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<strong>Berliner</strong> <strong>Zeitung</strong> · N ummer 207 · F reitag, 6. September 2019 – S eite 9 **<br />
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Berlin<br />
Digitale Welt: Auch<br />
das Wasser bleibt<br />
nicht ungeschoren<br />
Seite 14<br />
Wieaus dem Haus der Statistik ein Quartier der Zukunft werden soll Seite 10<br />
Wasdie US-Botschaft von Michael Müllers Besucher aus Teheran hält Seite 11<br />
Stadtbild<br />
Glücklich und<br />
entspannt<br />
Zwei Tage ausrasten<br />
Lollapalooza hat auf dem Olympiagelände eine Heimat gefunden. Sonnabend geht’slos<br />
NACHRICHTEN<br />
14-jährige Keira ermordet:<br />
Urteil rechtskräftig<br />
Julia Haak genießt den<br />
Sommer mit der Post.<br />
ImSommer verlassen wir die Stadt.<br />
Wir begeben uns an Orte, die oft<br />
abgelegen sind vonjeglicher Zivilisation.<br />
Manchmal fahren wir auch in<br />
andereStädte,sehen uns an, wie die<br />
Menschen dort leben, besichtigen<br />
ihre Sehenswürdigkeiten und benehmen<br />
uns so, wie sich die Touristen<br />
bei uns benehmen.<br />
DerUrlaub soll vorallem der Entschleunigung<br />
dienen. In diesem Jahr<br />
ist das mithilfe der Deutschen Post<br />
auf vorbildliche Weise gelungen.<br />
Nicht auszudenken wie es uns wohl<br />
gehen würde,hätten wir unseren ursprünglichen<br />
Plan verwirklicht. Er<br />
war ambitioniert und sah vor, unseren<br />
Sohn am Ende einer Paddeltour<br />
in Schweden abzuholen. Wirwollten<br />
ein oder zwei Tage in derWildnis verbringen,<br />
schwimmen gehen und<br />
Beeren pflücken. Dann wären wir<br />
nach Stockholm aufgebrochen und<br />
von dort mit einer Fähre bis nach<br />
Tallinn in Estland gefahren. Wir wären<br />
quer durch Lettland gereist, hätten<br />
auf der Kurischen Nehrung in Litauen<br />
in den Dünen gezeltet, Königsberg<br />
besichtigt und einen Stopp<br />
in Danzig eingelegt, bevor wir nach<br />
Berlin zurückgekehrt wären. Einige<br />
Tausend Kilometer Fahrt.<br />
Allerdings ging etwas schief. Es<br />
lag am Ausweis unseres Sohnes.<br />
Während das Kind in Schweden bei<br />
uns blieb, reiste die Plastikkarte versehentlich<br />
mit der Paddelgruppe<br />
nach Deutschland zurück. Aber es<br />
gibt ja den Expressversand der DHL.<br />
50 Euro kostet es, einen Ausweis an<br />
einem Tagvon Berlin nach Schweden<br />
zu transportieren. Aber für den<br />
Preis, sodas Versprechen, sollte die<br />
Karte24Stunden später bei uns sein.<br />
Daswar an einem Montag. Am Donnerstag<br />
darauf war der Ausweis allerdings<br />
noch immer nicht da.<br />
Die Sendungsverfolgung zeigt:<br />
Der Ausweis reist am Montag von<br />
Berlin nach Erfurt. Warum, wird für<br />
immer das Geheimnis der DHL bleiben,<br />
denn vonErfurtverschickt DHL<br />
gar keine internationale Post. Das<br />
merkt man im Verteilzentrum dann<br />
auch und schickt den Ausweis wieder<br />
nach Berlin. So geht es nach<br />
Leipzig und weiter nach Kopenhagen.<br />
Mittlerweile ist Mittwoch. Aber<br />
am selben Tagschafft es die kleine<br />
Plastikkarte noch bis nach Göteborg.<br />
Jetzt ist der Ausweis schon mal in<br />
Schweden. Am Donnerstag ist er<br />
wieder auf Reisen, es geht nach Oskarshamn<br />
auf der anderen Seite des<br />
