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Berliner Zeitung 09.08.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 183 · F reitag, 9. August 2019 – S eite 9 *<br />

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Berlin<br />

Studie: Impflücken<br />

sind größer<br />

als gedacht<br />

Seite15<br />

WieHülya Kilic in Kreuzberg aufwuchs –und was sie über ihren Kiez denkt Seite 10<br />

WieKriminelle Spielcasinos zur Geldwäsche nutzen –und was die Polizei macht Seite 11<br />

Stadtbild<br />

Intervall<br />

Späti<br />

Marcus Weingärtner<br />

vermisst den kleinen Laden<br />

in seiner Straße.<br />

Vor ein paar Monaten schrieb ich<br />

an dieser Stelle über meinen<br />

Lieblingsspäti. Der sollte endgültig<br />

schließen, doch man einigte sich mit<br />

dem Vermieter des Hauses auf einen<br />

neuen Mietvertrag.<br />

Das erzählten mir die Betreiber,<br />

ein türkischstämmiges Pärchen, das<br />

den kleinen Laden in Kreuzberg gefühlt<br />

schon seit Ewigkeiten bewirtschaftet.<br />

EinFamilienbetrieb,indem<br />

jeder mit anpacken muss. Bei Öffnungszeiten<br />

von frühmorgens bis<br />

spät in den Abend hinein geht das<br />

wohl auch nicht anders.<br />

Das war im Februar. „Bis Juni<br />

dann“, sagte der Chef des Spätis bei<br />

unserer letzten Begegnung. Jetzt ist<br />

bald Mitte August, und der Späti ist<br />

immer noch geschlossen. Renoviert<br />

werden sollte das Ladenlokal, doch<br />

man sieht nichts. Die Rollläden sind<br />

dicht, seit Monaten ist hinter der<br />

Glastür alles schwarz, und ich befürchte,dass<br />

der Späti, einer der wenigen<br />

nachbarschaftlichen Drehund<br />

Angelpunkte meiner Straße, so<br />

bald nicht wieder eröffnen wird. Was<br />

wirklich ein Verlust ist, denn abgesehen<br />

von dem netten Schwatz mit<br />

Leuten, die man sonst eher selten<br />

auf der Straße trifft, weiß ich bislang<br />

immer noch nicht, wo ich um 21 Uhr<br />

noch „Ben &Jerry’s“-Eis bekommen<br />

soll, wenn es denn mal dringend ist.<br />

DasGute an der Schließung ist allerdings,<br />

dass ich darüber zu einem<br />

Trend fand, von dem ich gar nicht<br />

wusste, dass er schon wieder einer<br />

ist: Fasten. Denn da der Späti nun<br />

nicht geöffnet hat, gibt es am Wochenende<br />

einfach kein Frühstück<br />

mehr, daich es meist nicht schaffe,<br />

die Zutaten dafür am Freitag noch zu<br />

besorgen.<br />

Als mich neulich eine Freundin<br />

am Sonnabendmorgen anrief und<br />

ich sagte, dass es nur Kaffee im<br />

Hause Weingärtner gebe, rief sie erfreut<br />

aus,„Oh,duintermittierst!“. Einigermaßen<br />

perplex fragte ich, was<br />

sie meine. Intermittieren, das klingt<br />

für mich nach Fehlfunktion, nach irgendwas,das<br />

bei mir ausgesetzt hat.<br />

Intermittieren, klärte sich mich jedoch<br />

auf, sei nichts anderes als Intervallfasten,<br />

und da läge ich ernährungstechnisch<br />

voll im Trend.<br />

Man verzichtet dabei einfach für<br />

eine bestimmte Zeit aufs Essen, also<br />

beispielsweise nach der 16:8-Methode.<br />

Mit anderen Worten, von 18<br />

Uhrabends bis 12 Uhrmittags bleibt<br />

die Küche kalt und der Magen leer,<br />

und das alles ist super gesund. Alles<br />

schön gut, ich liege voll im Trend,<br />

aber ich will meinen Späti zurück.<br />

Unddas Frühstück!<br />

Einen Späti wie diesen braucht jeder Kiez,<br />

denn er sorgt für Gemeinschaft. IMAGO<br />

10. November 1989: Am Abend nach dem Mauerfall besetzten Tausende die <strong>Berliner</strong> Mauer am Brandenburger Tor. DPA/WOLFGANG KUMM<br />

