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OWL Magazin Ausgabe 27

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Kunst und Kultur 65<br />

Die Kunsthalle Bielefeld glänzt als Museum<br />

und Ausstellungshaus für die Kunst des<br />

20. und 21. Jahrhunderts mit internationalem<br />

Renommee. Mit Christina Végh steht eine versierte<br />

Kunsthistorikerin und Ausstellungsmacherin<br />

an der Spitze. Ein Porträt.<br />

Von Dr. Reinhardt Schwarz<br />

Im Oktober 2020 debütierte sie mit<br />

gleich vier Einzelausstellungen: mit Monica<br />

Bonvicinis „Lovers Material“, mit<br />

„Raum, Zeit, Architektur, Gender“, einem<br />

Blick in die eigenen Sammlungen, mit<br />

Jeremy Dellers „Wir haben die Schnauze<br />

voll“ und mit der Rodin-bezogenen Präsentation<br />

„Die Denker“ von Jeff Wall. Im<br />

Mittelpunkt Rodins bronzener „Denker“,<br />

der zu dieser Zeit seinen Stammplatz noch<br />

vor der Kunsthalle einnahm und derzeit<br />

„auf Urlaub“ im Schweizer Kunstmuseum<br />

„Fondation Beyeler“ weilt.<br />

Foto: Sarah Jonek<br />

Internationalität wurde der 50-Jährigen<br />

quasi in die Wiege gelegt. Groß geworden<br />

in der Schweiz, in einer Familie mit<br />

ungarischen Wurzeln und der Erfahrung<br />

der Emigration, war es selbstverständlich,<br />

mehrsprachig aufzuwachsen und<br />

Familie an unterschiedlichen Orten auf<br />

der Welt zu wissen. Ihr Interesse für die<br />

Kunst erklärt sie vor dem Hintergrund<br />

ebendieser Erfahrung: der Vermittlung<br />

zwischen unterschiedlichen kulturellen<br />

Werten und Lebensanschauungen.<br />

Christina Végh studierte Kunst- und<br />

Architekturgeschichte mit den Nebenfächern<br />

Ethnologie und Philosophie an der<br />

Universität Zürich mit einem Abstecher<br />

an die University of California Santa Cruz<br />

(UCSC). Ihr Ansporn erwuchs aus der<br />

Bewunderung für drei prägende Künstlerpersönlichkeiten:<br />

Francisco de Goya,<br />

Henri Matisse und John Baldessari, dem<br />

vor einem Jahr verstorbenen, einflussreichen<br />

amerikanischen Konzeptkünstler.<br />

Als wissenschaftliche Assistentin und<br />

später Kuratorin sammelte sie erste Erfahrungen<br />

in einer der weltweit renommiertesten<br />

öffentlichen Einrichtungen<br />

für zeitgenössische Kunst, der Kunsthalle<br />

Basel. Der Baseler Zeit folgten zehn Jahre<br />

als Leiterin des Bonner Kunstvereins,<br />

wo sie sich der jüngsten Kunst widmete<br />

und für Programmatik, Sanierung und<br />

besondere Leistung in der Vermittlung<br />

ausgezeichnet wurde. Nach Bonn folgte<br />

Hannover. Mit der Kestner Gesellschaft<br />

leitete Végh einen der größten Kunstvereine<br />

Deutschlands. Ihr Schwerpunkt war<br />

dort, in den Wechselausstellungen Bezüge<br />

und Verbindungen zwischen Künstlerinnen<br />

und Künstlern unterschiedlicher<br />

Generationen sichtbar zu machen.<br />

Nun ist sie Leiterin der Kunsthalle<br />

Bielefeld. Dabei hat sie sich zwei großen<br />

Herausforderungen zu stellen: zum einen<br />

die für 2024 geplante Sanierung und den<br />

Umbau der vom Stararchitekten Philip<br />

Johnson erbauten Kunsthalle anzuleiten,<br />

zum anderen die kurz nach ihrem<br />

Dienstantritt aufgetretene Pandemie.<br />

Végh redete nicht, sondern handelte: „Wir<br />

haben das Haus in Bewegung gesetzt, sind<br />

mit digitalen Formaten weiterhin mit den<br />

Besucherinnen und Besuchern in Kontakt,<br />

im Grundsatz sogar noch internationaler<br />

als sonst, da man sich weltweit zuschalten<br />

kann, was tatsächlich auch geschieht. Wir<br />

sind in den letzten Monaten auch in intensiven<br />

Gesprächen mit Lehrenden vor Ort,<br />

um in der Situation der Pandemie auf veränderte<br />

Bedürfnisse und Möglichkeiten<br />

in Schulen besser reagieren zu können.“<br />

Aufsehen erregte Végh in den Medien,<br />

als sie im Oktober 2020 vorschlug, das<br />

Museum doch wenigstens exklusiv für<br />

die Schulen offen zu halten und auf<br />

diese Weise die Bildung, soweit es ginge,<br />

etwas zu entlasten. In der Pandemiezeit<br />

könnte die Kunsthalle „Vermittlungsprogramme“<br />

für Schulen in den weitaus<br />

besser belüfteten Räumen der Kunsthalle<br />

anbieten: „In Abstimmung mit den<br />

Schulleitungen könnte man bei uns auch<br />

andere, innovative Unterrichtsformen<br />

installieren.“<br />

Nach drei Wochen Öffnung wechselte die<br />

Kunsthalle unter Véghs Leitung unbeirrt in<br />

den Online-Modus – mit Liveschaltungen,<br />

Zoom-Veranstaltungen zum Mitdiskutieren<br />

und mit einem exklusiven Gespräch<br />

mit dem kanadischen Fotokünstler Jeff<br />

Wall. „Inzwischen haben wir zahlreiche<br />

neue digitale Formate entwickelt“, freut<br />

sich die Kunsthallenleiterin und betont:<br />

„Wir sehen die Pandemie als Chance zur<br />

Veränderung und bauen kontinuierlich<br />

weiter an der ‚Digitalen Kunsthalle‘.“<br />

„Wir sind nur so gut,<br />

wie wir gemeinsam sind."<br />

Ihr Credo ist der Dialog zwischen Sammlung<br />

und Wechselausstellung, Geschichte<br />

und Gegenwart. „Es sind aktuelle Fragestellungen,<br />

die uns anleiten, in die Geschichte<br />

zu schauen. Jedes Kunstwerk ist<br />

eine Form von Verdichtung und Partitur.<br />

In ihm schlägt sich ‚seine‘ Zeit nieder, die<br />

Nachwelt ‚liest‘ in ihm stets wieder etwas<br />

Neues oder Anderes, in Abhängigkeit zu<br />

den Fragen der jeweiligen Zeit der Betrachter.<br />

Diese Eigenschaft pointiert zu<br />

verfolgen, darum geht es mir.“<br />

Végh fährt fort: „Die Sammlung eines<br />

Museums kann als gesellschaftliches visuelles<br />

Gedächtnis begriffen werden. Es geht<br />

also darum, das visuelle Gedächtnis nach<br />

heutigen Fragen neu zu vermessen und<br />

natürlich ist es auch eine große Verantwortung,<br />

das Gedächtnis fortzuschreiben.<br />

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