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Berliner Zeitung 05.09.2019

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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 206 · D onnerstag, 5. September 2019 17<br />

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Brandenburg<br />

Arm und reich<br />

Ein kleines Dorf tief im Süden ist fast pleite, ein Ort weiter nördlich<br />

in Brandenburg schwimmt fast im Geld. Woran liegt das?<br />

Wirhaben beide Orte besucht und Antworten gefunden<br />

Schilda –der OrtimSüden das Landes Brandenburg ist weit wegvom boomenden <strong>Berliner</strong> Speckgürtels. Das hat Folgen: Schilda hat nicht viel Geld. Dabei liegt die Pro-Kopf-Verschuldung bei gerade mal 136 Euro. In Berlin sind es 16000 Euro.<br />

CAMCOP MEDIA/ANDREAS KLUG<br />

VonGerhard Lehrke, Schilda<br />

Es ist eines jener brandenburgischen<br />

Dörfer, durch<br />

die die Leute durchfahren,<br />

aber nicht anhalten.<br />

Warum auch? Es gibt kein Geschäft<br />

und keine Gaststätte. Und dass dieses<br />

Schilda im Landkreis Elbe-Elster<br />

einst wirklich das legendäre Schilda<br />

der Schildbürger war, ist eher unwahrscheinlich<br />

–trotz der liebevoll<br />

gestalteten Skulpturen ihrer Streiche<br />

neben der Feldsteinkirche.<br />

Dennoch lohnt sich in Schilda ein<br />

zweiter Blick, denn hier werden die<br />

Nöte deutlich, die jene Orte belasten,<br />

die weit weg von Berlin sind.<br />

Schilda hatte 2018 mit gerade einmal<br />

296,62 Euro proEinwohner die niedrigsten<br />

Steuereinnahmen aller brandenburgischen<br />

Gemeinden, meldet<br />

das Potsdamer Finanzministerium.<br />

WerArbeit hat,verlässt den Ort<br />

Es ist ein Vormittag, als Lothar Benning<br />

sein Auto auf einem Parkplatz<br />

abstellt. Weit und breit ist niemand<br />

zu sehen, bis auf einen Gemeindearbeiter.<br />

Benning ist nicht hier nicht<br />

nur geboren, seit 2014 ist er auch ehrenamtlicher<br />

Bürgermeister.<br />

Es dauert nicht lange, bis der 60-<br />

Jährige die Situation seines Orts beschrieben<br />

hat. Die Einwohnerschaft<br />

ist seit 1990 von723 auf 454 im Jahre<br />

2018 geschrumpft, es gibt keine Kita<br />

mehr,keinen Hort,keine Schule,keinen<br />

Pfarrer, aber immerhin noch einen<br />

Arzt. Die Bushaltestelle bekommt<br />

zweimal am TagBesuch –allerdings<br />

nur montags bis freitags.<br />

Arbeit gibt es kaum. Benning fällt<br />

nur eine Firma ein –ein Betrieb für<br />

Aufzugwartung, dessen Mitarbeiter<br />

nicht im Ort arbeiten, denn es gibt<br />

keine Aufzüge. „Werhier Arbeit hat,<br />

verlässt Schilda jeden Tag.“ Deshalb<br />

die geringen Einnahmen aus der Gewerbesteuer.<br />

Landwirtschaft gibt es<br />

nur noch im Nebenerwerb,die meisten<br />

Äcker hat eine weit entfernte Genossenschaft<br />

gepachtet. DieArbeitslosigkeit<br />

liege bei etwa fünf Prozent,<br />

die Hartz-IV-Empfänger kann Benning<br />

an einer Hand abzählen.<br />

Der Elektroingenieur in Frührente<br />

ist kein Hobby-Politiker. Als<br />

Mitarbeiter des regionalen Energieversorgers<br />

Envia Mhatte er viel mit<br />

Kommunen zu tun, er kennt sich<br />

aus.Ihn stört, dass seit Jahren vorallem<br />

in Vorzeigeregionen investiert<br />

wird.„Die Politik, die Stärken zu stärken,<br />

also in die Zentren zu investieren,<br />

schwächt die Schwachen.“ Die<br />

Regelungen, wie Steuern verteilt<br />

werden, führe zueiner Abwärtsspirale,<br />

die nur durch einen massiven<br />

Aufwuchs bei Wirtschaftskraft und<br />

Einwohnerzahl zu durchbrechen<br />

wäre.<br />

Damit sei aber nicht zu rechnen,<br />

sagt auch Andreas Dommaschk, der<br />

Direktor des Amts Elsterland, zu<br />

dem Schilda gehört. Arbeitsplätze<br />

werden oft nur entlang der Autobahnen<br />

angesiedelt, doch hier gibt es<br />

keine Autobahn. Dommaschk beklagt,<br />

dass das Land seine Straßen<br />

vernachlässige.Esstehe auch in den<br />

Sternen, ob die einst geplante Autobahn<br />

A16von Leipzig nach Cottbus<br />

in den Bundesverkehrswegeplan<br />

aufgenommen wird.<br />

Die Malaise des Ortes dauert<br />

schon Jahrzehnte. Nach der Wende<br />

brach die Industrie weg, vor allem<br />

die Landmaschinenfabrik in der<br />

Nähe,die tausend Leuten Arbeit gab.<br />

Es gibt zwar noch ein wenig Industrie<br />

in den Orten, aber es kommt<br />

nichts dazu. Auch Zuwanderung ist<br />

kaum spürbar,sagt Benning. Es sind<br />

ältere Heimkehrer, die sich nach<br />

dem Ende der DDR anderswo Arbeit<br />

gesucht hatten oder auf Montage<br />

gingen. Dazu kommen ein paar<br />

Leute aus Berlin, die aber laut Benning<br />

