akzent Magazin Februar '20 Bodensee-Oberschwaben
akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN www.akzent-magazin.com
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MODENSEE<br />
<strong>akzent</strong>: Wie stehen Sie zu den Fashionistas<br />
und Bloggerinen, die heute zuhauf im Internet<br />
unterwegs sind und Trends vorgeben?<br />
Monika Kritzmöller: Trends vorgeben geht<br />
nicht, das schafft man schlicht nicht. Trends<br />
sind immer aus einem gesellschaftlichen<br />
Gefühl heraus geboren und Ausdruck dessen,<br />
was in einer Gesellschaft vor sich geht.<br />
Mode als Gesellschaftsbarometer. Sie können<br />
höchstens sagen, sie haben ein Gespür für<br />
das, was in die Zeit passt – und das kommunizieren<br />
sie. Und wenn sich das schwunghaft<br />
verbreitet, sieht es so aus, als hätten sie den<br />
Trend gemacht. Bloggerinnen bergen auch<br />
eine trügerische Sicherheit. Kendal Jenner wird<br />
ihnen niemals bei Liebeskummer zur Seite stehen<br />
… sie haben eine Projektionsfigur, die sie<br />
nie kennenlernen werden, für die sie keine Bedeutung<br />
haben. Vielmehr sollte man auf sich<br />
hören: was bin ich für ein Mensch, was passt<br />
zu mir? Das aber erfordert eine Auseinandersetzung<br />
mit sich selbst. Man muss sich unter<br />
Umständen auch verteidigen. Wenn ich etwa<br />
einen meiner vielen Hüte anhabe, fällt das<br />
auf und muss nicht allen gefallen. Ich mag<br />
ihn aber, er bedeutet mir etwas, und deshalb<br />
kann ich dazu stehen. Folge ich Fashionistas<br />
oder Bloggerinen und imitiere sie, gebe ich ein<br />
Stück von dieser Herausforderung ab. Man<br />
entlastet sich, weil man keine Verbindlichkeit<br />
eingeht. Ich kann jederzeit jemandem anderen<br />
folgen und entgehe der Auseinandersetzung<br />
mit mir. Bloggerinnen sind wie eine modische<br />
Hängematte, man kann sich anlehnen.<br />
Evita<br />
Ein Herzensprojekt von Monika<br />
Krutzmöller ist die im Oktober 2019<br />
erschienene Soziografie über Eva<br />
Margarita Hatschek (1924-2010)<br />
„Evita – Fashionista, Bloggerin und<br />
die Mode“. Hatschek galt als bildschön<br />
und hochintelligent: sie studierte<br />
in den 1940er Jahren Chemie,<br />
als eine von 20 Frauen unter 500<br />
Männern an der ETH Zürich und war<br />
zeitweilig Ehefrau eines erfolgreichen<br />
Unternehmers. Immer frönte sie ihrer<br />
Leidenschaft: der Mode. Sie ließ<br />
sich im Laufe ihres Lebens mehrere<br />
hundert Haut-Couture-Kleider auf<br />
den Leib schneidern. „Heute wäre<br />
meine Mutter sicher eine bekannte<br />
Fashionista“, so Tochter Andrea<br />
über ihre Mutter im Gespräch mit<br />
Monika Kritzmöller – die Idee zu einem<br />
außergewöhnlichen Buch war<br />
geboren. Auf 100 Seiten, illustriert<br />
mit zahlreichen Bildern und Steckbriefen<br />
zu den Kleidern, schrieb die<br />
Soziologin quasi posthum einen Fashionblog<br />
für „Evita“. Ergänzt durch<br />
spannende Informationen aus der<br />
Modegeschichte und Schneiderkunst,<br />
über die Frauenrolle und das<br />
Verständnis von Schönheit.<br />
www.flabelli-verlag.de<br />
<strong>akzent</strong>: Wie hat sich die Bedeutung der Mode<br />
im Laufe der Jahre verändert?<br />