Landes. Ganz oben auf der Seite<br />
steht, wann der Ausweis voraussichtlich<br />
sein Ziel erreichen soll: eine<br />
weitereWoche später.<br />
So lang können 24 Stunden sein.<br />
Am Telefon hieß es dann, na ja,<br />
Express sei eben nur zwischen Berlin<br />
und Stockholm möglich. Da sei der<br />
Absender falsch informiertworden.<br />
Wir haben die Reise abgekürzt.<br />
Den Ausweis haben wir in einer seiner<br />
Zwischenstationen selbst abgeholt.<br />
Dann haben wir das gesamte<br />
Baltikum ausgelassen, sind mit einem<br />
Schiff direkt nach Danzig gefahren<br />
und von dort einige Tage später<br />
nach Berlin. Wir haben einige Tausend<br />
Kilometer gespart, die Umwelt<br />
geschont und unsere Nerven. Wir<br />
sind auf jeden Fall sehr entschleunigt<br />
aus dem Urlaub zurückgekehrt.<br />
Dank DHL. Waswill man mehr.<br />
Weibliche Fans bejubeln die Band „The 1975“ auf dem Lollapalooza-Festival 2016 in Berlin.<br />
VonMarkus Schneider<br />
Sieht aus, als habe das Lollapalooza<br />
im fünften Jahr eine<br />
Heimat gefunden. Wie 2018<br />
wird das Pop-Festival am<br />
Sonnabend und Sonntag wieder auf<br />
dem Olympiagelände in Charlottenburg<br />
stattfinden. Dort soll es auch<br />
dauerhaft untergebracht werden.<br />
Die erwarteten 150 000 Leute und<br />
die eher beschauliche Nachbarschaft<br />
dürfen sich also auf lange,<br />
laute und schrille Wochenenden<br />
mehr oder weniger aufregender Popmusik<br />
vonfünf Bühnen freuen.<br />
Für die Macher zweifellos eine Erleichterung.<br />
Schließlich wurden sie<br />
von Anwohnern und Umweltschützern<br />
seit dem Debüt 2015 nacheinander<br />
über Tempelhofer Feld, Treptower<br />
Park und Galopprennbahn<br />
Hoppegarten gescheucht. Andererseits<br />
entspricht die Wanderschaft<br />
dem Gründungsgeist des Events.<br />
Der US-amerikanische Rockmusiker<br />
Perry Farrell hatte es 1991 ins<br />
Leben gerufen (siehe Infobox) und<br />
umrahmte die Konzerte von Beginn<br />
an mit allerlei burleskem Treiben.<br />
Heute gibt es neben den Kirmes-Attraktionen<br />
der „Fun Fair“ auch<br />
Ökoaufklärung und Kinderhort –<br />
und statt Bargeld den Prepaid-Chip.<br />
Musikalisch auf Nummer sicher<br />
Musikalisch hat sich das Festival<br />
ausgedehnt. DieChicagoer Line-ups<br />
der vergangenen Jahre versammeln<br />
zeitgenössischen Indiepop,HipHop,<br />
R&B und Elektro. Während aber die<br />
US-Kuration wirkt, als habe man<br />
Künstler wie aus dem Salzstreuer rieseln<br />
lassen, geht man bei uns eher<br />
auf Nummer sicher. Allein „Perry’s<br />
Bühne“ zeigt eine gewisse Eigenwilligkeit.<br />
Altrocker Farrell hat schon<br />
länger sein Herz für die elektronische<br />
Jugend entdeckt und präsentiert<br />
entsprechende Acts. Seine Vorliebe<br />
gilt der US-Version, die seit Jahrenals<br />
EDM erfolgreich über dortige<br />
Bühnen bollert, ein Dancefloor-Pop<br />
für Spring-Break-Sausen, der auf<br />
flauschige Melodie und genremischenden<br />
Rumms setzt.<br />
In Berlin wirken Farrells Hauptempfehlungen<br />
wie der französische<br />
DJ Kungs oder der zutrauliche Sommersound<br />
Alan Walkers ein bisschen<br />
provinziell. Folgerichtig hört man<br />
neben Altmeistern wie Scooter oder<br />
Underworld auch auf den Hauptbühnen<br />
sonnigen Clubpop von Produzenten<br />
