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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 183 · F reitag, 9. August 2019 – S eite 19 *<br />
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Feuilleton<br />
Zeitlose Musik:<br />
Die kanadische<br />
Punkband D.O.A.<br />
Seite 21<br />
„Es gibt niemals nur eine Wahrheit.“<br />
Matthias Schnitzler über den slowenischen Erzähler Drago Jancar Seite 20<br />
Mäzene<br />
Das Prinzip<br />
Spende<br />
Harry Nutt<br />
liest ein Interviewmit der<br />
Künstlerin Hito Steyerl.<br />
Für die amerikanische Fotografin<br />
Nan Goldin handelt es sich bei<br />
den Spenden der Familie Sackler an<br />
diverse Kunstmuseen in aller Welt<br />
um vergiftete Geschenke. Goldins<br />
Aufforderung, die Zuwendungen der<br />
Familie abzulehnen, hat hohe Wellen<br />
geschlagen. Angehörige der<br />
Sackler-Familie sind die Besitzer des<br />
umstrittenen US-Medikamentenherstellers<br />
Purdue Pharma, dem vorgeworfen<br />
wird, die Gefahren des von<br />
ihm vertriebenen Schmerzmittels<br />
Oxycontin„bewusst verharmlost“ zu<br />
haben. NanGoldin, die selbst Erfahrungen<br />
mit Oxycontin gemacht hat,<br />
war mit ihrem Protest erfolgreich. Inzwischen<br />
haben führende Museen in<br />
London, NewYork und Paris die Zusammenarbeit<br />
mit dem Unternehmen<br />
aufgekündigt.<br />
Nach Ansicht der Künstlerin Hito<br />
Steyerl, die an der <strong>Berliner</strong> UdKeine<br />
Professur für Medienkunst innehat,<br />
reicht das aber nicht aus. ImInterview<br />
mit der Deutschen Presseagentur<br />
stellt sie den nach ihren Worten<br />
weitgehend unkritisch hingenommenen,<br />
wachsenden Einfluss von<br />
Mäzenen insgesamt infrage. Einzelne<br />
Mäzene seien dabei nicht das<br />
Thema. „Es geht mir darum, darauf<br />
hinzuweisen, dass die Verflechtungen<br />
privater Förderer im Kunstbetrieb<br />
auf Dauer gesehen zu völlig unvorhersehbaren<br />
Komplikationen<br />
führen und auch eine öffentliche<br />
Diskussionssphäre aushöhlen, privatisieren<br />
und unterminieren können.“<br />
DieAusteritätspolitik nach der<br />
Finanzkrise etwa habe in Großbritannien<br />
zu erheblichen Streichungen<br />
von Subventionen im Kulturbetrieb<br />
geführt. Hito Steyerl möchte<br />
deshalb zu einer kritischen Prüfung<br />
des Einflusses privater Sammler und<br />
Stiftungen auf den öffentlichen<br />
Kunst- und Kulturbetrieb anregen.<br />
Wobei andererseits gerade am<br />
Mittwoch Max Hollein, langjähriger<br />
Direktor der Frankfurter Schirn und<br />
seit einem Jahr Leiter des Metropolitan<br />
Museum of Art, im Interview mit<br />
der Süddeutschen <strong>Zeitung</strong> betont<br />
hat, dass das Arbeiten auf der<br />
Grundlage privater Finanzierung<br />
nach seiner Einschätzung und Erfahrung<br />
weniger krisenanfälliger sei<br />
als das in Abhängigkeit von staatlichen<br />
Stellen. So sei die Museumsarbeit<br />
in den USA von der Trump-Regierung<br />
wesentlich weniger beeinflusst,<br />
als man sich das in einem<br />
Frankreich unter Marine Le Penvorstellen<br />
würde.<br />
Die Freiheit der Kunst wirft viele<br />
Fragen auf. Welche Abhängigkeiten<br />
welche Form der Finanzierung<br />
schafft, ist derzeit ganz sicher eine<br />
der wichtigeren.<br />
Die deutsch-japanische Künstlerin<br />
Hito Steyerl.<br />
STEPHANIE PILICK/DPA<br />
Mario PfeifersArbeit „Backways“ in der Ausstellung „Seeds for Future Memories“ in der <strong>Berliner</strong> Ifa-Galerie.<br />
