Weinblattl 2020
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Ein kräftiger
Schluck zur
Freude ...
von DP Ing. Reinhold Holler
18 Weinbauschule Silberberg • Wein-Wissen
Gedanken zum Weinkosten: Was Menschen so einzigartig
macht, ist, dass wir uns an dem, was unsere Sinne
wahrnehmen, erfreuen können. Ganz besonders der
Wein spricht unsere Sinne an. Wie gerne treffen und erfreuen
wir uns in angenehmer Gesellschaft, vernehmen
Stimmen, das Öffnen von Flaschen, vielleicht sogar das
Knallen eines Korkens, das Klingen der Gläser – es hebt
unsere Stimmung, obwohl es für den Geschmack des
Weines keine Beeinflussung ergibt. Aus den Geräuschen
des Weines kann selbst der profundeste Koster nichts
herauslesen.
Er muss sein Auge einsetzen, um Klarheit, Farbe und
Farbtiefe sowie die Viskosität des Weines zu testen.
Dazu braucht es möglichst gute Lichtverhältnisse,
um zumindest Hinweise auf Sorte, Alter und Reife zu
erkennen. Unser ältester und nach wie vor wichtigster
Sinn wird über die Nase gespielt.
Der Geruchssinn entscheidet sehr schnell über Sympathie
oder Antipathie, kann aber nur das erkennen, was
er schon einmal wahrgenommen hat. Auf gut Deutsch
heißt das: Wir werden nicht mit dem Wissen über
den Geruch eines Apfels geboren. Der Geruchssinn
ist nicht messbar, aber trainierbar. Es ist nachgewiesen,
dass Menschen aus dem ländlichen Raum besser
Gerüche wahrnehmen als Mitglieder unserer Gesellschaft
aus dem urbanen Siedlungsbereich, weil sie
permanent mehr Eindrücke wahrnehmen können. Aus
diesem Grund haben Frauen aus dem traditionellen
Lebensstil eine deutlich bessere Geruchswahrnehmung
als Männer. Durch die Veränderung der Berufstätigkeit
von Frauen wird sich dieser Unterschied egalisieren.
Der Geruchssinn wird aber auch beim Schmecken
benötigt – retronasales Riechen von Stoffen, die zuerst
im Mund landen, aufgeschlossen oder verändert werden
und dann über die Atemluft in den Nasenraum gespült
werden. Viele Überlegungen betreffen die Grund-
© Steiermarktourismus – ikarus.cc
geschmacksarten. Einstens sprach man von vier (süß,
sauer, salzig, bitter), jetzt von fünf, weil man „umami“
als fünften Grundgeschmack hinzugefügt hat.
„Umami“ bedeutet soviel wie „Wohlgeschmack“ und
kommt durch die Reaktion der Schleimhäute mit Glutaminsäure
zu Stande. Dieses Wissen hat sich die Nahrungsmittelindustrie
in Form des „Glutamates“ zu Nutze
gemacht. Aber wussten Sie, dass Parmesan besonders
reich an natürlichem Glutamat ist? Auch Wein enthält
diese natürliche Aminosäure. Was aber noch immer in den
Lehrbüchern steht, obwohl überholt, ist die Zonierung
der Zunge, die so nicht gegeben ist. Wir können überall
abhängig von den „Papillen“ alles wahrnehmen, jedoch
zeitverzögert – und so ist die fälschliche Annahme
entstanden, dass die Zunge „zoniert“ ist. Wie unvollständig
diese Einteilung ist, sieht man, wenn man
versucht, Schmerzen wie „scharf“ zuzuordnen. So bleibt
der Wissenschaft noch viel zu tun.
Schließlich bleibt noch der Tastsinn, der gebraucht
wird, wenn man nach einigen Gläsern zu viel den Weg
nach Hause oder die richtige Frau sucht. Scherz beiseite:
Der Tastsinn auf der Zunge und am Gaumen
kann die Viskosität eines Weines genauso wie die
Temperatur oder das Prickeln der Kohlensäure sowie
die Adstringenz der Tannine wahrnehmen.
Für all das braucht es nach dem Riechen in ein geschwenktes
Glas einen kräftigen Schluck Wein, damit
der Speichel den Eindruck nicht verdünnt oder gar verändert.
Es braucht die Umgebung von Weinfreunden.
Die entscheidende Bewertung des Produktes ist auch
nicht angeboren, sondern antrainiert und so werden wir
noch stundenlang sitzen, schmatzen und schlürfen und
auf der Suche nach dem großen Wein bleiben.