„alternative Lebensformen“<br />

ausprobieren und keine Wirtschaftskraft<br />

mitbringen. Die jungen Leute,<br />

die weggehen, gründen Familien,<br />

wenn sie irgendwo Arbeit finden und<br />

kehren nicht mehr zurück.<br />

Helfen könnte vielleicht ein<br />

schneller Internetzugang, damit die<br />

Chance besteht, auch in der Provinz<br />

arbeiten zu können. Doch Schilda<br />

hat noch keinen Glasfaser-Anschluss.AndereOrteschon.<br />

Grotesk wird esinden Augen des<br />

Bürgermeisters und des Amtsdirektors,wenn<br />

es um den Kern der Dinge<br />

„Eigentlich sind Dörfer billiger als Städte.<br />

Wir brauchen weder Straßenbahnen<br />

noch Parkhäuser, und wir verplempern<br />

das Geld nicht.“<br />

Lothar Benning, seit 2014 ehrenamtlicher Bürgermeister von Schilda<br />

geht: das Geld. 480 000 Euro erhielt<br />

Schilda aus Zuweisungen und Einkommenssteuer,<br />

die eigenen Einnahmen<br />

aus Gewerbe- und Grundsteuer<br />

beliefen sich auf knapp 40 000<br />

Euro.Von den 520 000 flossen 356 000<br />

Euro aber sofortwieder an den Kreis<br />

Elbe-Elster und das Amt Elsterland<br />

für die Verwaltungsaufgaben, die die<br />

für die Gemeinden übernehmen.<br />

Den schmalen Rest von 120 000<br />

Euro gibt Benning für die beiden Gemeindearbeiter<br />

aus,die die Grünanlagen<br />

und den Friedhof pflegen, die<br />

kleinereReparaturen unter anderem<br />

an den Straßen machen. Außerdem<br />

wird mit dem Geld die Straßenbeleuchtung<br />

bezahlt, Baumpflege-Firmen<br />

oder die TÜV-Untersuchungen<br />

der Geräte auf dem Spielplatz.<br />

Der Bürgermeister würde gern<br />

mehr ausgeben, aber er darf nicht.<br />

Denn es wurde die kommunale Finanzabrechnung<br />

umgestellt, und<br />

das Amt hat es –wie viele andere<br />

auch –wegen des Personalmangels<br />

seit Jahren nicht geschafft, die Jahresabschlüsse<br />

der Gemeinden zu<br />

testieren. Das führt dazu, dass die<br />

Orte weder Geld für größere freiwillige<br />

Maßnahmen ausgeben dürfen<br />

noch Kredite aufnehmen.<br />

Dabei sitzt Schilda auf Geld: Fast<br />

300 000 Euro haben sich über Jahre<br />

angesammelt, die Schulden proKopf<br />

der Einwohner liegen bei 136 Euro –<br />

in Berlin sind es knapp 16 000 Euro.<br />

„Wir fahren unsere Gebäude und<br />

die Ortsstraßen auf Verschleiß“, sagt<br />

Benning über die Ausgabensperre.<br />

300 000 Euro würde die Straßenreparatur<br />

kosten. Die Kita würde er gern<br />

abreißen lassen, aber auch diese<br />

25 000 Euro kann er nicht loseisen.<br />

„Erst, wenn Gefahr von dem Haus<br />

ausgeht, darfich abreißen lassen.“<br />

Die Gaststätte „Zum Schildbürger“,<br />

deren Wirte zu wenig Kundschaft<br />

fanden, gehört ebenfalls der<br />

Gemeinde.Sie dient nur noch in unregelmäßigen<br />

Abständen für Tanzvergnügen<br />

des älteren Publikums.<br />

Eigentlich müsste das Haus weg.<br />

Benning ist trotz seiner Sorgen<br />

froh, dass es noch Dorfleben gibt:<br />

Frauensportgruppe, Dart-Gruppe,<br />

Senioren-Club, Jugendclub am Wochenende<br />

und ein ulkiges Männerballett.<br />

Die Freiwillige Feuerwehr ist<br />

intakt. Wenngleich auch hier der<br />

Mangel junger Leute spürbar ist.<br />

Ein bisschen mehr Geld wünscht<br />

sich Benning für die Gemeinden.<br />

Denn sie seien eigentlich billiger als<br />

Städte. „Wir brauchen weder Straßenbahnen<br />

noch Parkhäuser, und<br />

wir verplempern das Geld nicht.“<br />

Mit der Zentralisierung von Einrichtungen<br />

in größeren Gemeinden und<br />

Städten lüge sich das Land Brandenburgauch<br />

in die Tasche.<br />

Kein Geld gespart<br />

Zwar sei es vordergründig billiger,<br />

Schulen und Kitas auf den Dörfern<br />

aufzugeben. Der Transport mit<br />

Schulbussen oder durch die Eltern<br />

an zentrale Schulen sowie derVerlust<br />

an Lebensqualität für die Kinder<br />

werdeaber nicht einbezogen. Ähnliches<br />

gilt auch für die Konzentration<br />

vonKliniken oder Läden.<br />

Amtsdirektor Dommaschk<br />

wünscht sich zudem eine andere Finanzierungsstruktur<br />

für das platte<br />

Land: Es dürfe nicht nur nach der<br />

Einwohnerzahl gehen, sondern<br />

auch nach der Fläche. Dann müsse<br />

er nicht mehr ständig lauern, wo es<br />

neue Fördertöpfe gibt und Vorhaben<br />

vorbereiten, die er dann sofort aus<br />

der Schublade ziehen kann.<br />

Hohe Einnahmen, aber trotzdem nicht glücklich<br />

Das Amt Schenkenländchen liegt südlich des <strong>Berliner</strong> Speckgürtels und nimmt viele Steuern ein. Doch Tücken der Statistik sorgen dafür,dass wenig Geld ausgegeben werden darf<br />