Woraus Erinnerung gemacht wird<br />
Die Ifa-Galerie und die VillaRomana zeigen Kunst, die die Folgen der Flucht aus Afrika reflektiert<br />
VonNikolaus Bernau<br />
Schwarze Köpfe mit vernähten<br />
Lippen, aufgerissenen<br />
Mündern, vomSchleier eingefassten<br />
Augenschlitzen,<br />
traurige und lachende Gesichter mit<br />
Schmucknarben. Es sind Köpfe aus<br />
Stoffballen, auf Bambusstöcke gesteckt.<br />
Unter den Bäumen im Gartenhof<br />
des Freiraums in der Box inder Boxhagener<br />
Straße in Friedrichshain<br />
nimmt man den Schrecken dieser Installation<br />
von Aliou Diack zunächst<br />
gar nicht wahr. Essieht eher heiter<br />
aus.Und doch, nach Minuten des Sehens<br />
glaube ich zu erkennen: Diese<br />
wie abgeschlagen wirkenden und<br />
durch lange, weiße Fäden miteinander<br />
verbundenen Köpfe sind Stellvertreter<br />
jener Katastrophe, die auf den<br />
langen Wanderungspfaden zwischen<br />
Zentral-, Ost- und Westafrika und Europa<br />
Tagfür Tagstattfindet.<br />
DerBrexit, Donald Trump,rechtsund<br />
linkspopulistische Bewegungen<br />
wie die AfD oder die Fünf Sterne in<br />
Italien verdanken ihren Aufstieg wesentlich<br />
der Angst der Menschen in<br />
Europa und Nordamerika vor einer<br />
urmenschlichen Bewegungsart: der<br />
Wanderung. Tief verankerte rassististische<br />
Ängste vor„dem schwarzen<br />
Mann“ verbinden sich da mit dem<br />
Trauma der großen, als Zeit völliger<br />
Hilflosigkeit erinnerten Fluchtbewegungen<br />
der Nachkriegszeit in Europa.<br />
Auch um solche Angst-Wurzeln<br />
freizulegen, haben sich das in<br />
Stuttgart ansässige Institut für Auslandsbeziehungen<br />
Ifa, die Villa Romana<br />
in Florenz (seit mehr als hundert<br />
Jahren das Zentrum der deutschen<br />
Künstlerförderung in der alten<br />
Hauptstadt der Renaissance) und<br />
die Kunstorganisation Thread Residency<br />
in Sinthian im südöstlichen<br />
Senegal zusammengetan.<br />
Vorzwei Jahren begannen sie ein<br />
Projekt mit 13 Künstlern, die sich Gedanken<br />
über die kulturellen, ökonomischen<br />
und sozialen Folgen der<br />
großen Wanderung speziell entlang<br />
des Wegs aus Westafrika nach Europa<br />
machen sollten. Jetzt sind die<br />
ersten Ergebnisse dieser Suche in der<br />
<strong>Berliner</strong> Ifa-Galerie in der Linienstraße<br />
und im Freiraum in der Box-<br />
Galerie zu sehen. Man sollte, wenn<br />
Die Installation „Senegal Sicily“ von Alberto Amoretti und Giovanni Häninnen<br />
man hingeht, durchaus etwas Zeit<br />
mitbringen. Denn es sind Perspektiven,<br />
über die in der großen Debatte<br />
über „die Flüchtinge“ wenig debattiert<br />
wird. In der Boxhagener Straße<br />
hat Patrick Joel Tatcheda Yonkeu auf<br />
eine große blaue Scheibe Lautsprecher<br />
gerichtet, aus denen mit geradezu<br />
niederwalzender Kraft Klänge<br />
von afrikanischen Straßen erschallen.<br />
Der Vorgang des Widerhallens<br />
verweist auf die Untrennbarkeit von<br />
Vergangenheit und Gegenwart. Man<br />
kann das Schöne sehen, aber die<br />
Sklaverei steckt ebenso dahinter wie<br />
der Kapitalismus,der die Globalisierung<br />
antreibt. Aber gibt es gar keine<br />
Verantwortung der afrikanischen<br />
Eliten für die Katastrophe?<br />
Auch andere Arbeiten irritieren,<br />
etwa die von Mario Pfeifer und dem<br />
Rapper und Aktivisten Negga Dou<br />
Tamba: Eine mit scharfem Rap vorgetragene<br />
Huldigung des scheinbar<br />
