OWL Magazin Ausgabe 27
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Wissenschaft und Forschung 49<br />
Arzt aus. Also medizinisches Fachwissen<br />
und menschliche Kompetenz.<br />
Dazu kommen heute aber wirklich<br />
sinnvolle, teils lebensrettende digitale<br />
Komponenten, die sich in das ärztliche<br />
Handeln integrieren lassen. Daher<br />
macht es keinen Sinn, erst zehn Semester<br />
Medizin zu studieren und dann einen<br />
Studienschwerpunkt Digitale Medizin<br />
zu besuchen. Wir wollen das Thema im<br />
Studium quasi als feinen roten Faden<br />
mitlaufen lassen. Immer wieder sollen<br />
die Studierenden neue Technologien<br />
kennenlernen, diese in der Praxis erproben<br />
können – und sie auch hinterfragen<br />
dürfen. Denn natürlich gibt es<br />
auch sinnlose Technologien, auf die wir<br />
verzichten sollten, und Gefahren, die wir<br />
limitieren müssen. Die in den letzten<br />
Jahren ausufernde Technisierung und<br />
Kommerzialisierung in der Medizin ist<br />
ein großes Problem, das auch in diesen<br />
Kontext gehört. Hinzu kommen ethische<br />
Fragen oder Fragen des Datenschutzes.<br />
▶ Technologische Entwicklungen sollen<br />
also sinnvoll in Behandlungsabläufe<br />
integriert werden.<br />
Prof. Dr. Sebastian Kuhn: Unsinnige<br />
Doppelt- und Dreifachdiagnostik muss<br />
aufhören. Und warum müssen Patienten<br />
geröntgt werden, die erst vor sechs Wochen<br />
vor einem Röntgenapparat gestanden<br />
haben? Warum hat die Fachärztin nicht<br />
alle relevanten Informationen verfügbar,<br />
wenn der Patient aus der Klinik kommt?<br />
Wie können wir Ungleichgewichte in der<br />
städtischen und der ländlichen Versorgung<br />
verhindern, wo das Praxissterben<br />
längst einen gefährlichen Umfang angenommen<br />
hat?<br />
Wichtig ist mir auch, dass wir verstehen,<br />
dass wir Patientinnen und Patienten<br />
stärker einbeziehen können. Fast jeder<br />
hat mittlerweile Zugang zu Handys,<br />
Laptops oder PC und managt damit das<br />
Alltagsleben. Von Pandemie-bedingten<br />
Erfahrungen wie Homeoffice und Homeschooling<br />
mal ganz zu schweigen. Junge<br />
wie alte Diabetes-Patienten profitieren<br />
schon heute von der Telemedizin. Die<br />
digitale Arzt-Patienten-Kommunikation<br />
gewinnt an Bedeutung, App-basierte<br />
Behandlungskonzepte sind die Folge.<br />
Die Online-Reha-Nachsorge wird Alltag.<br />
Covid-19-Patienten werden in häuslicher<br />
Quarantäne oder in stationären Pflegeeinrichtungen<br />
mit digitalen Lösungen<br />
begleitet – die ärztliche Behandlung per<br />
Telefon reicht nicht mehr. Der Informationsfluss<br />
zwischen dem ambulanten und<br />
dem stationären Sektor muss verbessert<br />
werden. Außerdem sind eine strukturierte<br />
Erfassung und der effektive Austausch<br />
der Behandlungsdaten nicht nur für den<br />
einzelnen akut erkrankten Patienten<br />
wichtig, sondern auch für die Bewältigung<br />
der Pandemie als Ganzes.<br />
▶ In Bielefeld werden im Wintersemester<br />
2021/22 die ersten 60 Studierenden<br />
ihr Studium beginnen. Wird medizinisches<br />
Faktenwissen im Studium<br />
eine geringere Rolle spielen? Müssen<br />
die künftigen Ärztinnen und Ärzte<br />
assistierende Technologien verstehen<br />
und nutzen lernen?<br />
Prof. Dr. Sebastian Kuhn: Darum geht<br />
es vom ersten Semester an. Die künftigen<br />
Ärztinnen und Ärzte werden die zunehmende<br />
Bedeutung von Daten, Algorithmen<br />
und assistierenden Technologien<br />
für ihr Handeln verstehen lernen. Das<br />
gesamte Gesundheitswesen ändert sich<br />
zurzeit mit Rasanz, Digitalisierung geht<br />
nicht mehr weg. Künstliche Intelligenz<br />
unterstützt Diagnostik, Therapie und<br />
Prävention.<br />
Aber – und das ist mir ganz wichtig:<br />
Natürlich ist medizinisches Fachwissen<br />
elementar und die eigentlichen ärztlichen<br />
Aufgaben sind und bleiben auch im digitalen<br />
Zeitalter die gleichen. Es geht darum,<br />
Krankheiten zu diagnostizieren und zu<br />
heilen, Leiden zu lindern und Sterbende<br />
zu begleiten. In der Praxis, in der Klinik,<br />
in medizinischen Instituten müssen<br />
die Bedürfnisse und Wünsche unserer<br />
Patient*innen im Zentrum stehen. Das<br />
sind die ärztlichen Prinzipien. ◀<br />
Prof. Dr. med. Sebastian Kuhn ist<br />
an die Medizinische Fakultät <strong>OWL</strong> berufen<br />
worden. Er richtet dort die Arbeitsgruppe<br />
Digitale Medizin ein.