Noch eine Chefsache<br />

Berlin feiert im November 30 Jahre Mauerfall. Wasder Senat dazu plant, bleibt aber noch geheim<br />

VonElmar Schütze<br />

Nanu?! Da hatte Kultursenator<br />

Klaus Lederer<br />

(Linke) am Donnerstagmorgen<br />

in den schönen<br />

Innenhof des Podewil geladen, um<br />

über die Veranstaltungen zum<br />

30. Jahrestag des Mauerfalls zu berichten<br />

–und dann kam: nichts.Oder<br />

zumindest nichts Neues.<br />

Rund ums historische Datum<br />

(vom 4. bis 10. November) soll es Projektionen<br />

an Fassaden, Filmvorführungen,<br />

Soundinstallationen und<br />

Konzerte geben. Unter dem Motto<br />

„Sieben Tage, sieben Orte“ werden<br />

unter anderem die Gethsemanekirche<br />

in Prenzlauer Berg,das Brandenburger<br />

Tor, die Normannenstraße mit<br />

der ehemaligen Stasi-Zentrale oder<br />

der Breitscheidplatz bespielt.<br />

DasProblem: Dasalles hatte Lederer<br />

imFebruar fast wortgleich schon<br />

einmal gesagt. Gibt es denn gar nichts<br />

Neues? Kein Fest, kein Umzug?<br />

Zum 20-Jährigen des Mauerfalls<br />

waren am Brandenburger Tor tausend<br />

Dominosteine, die Mauersegmente<br />

symbolisierten, umgefallen.<br />

32 Staatsgäste waren bei strömendem<br />

Regen dabei. Fünf Jahre später<br />

bildeten 8000 <strong>Berliner</strong> mit leuchtenden<br />

Heliumballons eine 15 Kilometer<br />

lange Lichterkette entlang des früheren<br />

Mauerstreifens – Millionen<br />

schauten zu.<br />

Die Rosinen für den Regierenden<br />

Unddiesmal? Später klärte sich Lederers<br />

Verschwiegenheit auf: DerRegierende<br />

Bürgermeister Michael Müller<br />

(SPD) höchstselbst will das genaue<br />

Programm in zehn Tagen in der Gethsemanekirche<br />

präsentieren. Vorher<br />

soll niemand –auch kein Bürgermeister,<br />

der Lederer nun mal ist –etwas<br />

verraten. Dasnennt man Chefsache.<br />

Tatsächlich ist Lederer nicht das<br />

einzige Senatsmitglied, das sich Müllers<br />

cheffigem Willen beugen musste.<br />

Sollte er mit dieser Zweierbeziehung<br />

fremdeln, kann er seine Genossin<br />

Katrin Lompscher fragen. Die nicht<br />

nur von der Opposition als „Nicht-<br />

Bausenatorin“ geschmähte Politikerin<br />

befindet sich seit Beginn der rotrot-grünen<br />

Koalition im Dauerclinch<br />

mit dem Regierenden –bekanntlich<br />

ihrVor-Vorgänger im Amt.<br />

9. November 2009: Dominosteine als Mauersegmente. ABACA<br />

9. November 2014: Leuchtende Ballons auf dem Mauerstreifen. DPA/MAJA HITJI<br />

MAUERFALL<br />

9. November 2009 9. November 2014 9. November 2019<br />

• • •<br />

1000 leichte Quader waren<br />

am Brandenburger Toraufgebaut:<br />

Polens Ex-Präsident<br />

Lech Walesa und Ungarns<br />

Ex-Premier Miklos Nemeth<br />

warfen den ersten um, dann<br />

fiel der zweite, am Ende lagenalle.<br />

32 Staatsgäste waren<br />

der Einladung vonKanzlerin<br />

Merkel dazu gefolgt.<br />