einfachen Landlebens, der Arbeit<br />
mit dem Wasser und der Erde, kann<br />
man als Aufforderung zur Selbsthilfe<br />
lesen. Oder aber als romantischen,<br />
an der Realität der meisten Afrikaner<br />
meilenweit vorbeischreitenden<br />
Idealismus, der an die in Deutschland<br />
schon zur Kaiserzeit und weit<br />
über die Adenauer-Zeit hinaus aktiven<br />
reaktionären Großstadtfeinde<br />
mit ihrem Kult um Familie,Clan und<br />
Scholle erinnert.<br />
BERNAU<br />
Geradezu nüchtern historisch ist<br />
daneben die Installation von Judith<br />
Raum. Einige luftig gespannte Fischernetze<br />
im Saal an der Linienstraße,<br />
dahinter blaue Lichtstreifen<br />
und ein über Kopfhörer zu erlebender<br />
Text. Die Fischereikrise an der<br />
Westküste Afrikas hat ihre Ursache<br />
auch im Aufbau einer systematischen<br />
Großfischerei zu französischen<br />
Kolonialzeiten. Hier wird die<br />
Vieldeutigkeit des kolonialen Systems<br />
klar. Essollte der Versorgung<br />
der Menschen in Europa, aber auch<br />
in Afrika mit mehr Proteinen dienen<br />
–und zerstörte dafür die Natur.<br />
Die scheinbar so klare Trennung<br />
zwischen Gut und Böse, Ausbeutern<br />
und Ausgebeuteten, Tätern und Opfern,<br />
Kapitalismus und irgendwas<br />
anderem erhält hier jene Grautöne,<br />
aus denen die menschliche Geschichte<br />
tatsächlich besteht.<br />
Kaum netter ist Alberto Amorettis<br />
und Giovanni Häninnens Installation<br />
in der Boxhagener Straße, die<br />
mit Interviews und Fotos eine Brücke<br />
von Senegal nach Europa<br />
schlägt. Die beiden Künster haben<br />
Menschen aus Tamba in Senegal zu<br />
ihren Hoffnungen befragt, der Sehnsucht<br />
nach einem besseren, friedlicheren,<br />
sicheren Leben auch für die<br />
Kinder. Welche Flüchtenden in Mittel-<br />
und Osteuropa hätten 1945 nicht<br />
exakt die gleichen Wortegenutzt, als<br />
MARIO PFEIFER STUDIO<br />
sie sich auf den langen Treck Richtung<br />
Westen machten? Es geht um<br />
die Flucht selbst, aber auch um den<br />
Schock der Ankunft in Italien, die<br />
gnadenlose Ausbeutung, das trotzdem<br />
fast unglaubliche Verständnis<br />
der aus Afrika Geflohenen für die<br />
Ängste jener Italiener, die sich dem<br />
Wandel ihres Straßenbilds ausgesetzt<br />
sehen. Und die Enttäuschung<br />
vieler Flüchtender, dass Europa<br />
kein Interesse an den Menschen<br />
hat, die doch ihre Energie gezeigt<br />
haben, ihre Lebenslust, ihre Dynamik<br />
–all das, was der alt und steif<br />
gewordene Kontinent so dringend<br />
braucht.<br />
Und doch: Je mehr der Kunstwerke<br />
man betrachtet, desto größer<br />
wirddas Unbehagen. Dieses Projekt<br />
stellt sich ungewollt in den Zusammenhang<br />
einer gerade voneuropäischen<br />
Nationalisten und Rassisten<br />
vorangetriebenen allgemeinen Debatte,<br />
die Wanderungsbewegungen<br />
als ein spezifisch afrikanisches<br />
Problem behandelt. Dabei ist das<br />
Wandern keineswegs eine afrikanische<br />
Angelegenheit, wie der Blick in<br />
die jüngereGeschichte Europas,Indiens,Nord-<br />
und Südamerikas,Chinas<br />
etc.zeigt. Vielleicht gehörtWandern<br />
sogar zum Menschsein an<br />
sich.<br />
Deutlich wirddas nicht zuletzt in<br />
der direkten Umgebung der Ausstellungen,<br />
in Mitte, Prenzlauer<br />
Berg und Friedrichshain. Sie sind<br />
durch Wanderungsbewegungen der<br />
allerjüngsten Zeit massiv neu geprägt<br />
worden. Nur deswegen, weil<br />
die Wandernden meistens weißer<br />