VonGerhard Lehrke, Groß Köris<br />

Oliver Theel müsste zufrieden<br />

sein. Er ist der Direktor des<br />

Amts Schenkenländchen im Kreis<br />

Dahme-Spreewald und hat nicht die<br />

Probleme seines Kollegen im fernen<br />

Elsterland. Seine Region ist nur eine<br />

halbe Autostunde von der <strong>Berliner</strong><br />

Südgrenze entfernt, in den Orten<br />

hier ist Wachstum angesagt, hier siedeln<br />

sich Firmen an und sprudeln<br />

Steuereinnahmen. Dennoch treiben<br />

auch ihn Sorgen um, die denen der<br />

Kollegen am Rand des Landes ähneln<br />

–oder ähnlich vertrackt sind.<br />

Es geht um Geld, und es geht um<br />

Statistik. Theel sagt, dass das Amt für<br />

Statistik 2016 prognostiziert hat, das<br />

die Einwohnerzahl im Amtsbereich<br />

bis 2030 auf 7500 schrumpft. „Tatsächlich<br />

sind wir aber 8888 Einwohner,fast<br />

600 mehr als 2011.“ Aber die<br />

Zahl 7500 gilt offiziell weiter –und<br />

das wirkt sich aus.„UnsereKitas sind<br />

überfüllt, aber ich darf nicht bauen,<br />

weil wir angeblich schrumpfen.“<br />

Theel war früher Kämmerer und<br />

wurde 2018 zum Verwaltungsleiter<br />

Groß Köris boomt auch deshalb, weil es im nahen Speckgürtel so voll ist.<br />

walde. Deshalb müssen diese Kommunen<br />

in einen kommunalen Finanzausgleich<br />

KFAeinzahlen, damit<br />

ärmere Gegenden etwas abbekommen.<br />

Schönefeld muss 2019 fast 15<br />

Millionen Euro abgeben, Groß Köris<br />

immerhin gut eine halbe Million.<br />

DieIdee findet Theel an sich nicht<br />

falsch –wohl aber die Umsetzung.<br />

Die Sache ist hoch kompliziert: Die<br />

BERND FRIEDEL<br />

gewählt. Er sagt, dass die Gymnasien<br />

im 20 Kilometer entfernten Königs<br />

Wusterhausen inzwischen „Rudel<br />

bildeten“ –weil die Stadt boomt und<br />

dort die <strong>Berliner</strong> S-Bahn endet. Für<br />

GroßKöris aber kämpft sein Amt seit<br />

vier Jahren darum, dass die Schule<br />

eine gymnasiale Oberstufe bekommt.<br />

Das würde den Schülern im<br />

Einzugsbereich künftig stundenlange<br />

Wege ersparen. Vergeblich.<br />

Beidem StichwortGroßKöris mit<br />

seinen 2342 Einwohnern wirdTheel<br />

unleidlich. Er versucht, den Grund<br />

ganz einfach zu erklären: DieSteuerkasse<br />

dortwirdgefüllt vonwohlsituierten<br />

<strong>Berliner</strong>nmit Hang zu Grundstücken<br />

mit mehreren Tausend QuadratmeternamSee,von<br />

alteingesessene<br />

Firmen sowie von Betrieben,<br />

die aus dem teurer werdenden<br />

Speckgürtel Berlins weiter raus ziehen.<br />

Die Gemeinde hatte 2017 mit<br />

mehr als sechs Millionen Euro so<br />

hohe Steuereinnahmen, dass es 2019<br />

als „abundant“ gilt, also reichlich<br />

Geld hat. So wie nur neun andere<br />