wie Swedish House Mafia<br />
und Twentyone Pilots. Unter ähnlichen<br />
Vorzeichen steht das HipHop-<br />
Billie Eilish –einzige Frau auf einer der abendlichen Hauptbühnen<br />
Khalid, US-amerikanischer Sänger,bei einer Festival-Performance<br />
Schwer in Schwung: die britisch-kosovarische Sängerin Rita Ora.<br />
Die Anfänge: PerryFarrell erdachte Lollapalooza<br />
1991 zum Abschied seiner neopsychedelischen<br />
Hardrockband Jane’sAddiction als<br />
20-Städte-Tour mit befreundeten und geistverwandten<br />
Musikern. Zunächst noch als<br />
eineArtWoodstock für die Generation Grunge<br />
gepriesen mit frisch in den Mainstream geschwemmten<br />
Undergroundbands wie Soundgarden,<br />
PearlJam oder den Butthole Surfers -<br />
verschwand es ab 1998 ein paar Jahre von<br />
der Bildfläche.<br />
FESTIVAL AUF WANDERSCHAFT<br />
Die Fortsetzung: Seit 2005 findet es nun regelmäßig<br />
in Chicagostatt, mitfinanziertvon<br />
der einflussreichen Künstleragentur William<br />
Morris sowie seit 2014 C3 Presents und deren<br />
51%-Eigner LiveNation, dem größten<br />
Veranstalter der Welt. Ausden zunächst zwei<br />
Tagendieser zweiten Staffel sind mittlerweile<br />
vier geworden, mit Franchise-Exporten nach<br />
Argentinien, Brasilien und Chile, und europäischen<br />
nach Berlin, Paris und Stockholm.<br />
Geblieben ist der Zirkuscharakter.<br />
IMAGO<br />
IMAGO/PEDRO FIUZA<br />
IMAGO<br />
DPA/GREGOR FISCHER<br />
Programm, das fast nur deutsche<br />
Acts präsentiert. Dendemann ist<br />
zweifellos einer der sprachgewitztesten<br />
Rapper deutscher Zunge und<br />
dank Böhmermann auch szeneübergreifend<br />
zugkräftig. Auch Marteria<br />
(36, mit Casper) hat sich die Hauptbühne<br />
des ersten Abends seit Beginn<br />
des Jahrzehnts nachhaltig und souverän<br />
jenseits der Battle-Schwundstufen<br />
verdient. Jung und Berlin dagegen<br />
der Autotune-Rapper Ufo361.<br />
Über die Rockheadliner Kings of<br />
Leon muss man nicht weiter streiten,<br />
sie haben recht frisch als Südstaaten-Strokes<br />
begonnen und sind<br />
nach knapp 20 Jahren im Geschäft<br />
nun die U2 des Southern Rock, sämig<br />
stadionfähige Stars.<br />
Nicht mehr so männerlastig<br />
In den Nebenschienen gibt es ein<br />
buntes Programm aus Indiegenres,<br />
vom zuverlässigen Aussie-Rock von<br />
The Faim, zum Elektropop des Kölners<br />
Roosevelt zum ebenso unterhaltsamen<br />
wie sendungsbewussten<br />
Rap der New Yorker Princess Nokia.<br />
Diese ist wiederum ein schönes Zeichen,<br />
dass man sich ein paar kuratorische<br />
Gedanken zur bisherigen<br />
Männerlastigkeit des Festivals gemacht<br />
hat. So steht mit Courtney<br />
Barnett aus Australien die vielleicht<br />
textbeste und songklügste aktuelle<br />
Indierockerin auf der Alternative-<br />
Bühne, inGestalt der Hamburgerin<br />
Ilgen-Nur auf der kleinen Weingartenstage<br />
tritt ihre deutsch-türkische<br />
Entsprechung auf.<br />
In jeder Beziehung einen Coup<br />
landet das Festival mit Billie Eilish.<br />
Als einzige Frau auf einer abendlichen<br />
Hauptbühne gehört sie zu den<br />
wenigen Acts, auf die sich alle einigen<br />
können. Der jüngste Popstar<br />
jenseits vonGreta Thunbergversorgt<br />
die Popwelt mit einem ausgezeichneten<br />