Hautfarbe waren und oft deutsche<br />
oder englische Dialekte sprachen,<br />
nahmen wir diese Veränderung<br />
nicht als Wanderungsfolge war.<br />
Mich würde schon interessieren,<br />
was aus Afrika stammende Künstler<br />
über diese Italiener und Araber und<br />
Schwäbischen Bäckereien mitten im<br />
berlinischen Berlin denken.<br />
Seeds for Future Memories,bis 18.8., Ifa-Galerie<br />
und Freiraum in der Box<br />
Nikolaus Bernau<br />
erblickt den Kerndes Wanderungstriebs.<br />
NACHRICHTEN<br />
Ai Weiwei: Deutschland ist<br />
keine offene Gesellschaft<br />
Derchinesische Künstler AiWeiwei<br />
hält Deutschland nicht für eine offene<br />
Gesellschaft.„Es ist eine Gesellschaft,<br />
die offen sein möchte,aber vor<br />
allem sich selbst beschützt“, sagte Ai<br />
Weiwei der <strong>Zeitung</strong> DieWeltlautVorabmeldung<br />
vomDonnerstag. Die<br />
deutsche Kultur sei so stark, dass sie<br />
nicht wirklich andereIdeen und Argumente<br />
akzeptiere, betonte der im<br />
<strong>Berliner</strong> Exil lebende Künstler,der<br />
seinen Abschied aus Deutschland angekündigt<br />
hatte.AiWeiweikritisierte<br />
auch dieReaktionen desWestens auf<br />
den Umgang Chinas mit der Protestbewegung<br />
in Hongkong.„Deutschland<br />
pflegt stärkereBeziehungen zu<br />
China als jemals zuvor,die Zukunft<br />
der deutschen Industrie hängt völlig<br />
vonChina ab.“ (dpa)<br />
Anarcho des Kinos –<br />
Jean-Pierre Mockyist tot<br />
Derfranzösischen Schauspieler und<br />
Regisseur Jean-PierreMocky ist tot. Er<br />
starb Donnerstagnachmittag im Alter<br />
von90Jahren in Paris. Mocky begann<br />
seine Filmkarrierevor der Kamera,<br />
viel bekannter ist er aber als Regisseur<br />
vonsatirischen Komödien geworden.<br />
Er drehte mehr als 60 Spiel- und 40<br />
Fernsehfilme.Zuseinen bekanntestenWerken<br />
zählen etwa„Angst in der<br />
Stadt“ (1964) oder„Agent Trouble –<br />
Mord ausVersehen“ (1987) mit Catherine<br />
Deneuve. Mocky,der am 6.<br />
Juli 1933 in Nizza als Sohn polnischer<br />
Einwanderer geboren wurde,„war<br />
vielleicht der erfinderischste,der produktivste,der<br />
anarchistischste der<br />
französischen Regisseure“, würdigt<br />
ihn die <strong>Zeitung</strong> Le Monde. (dpa)<br />
„Game of Thrones“-Macher<br />
wechseln zu Netflix<br />
DieMacher der Erfolgsserie „Game<br />
of Thrones“ David Benioff und Dan<br />
Weiss wechseln nach mehr als zehn<br />
Jahren vomSender HBO zur Streaming-PlattformNetflix.<br />
Benioff und<br />
Weiss hätten einen Vertragunterzeichnet,<br />
in dem sie sich auf mehrere<br />
Jahrezum Schreiben vonDrehbüchernsowie<br />
der Produktion und Regie<br />
vonSerien und Filmen auf Netflix<br />
verpflichten, teilte der Streaming-<br />
Dienst am Mittwoch mit. Medien in<br />
Hollywood berichten voneinem<br />
„Vertrag in neunstelliger Höhe“. Benioff<br />
und Weiss arbeiten derzeit für<br />
die Disney-Tochter Lucasfilm an einer<br />
neuen „Star-Wars“-Trilogie.Mit<br />
der Fantasy-Serie„Game of Thrones“<br />
hatte das Duozahlreiche Rekorde<br />
gebrochen. An der Qualität des Finales<br />
der Saga scheiden sich allerdings<br />
die Geister.Die letzte Staffel erhielt<br />
zwar 32 Emmy-Nominierungen –<br />
doch 1,7 Millionen Fans der Seriebeteiligten<br />
sich an einer Petition, die<br />
eine Neuverfilmung durch „kompetente<br />
Autoren“ forderten. (AFP)<br />
Jon Schnee (Kit Harington) und Daenerys<br />
Targaryen (Emilia Clarke)in„GoT“ SKY