Monika Kritzmöller: Artefakte zeigen ganz<br />
stark, wie sich Gesellschaften verändern.<br />
Mode ist wie ein Lebensgefühl, das man sich<br />
anlegt. Wir haben heute nicht mehr DEN<br />
Trend, etwa eine einzige bestimmte Rocklänge.<br />
Früher gab es eine Klassen- und Schichtenmode.<br />
Mittelschicht-Frauen haben günstigeren<br />
Kunstpelz getragen, um so auszusehen<br />
wie die Industriellen-Gattin mit dem Echtpelz.<br />
Heute ist es eher eine Grundsatzfrage: Trage<br />
ich Echtpelz oder eben nicht. Am unterschiedlichen<br />
Umgang mit Mode lässt sich exakt die<br />
Gesellschaftsstruktur ablesen, und die ist heute<br />
nicht mehr geschichtet, sondern individualisiert<br />
wie ein Patchwork.<br />
<strong>akzent</strong>: Und welche Rolle spielt dabei derzeit<br />
Friday for Future?<br />
Monika Kritzmöller: Ich sehe da eine Oberflächenebene.<br />
Es werden Postulate aufgestellt,<br />
die dann auch von den Herstellern als Greenwashing<br />
verwendet werden. Der Kern dessen,<br />
was nachhaltige Mode wirklich ausmacht,<br />
wird aber oft nicht berührt. Was trägt Greta<br />
an den Füßen? Sneakers! Viele Friday for<br />
Future-Demonstranten hinterfragen nicht,<br />
dass sie Plastik und Gummi an den Füßen<br />
haben. Viele gehen mit Fast Fashion auf die<br />
Straße und sagen ‚ihr habt uns das Leben versaut‘<br />
– das sind für mich Logikbrüche! Aber<br />
gerade die Eigenschaft, auch typisch menschliche<br />
Irrationalitäten aufzuzeigen, macht die<br />
Erforschung von Mode so spannend. Ich behaupte,<br />
dass edle Sandalen aus Leder nachhaltiger<br />
sind. Auf richtig schönen Modellen<br />
laufe ich gut 20 Jahre herum! Lederschuhe<br />
sind biologisch abbaubar, hinterlassen keinen<br />
Gummiabrieb oder Mikroplastik, können vom<br />
Schuster repariert werden. Ich pflege sie akribisch,<br />
damit ich sie lange tragen kann. DAS<br />
ist doch nachhaltig! Mein Plädoyer ist, sich<br />
lustvolle Mode zu leisten, von der ich weiß,<br />
wo sie hergestellt ist. Das kann auch selbst<br />
gestrickt oder Second Hand und muss nicht<br />
teuer sein. Es gibt viele Möglichkeiten!<br />
<strong>akzent</strong>: Wie würden Sie die Menschen in der<br />
<strong>Bodensee</strong>region modemäßig beschreiben?<br />
Monika Kritzmöller: (lacht) Eine heikle Frage<br />
… Es ist eine sehr schöne Region mit hohem<br />
Freizeitwert, aber es gibt keine großen Metropolen<br />
in der Nähe. Das Straßenbild ist meines<br />
Erachtens eher casual, weniger extravagant.<br />
Dies ist etwas erstaunlich mit Blick auf die<br />
Umgebungsqualitäten: Wir haben hier ein<br />
mildes, liebliches Klima, den riesigen See mit<br />
seiner Weite, es gibt Ufercafés und Weinbau<br />
– da stelle ich mir Dolce Vita vor. Beschwingt<br />
und sexy. Und ich staune, warum die Stärke<br />
der Region nicht deutlicher auf die Mode<br />
abfärbt. Meine Anregung wäre: modisch an<br />
die Umgebungsqualität anzuknüpfen, sich inspirieren<br />
zu lassen. Lebt doch das Dolce Vita<br />
auch in einem freudigen Stilbekenntnis in der<br />
Kleidung!<br />
www.kritzmoeller.ch<br />
TEXT: TANJA HORLACHER, FOTO: LIA HERZER,<br />
A.K.WEHRLI, ALLTAG.CH<br />
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