8000 <strong>Berliner</strong> standen mit<br />

leuchtenden Heliumballons<br />

in den Händen entlang des<br />

früheren Mauerstreifens in<br />

der Innenstadt. Dann ließen<br />

sie sie in festgelegter Zeitfolgeinden<br />

Abendhimmel<br />

steigen: schöne Bilder und<br />

ein starkes Zeichen für bürgerschaftliches<br />

Engagement.<br />

Sieben Tage,sieben Orte ist<br />

das Motto eines Sammelsuriums<br />

an Veranstaltungen<br />

zum 30. Jahrestag des Mauerfalls.<br />

An authentischen<br />

Schauplätzen sollen Konzerte,<br />

Filmvorführungen und<br />

Soundinstallationen Besucher<br />

die Zeit von1989 und<br />

1990 nachspüren lassen.<br />

Zuletzt stoppte Müller Lompschers<br />

Stadtentwicklungsplan Wohnen<br />

in letzter Sekunde und in deren<br />

Urlaub und verblüffte die dunkelrotgrünen<br />

Partner, die den Knall nicht<br />

hatten kommen hören. Müller vermisste<br />

bei Lompscher Engagement<br />

für den BauneuerWohnungen.<br />

Es gibt aber unterschiedliche<br />

Chefsachen. Da ist die Mutter aller<br />

selbst gewählten Chefsachen, die<br />

Wohnungsbau- und Mietenpolitik.<br />

Undder Umgang mit der 600-Millionen-Euro-Investition<br />

vonSiemens in<br />

Siemensstadt. Dieses Projekt zog die<br />

Senatskanzlei an sich. Offiziell, weil<br />

von Planung und Errichtung eines<br />

Campus gleich mehrere Verwaltungentangiertsind.<br />

Außerdem birgt die<br />

Rückbesinnung von Siemens auf die<br />

Stadt, in der der Technologiekonzern<br />

einst gegründet wurde, immer wieder<br />

Aussichtauf Fototermine fürden Regierenden.<br />

Chefsache!<br />

Schulpolitik? Lieber nicht<br />

Unddann gibt es Themen, bei denen<br />

Michael Müller nicht vorprescht und<br />

die er nicht besetzt, auch wenn er<br />

dazu aufgefordertwird. DieSchulpolitik<br />

ist so ein Fall, seit Jahrzehntenein<br />

besonders schwieriges Feld.<br />

Aktuell steht Bildungssenatorin<br />

SandraScheeres(SPD) aus mehreren<br />

Gründen und von mehreren Seiten<br />

(siehe Seite 11) unter Druck. In zwei<br />

Jahren werden mehr als 20 000 Schulplätze<br />

fehlen, zugleich gibt es harsche,<br />

grundsätzliche Kritik von der<br />

Gewerkschaft GEWund dem Landeselternausschuss.Der<br />

Eltern-Sprecher<br />

forderte Anfang der Woche einen Krisengipfel<br />

–imZweifel solle der Regierende<br />

Bürgermeister dazu einladen.<br />

Michael Müller wird sicher nichts<br />

dergleichen tun –schon weil so eine<br />

Intervention eine weitereDemontage<br />

seiner Parteifreundin Scheeres bedeuten<br />

würde.Keine Chefsache!<br />

Für CDU-Fraktionschef Burkard<br />

Dregger ist der Fall klar: Die Regierungsparteien<br />

seien nur noch mit<br />

sich selbst beschäftigt, für die Behebung<br />

der Sorgen und Nöte der Stadt<br />

fehle ihnen die Kraft.„Der Regierende<br />

Bürgermeister und sein abgewirtschafteter<br />

Senat lassen die <strong>Berliner</strong><br />