Gemeinden im Land, zum Beispiel<br />

Schönefeld, Baruth oder Liebenaktuellen<br />

hohen Zahlungen in den<br />

KFA beruhen auf den Steuereinnahmen<br />

aus dem Jahr 2017. Theel sagt,<br />

dass die wegen eines sogenannten<br />

„Sondereffekts“ zufälligerweise besonders<br />

hoch waren. Da die Gemeinde<br />

aber viel Geld hat, bekommt<br />

sie auch nicht mehr die übliche<br />

„Schlüsselzuweisungen“ vom Land<br />

mehr und muss auch noch Umlagen<br />

an das Amt und den Kreis abführen.<br />

Wenn im aktuellen Jahr 2019 aber<br />

weniger Steuerneingenommen werden<br />

als prognostiziert, muss die<br />

„abundante“ Gemeinde trotzdem<br />

weiter in den Finanzausgleich zahlen.<br />

Siemuss auch den Gewerbetreibenden<br />

zusätzlich zu hohe Steuervorauszahlungen<br />

erstatten. Ausdem<br />

Überfluss wirdein Minus.<br />

Deswegen zogen mehrere Gemeinden<br />

vors Landesverfassungsgericht,<br />

die aber 2013 verloren.<br />

Dasmacht GroßKöris nicht arm–<br />

und die sogenannte vorläufige Haushaltsführung<br />

mit einer Ausgabensperrebleibt<br />

dem Ortbisher erspart.<br />

Anders sieht es in anderen Bereichen<br />

des Amts aus, was dem Laien kaum<br />

mehr erklärlich ist. Bundesweit haben<br />

Kommunen und Ämter die doppelte<br />

Buchführung eingeführt, 2011<br />

auch in Brandenburg. Eine richtige<br />

Idee, sagt der ehemalige Controller<br />

Theel. Denn die Wirtschaft fahremit<br />

der doppelten Buchführung seit<br />

Jahrhunderten gut. Doch weniger<br />

gut sei, dass in Brandenburg allerdings<br />

die Ministerialebene noch mit<br />

dem alten Buchführungssystem der<br />

Kameralistik arbeite.„Die verstehen<br />

die Buchführung der Kommunen<br />

nicht und machen Unfug. Dann wird<br />

beispielsweise einer Straße, die abgeschrieben<br />

ist und für einen Buchhalter<br />

keinen finanziellen Wert hat,<br />

ein Wert zugeschrieben.“<br />

Dieser Wert schrumpft natürlich<br />

mit der Abschreibung über die Jahre.<br />

Die Eigentümer, also die Kommunen,<br />

erleiden folglich einen Verlust,<br />

wenn auch nur auf dem Papier. Die<br />

unerwünschte Folge: Es darf kein<br />

Geld ausgegeben werden, selbst,<br />

wenn die Gemeinde etwas gespart<br />

hat. Auch Kredite dürfen nicht aufgenommen<br />

werden, denn anders als<br />

in der freien Wirtschaft darf das Eigenkapital<br />

nicht zum Verlustausgleich<br />

herangezogen werden.<br />

Und sobleibt es einstweilen ein<br />

frommer Wunsch, dass im Schenkenländchen<br />

neue Kitas und Schulen<br />

gebaut werden, obwohl es Geld<br />

gibt. Theel sagt: „Die Kommunen<br />

sind gefesselt.“ Vielleicht findet die<br />

nächste Landesregierung einen Weg,<br />

diesen Knoten zu lösen.

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