />

hergeleitet werden. Andere<br />

Umstände, die auf ein allgemeines<br />

Verkehrsbewusstsein zum Tragen von<br />

Schutzkleidung speziell unter Fahrern<br />

von Harley-Davidson schließen ließen,<br />

erkannte das Gericht nicht. Es erschien<br />

dem Landgericht vielmehr nicht von der<br />

Hand zu weisen, dass derartige Motorräder<br />

im Vergleich zu anderen großmotorigen<br />

Krafträdern typischerweise<br />

weniger zum schnellen Fahren, sondern<br />

zum „Cruisen“, also einem moderateren<br />

Fahrstil, genutzt würden. Gerade<br />

unter Fahrern von Harley-Davidson bzw.<br />

Choppern könne keine größere Gruppe<br />

als die 43 % festgestellt werden, die<br />

das Tragen von Schutzkleidung an den<br />

Beinen in ihr Verkehrsbewusstsein aufgenommen<br />

hat. Ein Mitverschulden des<br />

verunfallten Motorradfahrers sei deshalb<br />

nicht anzunehmen.<br />

Ähnliches hatte auch das Oberlandesgericht<br />

München gesagt. In seinem<br />

Urteil vom 19.05.2017 (Aktenzeichen:<br />

10 U 4256/16) ging es darum, ob einen<br />

Leichtkraftradfahrer ein Mitverschulden<br />

trifft, der statt Motorradstiefeln lediglich<br />

Turnschuhe getragen hatte.<br />

Auch hier konnte kein allgemeines<br />

Verkehrsbewusstsein festgestellt werden,<br />

auch wenn festere Schuhe generell<br />

einen besseren Schutz bieten würden.<br />

Das Oberlandesgericht München lässt<br />

ebenfalls keine allgemeinen Behauptungen<br />

gelten und verlangt eine Heranziehung<br />

hinreichend belastbarer Unterlagen.<br />

Zusätzlich wird die amtliche Statistik der<br />

Bundesanstalt für Straßenwesen als<br />

sehr ungenau kritisiert. Dem Gericht<br />

fehlten Angaben darüber, was unter<br />

Schutzkleidung zu verstehen sein soll<br />

und zu welchen Jahreszeiten welche

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