im Regen stehen.“ Man beharre auf<br />

eine Regierungserklärung und einen<br />

Zukunftsgipfel zur Bildung.<br />

NACHRICHTEN<br />

Flughafengesellschaft<br />

kann ILA-Gelände kaufen<br />

DieBerlin-Brandenburger Flughafengesellschaft<br />

(FBB) kann wie geplant<br />

das ILA-Gelände neben dem<br />

künftigen Hauptstadtflughafen BER<br />

kaufen. DieGesellschafterversammlung<br />

des Flughafens stimmte dem<br />

Vorhaben am Donnerstag zu, wie der<br />

Vorsitzende Rainer Bretschneider<br />

mitteilte.„Damit kann die FBB das<br />

ILA-Gelände in den Zeiten nutzen, in<br />

denen es nicht für die Messe benötigt<br />

wird“, erklärte er.„An dem Standort<br />

soll die Expressfracht gebündelt werden.“<br />

Mitdieser Entscheidung sei<br />

auch die Internationale Luft- und<br />

Raumfahrtausstellung (ILA) über das<br />

Jahr 2020 hinaus gesichert. (dpa)<br />

<strong>Berliner</strong> Agentur sucht<br />

rund 5000 Filmkomparsen<br />

Für Dreharbeiten sucht eine Agentur<br />

rund 5000 Filmkomparsen in Berlin<br />

und Umgebung. DieDarsteller würden<br />

für einen„amerikanischen Kinofilm“<br />

und eine„historische Netflix-<br />

Serie“ gesucht, teilte die Agentur<br />

Filmgesichter mit. Details wie Filmtitel<br />

verriet die Castingagentur am<br />

Donnerstag nicht. DieAgentur sucht<br />

nach Frauen, Männern, Jugendlichen<br />

und Kindernmit internationalen<br />

Wurzeln. Außerdem würden rund<br />

500 Schachspieler benötigt, heißt es<br />

in dem Aufruf. ProDrehtag wirdlaut<br />

Agentur eine Grundgage von93Euro<br />

gezahlt. (dpa)<br />

Polizisten durchsuchen<br />

Antiquitätenladen<br />

Polizisten haben in Westend ein Antiquitätengeschäft<br />

durchsucht. Ein<br />

83-Jähriger und seine Frau hatten<br />

dorthochwertige Möbel zum Kauf<br />

angeboten. Nachdem Mitarbeiter<br />

die Möbel in derWohnung besichtigt<br />

hatten, fehlten weitaus mehr Gegenstände,als<br />

verkauft wurden. Beider<br />

Razzia konnte ein Teil der Beute gefunden<br />

werden. Wegen Verstoßes gegen<br />

das Naturschutzgesetz wurden<br />

auch Pelze, Elfenbein, ein Zebrafell,<br />

Schildkröten und einen ausgestopfter<br />

Adler beschlagnahmt. (kop.)<br />

Weniger britische Urlauber<br />

kommen nach Berlin<br />

Berlins größte ausländische Urlaubergruppe<br />

schrumpft. Im ersten<br />

Halbjahr kamen noch 278 500 Briten<br />

in die deutsche Hauptstadt, 7,4 Prozent<br />

weniger als im Vorjahreszeitraum.<br />

Dasteilte das Amt für Statistik<br />

Berlin-BrandenburgamDonnerstag<br />

mit. Insgesamt wuchs der Stromder<br />

Urlauber aber weiter an, das Amt<br />

meldete den nächsten Rekord:<br />

6,7 Millionen Gäste (plus 3,8 Prozent)<br />

und 16,1 Millionen Hotelübernachtungen<br />

(plus 5,3 Prozent). (dpa)<br />

Immer weniger Koffer aus Großbritannien<br />

rollen über <strong>Berliner</strong> Wege.<br />

IMAGO

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