Stilmix. Auch wichtig: die vorbildlich<br />
komischen Frisuren und Stylingvorschläge<br />
der 17-Jährigen.<br />
Am Ende zielt das Lollapalooza<br />
nämlich ohnehin aufs Ganze. Die<br />
Musiker fügen sich mit den anderen<br />
Gauklern und Artisten aus Zirkus,<br />
Schminkstudio und Varieté flüssig<br />
zum 360°-Erlebnis. Statt Partynacht<br />
herrscht Nachmittagshedonismus.<br />
Sonnabend um elf, Sonntag um zehn<br />
istaus Lärmschutzgründen Schluss.<br />
Markus Schneider<br />
sieht dem Nachmittagshedonismus<br />
entgegen.<br />
Im Märzvorigen Jahres wurde die 14-<br />
jährige KeiraG.inihrerWohnung in<br />
Alt-Hohenschönhauses mit 23 Messerstichen<br />
getötet. Nunist das Urteil<br />
gegen einen zur Tatzeit 15-jährigen<br />
Mitschüler des Mädchens rechtskräftig.WieamDonnerstag<br />
bekannt<br />
wurde,bestätigte der Bundesgerichtshof<br />
das Urteil des Landgerichts,<br />
das den Jungen wegen Mordes zu einer<br />
Jugendstrafe vonneunJahrenverurteilte<br />
hatte.Der Jugendliche hatte<br />
Keira, die für ihn schwärmte,aus<br />
Mordlust und heimtückisch umgebracht,<br />
hieß es im Urteil. Er habe sich<br />
mit der Kunstfigur des gewalttätigen<br />
Psychopathen Jokeridentifiziert. Motivder<br />
Tat: Keiras Mörder habe den<br />
Gedanken an die Tötung eines Menschen<br />
spannend gefunden und sich<br />
gefragt, wie es sich anfühle,einen<br />
Menschen zu töten. Zudem habe er<br />
herausfinden wollen, ob er die eigenhändige<br />
Tötung ertrage. (kbi.)<br />
CDU-Politiker fordert<br />
Zuzugsstopp für Berlin<br />
Zu wenigWohnungen, volle Bahnen,<br />
nicht genügend Kita-Plätze: Derwohnungspolitische<br />
Sprecher der CDU-<br />
Fraktion im Abgeordnetenhaus,<br />
Christian Gräff, hat einen Zuzugsstopp<br />
für Berlin ins Gespräch gebracht.„Ich<br />
glaube,dass wir einen<br />
Zuzugsstopp nach Berlin brauchen.<br />
Solange der Senat hier überhaupt<br />
keine neue Infrastruktur schafft –Kitas,Schulen,Verkehrsinfrastruktur<br />
–<br />
leiden die <strong>Berliner</strong>innen und <strong>Berliner</strong><br />
darunter“, sagte Gräffdem RBB.Laut<br />
Senat wächst die Hauptstadt um jährlich<br />
etwa 40 000 Einwohner. (dpa)<br />
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Jugendfeuerwehrwartgibt<br />
sexuellen Missbrauch zu<br />
Einfrüherer Feuerwehrmann hat vor<br />
Gericht den Missbrauchs vonKindernund<br />
Jugendlichen gestanden. Er<br />
schäme sich für seine„unfassbaren<br />
Fehlleistungen“ erklärte der 60-jährige<br />
Ex-Landesjugendfeuerwehrwart<br />
am Donnerstag vordem Amtsgericht<br />
Tiergarten. Derinzwischen pensionierten<br />
Mann hatte seit Mitteder<br />
80er-JahreKinder und Jugendliche<br />
sexuell missbraucht. DieBetroffenen<br />
seien ihm als Jugendfeuerwehrwart<br />
einer Freiwilligen Feuerwehr anvertraut<br />
gewesen, so die Anklage. (dpa)<br />
Blickeindie Zukunft: Berlins<br />
Futurium eröffnet<br />
In Berlin hat mit dem Futurium das<br />
erste Zukunftssmuseum Deutschlands<br />
offiziell Eröffnung gefeiert. Auf<br />
mehreren Ebenen ist das 58 Millionen<br />
Euro teureGebäude ein Showroom<br />
für Zukunftsentwürfe und ein<br />
Mitmach-Parcours für Neugierige<br />
samt Labor.Der Eintritt für Besucher<br />
ist frei. BisSonntag gibt es das„Fest<br />
der Zukünfte“ zum Hineinschnuppern.<br />
(dpa)